: Das Haus wippen
Chicks on Speed machten das Sozialismus-Meeting in der Volksbühne mit Euro-Disco zum Diskursforum
Es hätte ein bedächtiger Abend sein können, der dritte aus der Veranstaltungsreihe „Sozialismus und Euphorie“ in den Räumen der Volksbühne. Ein Kulturprogramm als Gegenentwurf zum Motto „Kapitalismus und Fortschritt“ mit chinesischem Themenschwerpunkt. So hatten es sich die Leute aber nicht vorgestellt: Was macht das Publikum, wenn die Band des Abends, Chicks on Speed, es mit einer leeren Bühne alleine lässt?
Erst mal von vorne. Der Volksbühnen-Sozialismus scheint am Anfang der Veranstaltung eine fade Angelegenheit zu sein, genau so ist die Stimmung nach dem Theaterstück „Renegaten? – Lei Feng“ von Jürgen Kuttner. Die zu spät Gekommenen setzen sich zu den anderen ins Foyer und warten. Es ist wenig los, neben ein bisschen Szenemenschen schlendern Leute herum, die aussehen, als ob sie sonst einen Diavortrag über Tibet besuchen würden. Überhaupt ist schlendern angesagt, sie laufen mit Papptellern in der Hand durch die Gänge und essen Kaltnudeln mit Tofu aus der chinesischen Volxküche. Dann geht es zur Filmvorführung von Godards „La Chinoise“ im Roten Salon, dem nächsten Programmpunkt. Der Rest sitzt im Foyer und lauscht Helmut Höge, der Dias von China-Restaurants zeigt und die Geschichte der chinesischen Küchen in Deutschland als Weiterführung des Sozialismus in Europa ausbreitet. Die Idee ist skurril – und wirklich, die Details sind auch wirklich interessant.
Wo aber bleibt die Euphorie? Vielleicht hätte die Veranstaltung im Titel eher ein „oder“ statt dem „und“ verdient. Den Sozialismus mit der Euphorie zusammenzubringen, hat wegen der Humorlosigkeit der Anwesenden nicht geklappt. Sie haben es auch nicht anders verdient, deshalb waren dann Chicks on Speed dran, um sie alle zu retten. So lautet nämlich der Titel ihres neuen Albums: „Chicks on Speed will save us all“. Die drei Frauen aus München bezeichnen ihren brachialen Abgeh-Techno selbstironisch als „Euro Trash“. Sie haben das Konzept einer Girl-Group übernommen und lassen sich von angesagten DJs Tracks schreiben, drehen aber das Kräfteverhältnis von Produzent und Band um und behalten die Kontrolle über ihre Veröffentlichungen. Ihre Halbplayback-Show verstehen sie als Kunstinstallation, wobei sie in zusammengenähte Filzstücke gehüllt auftreten.
Heute sind es Badetücher, und sie spielen nicht auf, sondern im Raum hinter der Bühne. Zu sehen waren sie nur auf einer kleinen Leinwand am Bühnenrand. Klug eingefädelt haben sie das und abgewartet, was im Zuschauerraum passiert. Zum Tanzen angesprochen fühlten sich wenige, also was tun – außer bequem im Sessel sitzen und allerhöchstens mit dem Kopf wippen? Irgendwie muss man den Kulturabend doch wegkonsumieren können. Irgendwann haben ein paar Zuschauer die Bühne gestürmt und sich in den Hinterraum geschlichen, bis sich fast alle zur kleinen Tür an der Wand hinbewegt haben. Weit sind sie nicht gekommen, sie wurden wieder herausgescheucht und blieben davor stehen. Bis sie gemerkt haben, dass sie auf einmal selber auf der Bühne sind. Komisches Gefühl, ein bisschen deplatziert, also wieder runter und brav hinsetzen bis zum Konzertende. Das Haus rocken wollten die drögen Zuschauer doch nicht, heute lieber keine Party. VERENA DAUERER
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