: 45 Jahre Haft für General
Das UN-Tribunal in Den Haag verurteilt hochrangigen kroatischen Militär wegen Kriegsverbrechen in Bosnien. Kroatiens Staatspräsident kritisiert Urteil als zu hart
WIEN taz ■ Für die meisten Kroaten war die Nachricht aus Den Haag gestern ein Schock: Zu 45 Jahren Haft verurteilte das UNO-Kriegsverbrechertribunal den kroatischen General Tihomir Blaskić wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, schwerer Verstöße gegen die Genfer Konventionen und das Kriegsvölkerrecht.
Die Richter sahen es als erwiesen an, dass Blaskić während des kroatisch-bosnischen Krieges persönlich die „Operation Lasvatal“ in Zentralbosnien geleitet hatte – möglicherweise in Rücksprache mit Zagreb. Im Urteilsspruch heißt es, unter Blaskić’ Kommando hätten kroatische Soldaten am 16. und 17. April 1993 die mehrheitlich von Bosniern bewohnte Gemeinde Ahmici im Lasvatal umzingelt, 123 Kinder, Frauen und alte Männer in einige Wohnungen zusammengetrieben und die Häuser in Brand gesetzt. Keiner der Eingeschlossenen überlebte das Massaker.
Blaskić’ Verteidiger argumentierten, ihr Mandant sei persönlich nicht vor Ort gewesen und könne nicht für das Verhalten einiger Truppenteile verantwortlich gemacht werden, die gar nicht seinem direkten Kommando unterstellt gewesen seien, sondern auf Befehle aus Zagreb hörten. Diese Argumentation ließ das Tribunal nicht gelten.
Die UNO-Ankläger legten ihrerseits Beweise vor, aus denen hervorging, dass der heute 39-Jährige in direkten Kontakt „zu den Machtzentren in Zagreb“ stand. Als Getreuer des verstorbenen Präsidenten Franjo Tudjman habe Blaskić dessen Plan eines „Großkroatien“ in die Tat umzusetzen versucht und sich aktiv für die Vertreibung und Ermordung der muslimischen Bevölkerung Bosniens eingesetzt.
In einer ersten Reaktion bewertete Kroatiens stellvertretender Ministerpräsident Goran Granić das Urteil als „zu hart“. Es dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, die Kroaten seien die „schlimmsten Verbrecher“ beim Erbfolgekrieg um das ehemalige Jugoslawien gewesen. Es sei an der Zeit, Serbenführer Slobodan Milošević und dessen Stellvertreter in Bosnien, Radovan Karadžić, endlich vor Gericht zu stellen.
Die fatale Rolle, die Kroatien beim Zusammenbruch des Vielvölkerstaates zwischen 1991 und 1995 spielte, ist den meisten Menschen des Adriastaates bis heute nicht bewusst. Auf die neu gewählte Regierung und den neuen Staatspräsidenten Stipe Mesić wartet eine schwere Aufgabe: Im Staat- und Militärapparat sitzen unzählige Funktionäre, die das Prinzip der gewaltsamen Völkertrennung auf dem Balkan verfochten und dafür heimliche Allianzen mit serbischen Freischärlergruppen und der jugoslawischen Armee eingegangen waren. Einige von ihnen werden vom Den Haager Tribunal mit Haftbefehl gesucht. KARL GERSUNY
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