: Weizen, Nuss und Schalentier
Jeder fünfte Bundesbürger glaubt, an einer Lebensmittelallergie zu leiden. In den meisten Fällen handelt es sich um „Pseudoallergien“. Doch auch sie stellen eine ernsthafte Erkrankung dar. Experten streiten über ihre Ursachen, wie die Zulasung von chemischen NahrungsergänzungsstoffenVon MIRKO HEINEMANN
Jeder fünfte Bundesbürger glaubt, eine Lebensmittelallergie zu haben. Einige Zeit nach dem Essen Probleme im Verdauungstrakt, Pusteln auf der Haut oder die typischen Symptome des Heuschnupfens, doch zur falschen Jahreszeit.
Selbst nach der zeitraubenden Diagnose des allergieauslösenden Stoffs und der völligen Umstellung der Ernährung ist jede Einladung zum Abendessen ein Glücksspiel: Ist die Soße wirklich ohne Milch zubereitet? Schmeckt der Kuchen nicht ein wenig nach Erdnussbutter? Während sich die Freunde nach fröhlichem Abendessen in ruhigem Schlaf wiegen, plagen Allergiker sich bei Verzehr des falschen Lebensmittels mit Hautausschlag, Juckreiz, Schwellungen der Schleimhäute, Durchfall, Magenbeschwerden, im schlimmsten Fall sogar mit dem gefürchteten Allergieschock. Erstaunlich: In den meisten Fällen handelt es sich hierbei nicht um eine so genannte echte Allergie.
Diese Definition treffe nur dann zu, „wenn Antikörper gegen ein Nahrungsmittel nachgewiesen werden können“, so Beate Tebbe, Privatdozentin am Universitätsklinikum Benjamin Franklin, Berlin. Rund zwei Prozent aller Deutschen, so wird geschätzt, leiden unter einer echten Allergie gegen Lebensmittel oder deren Zusatzstoffe.
Die übrigen 18 Prozent sind alles andere als Hypochonder: Die meisten zählen zur Gruppe der Pseudoallergiker. Auch wenn der Begriff suggeriert, die Krankheit sei eingebildet, die Pseudoallergie weist handfeste Symptome auf. Diese Form der Lebensmittelallergie wird allerdings nicht durch das Immunsystem ausgelöst, wie bei klassischen Allergien, sondern der Körper reagiert direkt auf einen Stoff. Das Verdauungssystem kommt mit einem Bestandteil der Nahrung – zum Beispiel mit Milchzucker – nicht zurecht.
Mittlerweile leidet jeder dritte Bundesbürger an einer oder mehreren Allergien. Tendenz steigend. Mediziner kennen die Ursachen nicht. Eine steigende Anzahl von Allergiefällen wollen Ärzte auch bei Nahrungsmitteln ausgemacht haben. Tebbe warnt jedoch vor verallgemeinernden Aussagen, solange keine exakten Zahlen vorliegen. So würden erst seit einiger Zeit in der Allergieforschung Zusammenhänge aufgedeckt, die vorher nicht bekannt waren. Oder: „Die Patienten suchen heute viel eher einen Arzt auf, weil sie glauben, eine Allergie zu haben, als vor zehn, zwanzig Jahren.“
In den meisten Fällen sind es Eiweiße, auf die das Immunsystem fehlerhaft mit der Produktion von Antikörpern reagiert. Diese wiederum lösen eine Reaktion des Körpers aus. Was die Diagnose einer Lebensmittelallergie erschwert: Symptome können auch Hautreaktionen sein, Nesselfieber mit starkem Juckreiz beispielsweise.
Wenn eine Lebensmittelallergie bei einem Erwachsenen diagnostiziert wird, bleibt sie in der Regel ein Leben lang. Die Symptome lassen sich zwar behandeln, etwa mit Cortison, ein Heilmittel aber gibt es nicht. Kinder bilden hier eine Ausnahme: Obwohl Kinder öfter als Erwachsene, nämlich zu sieben bis zehn Prozent, an einer Lebensmittelallergie erkranken, gibt es bei ihnen eine gute Chance, dass der eigene Körper das Fehlverhalten des Immunsystems wieder in den Griff kriegt.
Als Allergieauslöser können auch Zusatzstoffe, die berüchtigten „E’s“, eine Rolle spielen. Gerade künstliche Farbstoffe stehen unter dem Verdacht, allergische Reaktionen auslösen zu können. 1996 wurden im Rahmen der EU-Kompromisse in Deutschland rund 30 Ergänzungsstoffe zugelassen, die bis dato verboten waren.
„Die Zulassung von Zusatzstoffen kann man nur dann ablehnen, wenn konkrete Gefahren von ihnen ausgehen“, erklärt Thomas Schlicht vom Bundesinstitut für Verbraucherschutz. Schwierig, denn, so Schlicht: „Potenziell jeder Stoff kann eine Allergie auslösen.“ Es habe sich zudem sämtlich um Stoffe gehandelt, die in Deutschland schon einmal zugelassen waren und die „technologisch“ nicht benötigt wurden. Trotzdem wehrten sich damals Ärzte gegen die Zulassung. Für 90 Prozent der Lebensmittelallergien aber zeichnen Milch, Ei, Soja, Weizen, Nüsse, Schalentiere und Fisch verantwortlich. In einem solchem Fall verordnen Ärzte eine Ausschlussdiät, also die Vermeidung jener Zutaten.
Für eine natürliche Ernährung plädiert Adelheid Henke vom Bonner Fachverband Deutscher Heilpraktiker e.V. Sie glaubt, bei einem Körper, der ein Leben lang „naturferne“ Kost zu sich nehme, sei es „kein Wunder, dass er irgendwann allergisch reagiert“. Allzu große Hoffnung auf Heilung will Henke, die bei starken Allergiefällen immer mit einem Hausarzt zusammenarbeite, den Betroffenen auch nicht machen. Doch glaubt sie, durch eine langfristige, schlüssige Therapie, die auch das Ernährungsbewusstsein der Patienten schärft, gebe es eine Chance, die Allergie zu besiegen. Das aber geht nur, wenn der Geldbeutel mitspielt.
Hinweis:
Aber: Die Zulassung von Zusatzstoffen kann man nur dann ablehnen, wenn konkrete Gefahren von ihnen ausgehen
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