: Jura-Revolution gestoppt
Nach 200 Jahren sollte das Rechtsreferendariat fallen. Doch jetzt zuckt die Juristenzunft zurück
von CHRISTIAN RATH
Als der Reformplan vor zwei Jahren bekannt wurde, galt er als kleine Sensation. Mit der Einführung einer „einphasigen“ Juristenausbildung und der Abschaffung des traditionellen Referendariats hatte niemand gerechnet. Den eher betulichen JustizministerInnen hätte man die Reform als Letztes zugetraut.
Immerhin ist die Trennung der Ausbildung junger JuristInnen in Studium und Referendariat seit Jahrhunderten charakteristisch in Deutschland. In der Universität arbeitet sich der Juranachwuchs in die Gesetze und ihre wissenschaftliche Auslegung ein; im Referendariat erkundet er die Praxis in Gericht, Anwaltschaft und Verwaltung.
Eine Milliarde Mark, wenn das Referendariat wegfällt
Das neue Ausbildungsmodell soll dagegen eine frühzeitige Verzahnung von Theorie und Praxis erlauben, die Ausbildungszeit verkürzen und Kosten sparen. Bis zu einer Milliarde Mark pro Jahr könnte frei werden, wenn die Praxisphase der Ausbildung nicht mehr bezahlt, sondern ins Studium verlagert würde.
Hauptgrund für die Wahl des Einphasenmodells war jedoch ein fachfremdes Argument. Die Jurafakultäten stöhnen schon seit Jahren, dass sie mit dem gleichen Personal mehr Studierende ausbilden müssen als jedes andere Fach. Eine vollkommen neuen Konzeption des Jurastudiums sollte auch einen neuen Betreuungsschlüssel bringen.
Gerade diese diffuse Zielsetzung der Reform ist nun wohl schuld daran, dass die Unterstützung abbröckelt. „Es ist doch grotesk“, höhnt etwa Heino Schöbel, der Leiter des bayerischen Justizprüfungsamtes, „da wird ein für den Erhalt des Rechtsstaates zentraler Ausbildungsgang nicht nach fachlichen Notwendigkeiten konzipiert, sondern vor allem danach, wie die Studienplätze verringert werden können.“
Waren zuerst 13 JustizministerInnen für die Reform und nur drei dagegen, hat sich die Mehrheit inzwischen auf 9 zu 7 reduziert. Justiz- und WissenschaftsministerInnen haben deshalb jüngst ein „Moratorium“ beschlossen. Erst soll die Mehrheit für den Plan wieder „verbreitert“ werden – einige der neuen MinisterInnen haben wenig Verständnis für die Reform.
Auch der juristische Fakultätentag kann sich mit den neumodischen Ideen überhaupt nicht anfreunden. Viele ProfessorInnen halten die Unterbrechung des Studienverlaufs durch die Praxisphase für „pädagogisch-didaktisch“ verfehlt. Der Stuttgarter Justizminister Ulrich Goll (FDP), ein Reformbefürworter, sieht hier jedoch „Traditionalismus“ am Werk: „Da gilt wohl das Motto: Was wir schon immer hatten, kann nicht so schlecht sein‘“.
Ködern will Goll die Unis nicht nur mit der Aussicht auf bessere Studienbedingungen, sondern auch mit Geld. Ein Großteil der einen Milliarde Mark, die bisher ins Referendariat fließen, soll künftig den Fakultäten für neue Stellen zur Verfügung stehen. Dort ist man skeptisch, ob der Mitteltransfer so einfach gelingt. Immerhin muss das Geld zuerst von den Justiz- in die Wissenschaftshaushalte umgeschichtet werden. Und wenn Universitäten ihre Globalhaushalte selbst verwalten, ist es schwer, das Geld zielgerichtet für die Jurafakultäten bereit zu stellen.
Für Ärger sorgt schließlich der künftige Berufseinstieg. Viele befürchten, dass mit der Reform gleichzeitig der Zugang zur Anwaltschaft erschwert werden soll – in den aber mangels Alternative die meisten AbsolventInnen drängen. So müssten nach den aktuellen Plänen jene, die sich als Anwalt oder Anwältin selbstständig machen wollen, zuvor erst einmal ein Jahr in einer Kanzlei mitarbeiten. „Da kommt dann zum Zuge, wer am meisten Geld auf den Tisch legt“, befürchtet man etwa im bayerischen Justizministerium. Dagegen fordert die Bundesrechtsanwaltskammer sogar eine Verlängerung der „Einarbeitungsphase“ auf zwei Jahre – das hieße, dass noch weniger Einarbeitungsstellen zur Verfügung stünden. Auch dieser Konflikt ließe sich vermeiden – wenn alles beim Alten bliebe. Bisher ermöglicht der Abschluss des Referendariats automatisch die Anwaltszulassung.
Kein Widerstand kam dagegen ausgerechnet von der Seite, von der man ihn am meisten erwartet hatte. Die Kultusminister hatten im letzten Dezember signalisiert, dass sie mit einer deutlichen Verringerung der Jura-Studienplätze leben könnten. Früher hatten sie solche Initiativen noch abgeblockt, weil sie in einem der am häufigsten studierten Fächer nicht neue hohe Zugangshürden errichten wollten. Für Ulrich Goll, der die Länderarbeitsgruppe zur Ausbildungsreform koordiniert, ist das der Beweis, dass die eingeschlagene Strategie richtig ist.
Wie geht es nun weiter? Bis zum Ende des Jahres will Goll versuchen, die Mehrheit für die Reform wieder zu vergrößern. In Gesprächen mit den Skeptikern will er mögliche Kompromisse ausloten, um bei der Herbstkonferenz der JustizministerInnen dann einen „Zwischenbericht“ zu geben. Dabei ist allen klar: Wenn der Einstieg in die Reform nicht bis Ende des Jahres gelingt, dann wird es bei der juristischen Ausbildung so schnell keine grundlegende Neuerung geben.
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