Liebesdienste für Moskau

Schwere Kritik an Außenminister Fischer: Die Bundesregierung soll eine kritischere Haltung der EU zu russischen Menschenrechtsverstößen in Tschetschenien „hintertrieben“ haben

GENF taz ■ Die Berliner rot-grüne Koalition ist wegen ihrer Tschetschenienpolitik massiv in die Kritik geraten. Am Rande der UNO-Menschenrechtskommission in Genf kritisierten gestern VertreterInnen von „Human Rights Watch“, amnesty international und anderen Menschenrechtsorgansiationen Außenminister Joschka Fischer. Er habe in den letzten Wochen eine kritischere Haltung der EU zu den russischen Menschenrechtsverstößen „systematisch hintertrieben“ und damit auch die Chancen für eine angemessene Behandlung dieses Themas durch die UNO-Kommission verringert.

Unterstützt wird diese Kritik von Diplomaten aus EU-Staaten, die sich für eine Tschetschenien-Resolution der Kommission und insbesondere für eine internationale – statt lediglich eine nationale – Untersuchung der russischen Menschenrechtsverstöße einsetzen. In der gestrigen Debatte der Menschenrechtskommission zu Tschetschenien verzichtete die Europäische Union nun jedoch darauf, eine Resolution vorzuschlagen, die Russland verurteilen würde.

Nach Schilderungen von EU-Diplomaten hatten sich vor Beginn der diesjährigen Kommissionssitzung am 20. März Schweden, Dänemark, Irland, Holland, Luxemburg und Belgien für die Einbringung einer Resolution ausgesprochen, in der die russischen Menschenrechtsverletzungen kritisiert und ihre Untersuchung durch internationale Experten gefordert wird. Doch Deutschland lehnte dies entschieden ab, unterstützt von Großbritannien. Frankreich nahm eine vermittelnde Haltung ein, legte sich aber zunächst nicht fest.

Als gemeinsame Haltung nach außen wurde zu Beginn der Kommissionssitzung verkündet, ob und wie das Thema Tschetschenien von der EU behandelt werde, hänge von Verlauf und Ergebnis des Besuchs ab, den die UNO-Menschenrechtshochkommissarin Mary Robinson Anfang April nach Moskau und Tschetschenien unternahm. Wenn Moskau sich gegenüber der Hochkommissarin kooperativ verhalte, sei eine Resolution der UNO-Kommission nicht erforderlich, erklärte die deutsche Delegation in Genf.

Doch der Bericht, den Robinson am Mittwoch vergangener Woche vor der Kommission abgab, fiel äußerst kritisch aus: Russische Offizielle verweigerten ihr den Zugang zu mehreren Internierungslagern und Gefängnissen und bezichtigten die UNO-Hochkommissarin öffentlich der „Lüge“; Präsident Wladimir Putin verweigerte ein Treffen; sein neuer Sonderbeauftragter für Menschenrechtsfragen, Wladimir Kalamanow, warf Robinson „Einmischung in innere Angelegenheiten“ vor.

Daraufhin drängte bei einem Treffen der Genfer Botschafter der 15 EU-Staaten am Donnerstagabend vergangener Woche in Genf die portugiesische Präsidentschaft auf den Entwurf einer Resolution. Doch der deutsche Vertreter erklärte, dazu hätten die Botschafter kein Mandat. Erst nach einer telefonischen Intervention des schwedischen Außenministers bei seinem deutschen Amtskollegen Fischer gab dieser seiner Genfer Delegation grünes Licht für die Mitarbeit an einem Textentwurf.

Doch dieser Entwurf ist nach deutschen Vorstellungen keine Grundlage für eine Resolution, die der UNO-Kommission zur Abstimmung vorgelegt wird, sondern lediglich Grundlage für eine Erklärung, die ihr Präsident im Einvernehmen mit Russland abgeben soll. Eine Verurteilung der Menschenrechtsverstöße ist darin nicht vorgesehen. Es wird lediglich eine nationale Untersuchung durch russische Experten gefordert.

Zehn internationale, russische und tschetschenische Menschenrechtsorgansiationen forderten gestern Nachmittag in einer gemeinsamen Erklärung eine Resolution mit der Forderung nach einer internationalen Untersuchung. Doch die Chancen hierfür werden in Genf als sehr gering eingeschätzt. Denn neben Deutschland und Großbritannien sind auch die USA hieran nicht interessiert. ANDREAS ZUMACH