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„Hat die Industrie die Politik bestimmt?“

Immer mehr Indizien sprechen für Bestechlichkeit der Regierung Kohl. Rechtsanwalt und grüner MdB Christian Ströbele: Kanzleramt hätte durchsucht werden müssen

taz: War die Bundesregierung Helmut Kohls nach den neusten Erkenntnissen bestechlich oder war sie es nicht?

Christian Ströbele: Niemand hat behauptet, die Staatsanwaltschaft in Augsburg hätte Beweise dafür, dass Helmut Kohl für politische Entscheidungen seiner Regierung bezahlt wurde. Was der Staatsanwalt aber bestätigt hat, ist, dass es konkrete und dringende Verdachtsmomente gegen einzelne Staatssekretäre gab.

Welche waren das?

Tatverdacht besteht gegen den Ex-Verteidigungsstaatssekretär Holger Pfahls und gegen den Ex-Wirtschaftsstaatssekretär Erich Riedl. Gegen Pfahls ist er so dringend, dass ein Richter einen Haftbefehl erlassen hat.

Warum ist der Union so wichtig, dass Staatssekretäre nicht Mitglied der Regierung sind?

Damit sie den Vorwurf los wird, dass Entscheidungen der Bundesregierung gekauft wurden. Die Union meint, Geld müsse direkt an den Bundeskanzler geflossen sein. Das kann nun niemand ausschließen. Aber für mich ist schon ein Staatssekretär Teil der Bundesregierung. Dessen Wirken ist oft viel effektiver als das der Minister.

Wie das?

Der Staatssekretär bereitet die Entscheidungen vor. Der trägt die politischen Argumente vor – zum Beispiel, ob man die heimische Industrie fördert und welche Waffenschmiede man bevorzugt. Das war auch bei dem Panzerdeal mit Saudi-Arabien so. Den bereits bekannten Unterlagen ist zu etwa entnehmen, dass es in der Bundesregierung gegen das Geschäft zunächst erhebliche Bedenken gab – die dann im Bundessicherheitsrat urplötzlich nicht mehr geäußert wurden. Bevor so ein Meinungswechsel stattfindet, verhandeln – die Staatssekretäre.

Der Staatsanwaltschaft hat diese Spur verfolgt – aber das Kanzleramt verweigerte die Amtshilfe.

Das ist der wichtigste Punkt. Es wurde wegen des Verdachts schwerkrimineller Handlungen im Kanzleramt ermittelt. Sogar ein Durchsuchungsbeschluss wäre möglich gewesen. Auch ein Kanzleramt ist kein rechtsfreier Raum. Die Regierung hätte Amtshilfe leisten müssen und nicht ein angebliches Sicherheitsinteresse vorschützen dürfen.

Neue Unterlagen zeigen nun Geldflüsse – von Thyssen und Saudi-Arabien auf ein Schreiber-Konto in der Schweiz, von dort an Politiker und Vermittler. Reicht diese Indizienkette aus?

Wenn sich das so bewahrheitet, kommt man an dem Tatbestand der Bestechung, mindestens der Vorteilsnahme kaum noch vorbei.

Um welchen Fall handelt es sich eigentlich – den Fall CDU oder den Fall Bundesregierung Helmut Kohl?

Es ist von Anfang an ein Fall CSU und mögliche Beeinflussung durch sie. Die handelnden Personen sind überwiegend CSU-Mitglieder. Und auch die ganzen Geschäfte, sei es der Panzerdeal, die Airbus-Verkäufe oder Lieferungen von MBB-Hubschraubern, betreffen bayerische Firmen. Die CDU-Spendenaffäre war dazu nur ein Vorspiel, bei dem die CDU Gesetze gebrochen hat. Aber von der Dimension der Vorwürfe ist das viel weniger dramatisch, als das, was bald im Mittelpunkt stehen wird: Ob die Rüstungsindustrie die Politik bestimmt hat.

Interview: Christian Füller

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