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Ende eines Bilderstreites

Im Streit um die Authentizität von Fotos aus einem bosnischen Gefangenenlager spricht ein Londoner Gericht dem britischen Sender ITN 1,2 Millionen Mark Schmerzensgeld zu. Die Zeitschrift „Living Marxism“ bleibt bei ihrer Version von einem Fake

von ANDREAS ZUMACH

Im Streit um Bilder aus einem bosnischen Gefangenenlager während des Krieges 1992 hat der private britische Fernsehsender ITN eine Verleumdungsklage gegen die Londoner Zeitschrift LM („Living Marxism“) gewonnen. Der Sender und seine beiden KorrespondentInnen Penny Marshall und Ian Williams bekamen umgerechnet 1,2 Millionen Mark Schmerzensgeld zugesprochen.

In einem von dem Frankfurter freien Journalisten Thomas Deichmann verfassten Artikel hatte die Zeitschrift den ITN-Korrespondenten vorgeworfen, die Bilder durch Kamerapositionen manipuliert zu haben. Eines der Bilder vom 5. August 1992 zeigt den ausgezehrten bosnischen Muslim Fikret Alić mit anderen Männern hinter einem Stacheldrahtzaun im serbischen Gefangenenlager Trnopolje. Laut LM handelte es sich jedoch um die Aufnahme eines Transitcamps, in das sich Flüchtlinge freiwillig begaben. Als „Beweis“ für diese Version diente Deichmanns Behauptung, das ITN-Kamerateam habe seine Bilder von innerhalb eines kleinen umzäunten Areals auf dem Lagergelände von Trnopolje geschossen. Das Lager selber sei jedoch „nicht umzäunt“ gewesen und seine Insassen hätten sich „frei bewegen können“.

Deichmanns Artikel über „das Foto, das die Welt täuschte“, wurde seit Ende 1996 auch von einer Reihe deutschsprachiger Zeitungen ungeprüft veröffentlicht. Schon damals lagen dem UNO-Kriegsverbrechertribunal für Jugoslawien erdrückende Beweise vor, dass ab April 1992 in Trnopolje, in Omarska und an anderen Orten Bosnien-Herzegowinas Gefangenenlager existierten, in denen tausende von Schergen des damaligen serbischen Nationalistenführers Radovan Karadžić interniert, vergewaltigt, gefoltert und ermordet wurden.

Inzwischen erfolgten auf Basis des Beweismaterials mehrere rechtskräftige Verurteilungen durch das UNO-Tribunal. Das Foto aus Trnopolje vom 5. August 1992 erlangte seine traurige Berühmtheit, weil es um die Welt ging als erster optischer Beweis für die Existenz bosnisch-serbischer Internierungs-, Folter-, und Todeslager. Auf der Basis von Zeugenaussagen hatte der US-Journalist Roy Gutman bereits am 2. August im New Yorker Newsday über die Existenz derartiger Lager berichtet. Das Internationale Komitee vom Roten Kreuz sowie das US-Außenministerium waren seit Mai 1992 informiert, Frankreichs Staatspräsident Mitterrand seit Anfang Juli 1992. Doch sie schwiegen.

Die ITN-Journalisten haben der Darstellung von LM und Deichmann ebenso widersprochen wie der Guardian-Korrespondent Ed Vullamy, der das ITN-Team am 5. August 92 nach Trnopolje begleitete. Sie bestätigen zwar die Existenz des eingezäunten Areals im Lagergelände. Aber auch das gesamte Lager sei von einem hohen Zan umgeben und von Wärtern bewacht gewesen. Zwei Tage nach dem Besuch der Journalisten wurde der Zaun abgebaut und Trnopolje in ein „Sammelzentrum“ für Flüchtlinge umgewandelt. Zahlreiche überlebende Lagerinsassen haben diese Version bestätigt.

Für das Urteil war ausschlaggebend, dass LM den ITN-Journalisten den Vorwurf der bewussten Täuschung über den Charakter des Lagers gemacht habe und dies nicht belegen konnte. Für Marshall und Williams ist „ein schäbiger Versuch gescheitert, die Geschichte neu zu schreiben“. Die Klärung der Frage, wo das ITN-Team bei der Aufnahme des Fotos gestanden hat, war für das Londoner Gericht nicht vorrangig und auch nicht möglich. Daher sieht sich auch Deichmann in seiner Version bestätigt, wie er gegenüber der taz erklärte.

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