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„Der Himmel war grau von Steinen“

Der Chef der Schutzpolizei, Gernot Piestert, hält den Einsatz seiner Beamten am 1. Mai für einen vollen Erfolg. Anlass für die Straßenschlacht sei ein verabredeter Angriff auf Polizisten am Oranienplatz gewesen

taz: Was hat zu der Straßenschlacht am 1. Mai geführt?

Gernot Piestert: Das müssen wir noch genau analysieren. Nach meinen Informationen sind am Oranienplatz Polizeibeamte sehr heftig angegriffen worden, offensichtlich nach einem verabredeten Zeichen: Der Anmelder und Leiter der Demonstration, Gunnar Krüger, ist plötzlich losgerannt. Der Block dahinter ist ihm im Laufschritt gefolgt. Daraufhin ist auch die Polizei an den Seiten hinterhergelaufen. Auch die Verbindungsbeamten sind mitgelaufen und dabei geschlagen worden. Sie trugen keine Schutzbekleidung, sondern Sommerhemd und Dienstmütze.

Nach unseren Informationen wurden die Krawalle dadurch ausgelöst, dass die Polizei kurz vor Ende der Demonstration am Oranienplatz eine Person mit einem Scanner, mit dem der Polizeifunk abgehört werden kann, aus der Spitze des Zuges festnehmen wollte.

Wir haben die Person ergriffen, aber nicht an diesem Ort und nicht zu diesem Zeitpunkt. Die taz-Interpretation des Polizeifunkverkehrs zu „Konto 2“ und „Weide“ sind völliger Unfug. Das sind keine Decknamen für eine Festnahmeaktion. Eine Festnahme sollte erst erfolgen, nachdem der Veranstalter die Veranstaltung beendet hat. Zur Veranstaltung gehört auch die Abschlusskundgebung.

Sie bestreiten, dass die Polizei noch vor Abschluss der Demonstration in den Zug gegangen ist, um Straftäter festzunehmen?

Der Polizeiführer musste eingreifen, als die Polizisten angegriffen wurden. Wenn wir einen Hinterhalt hätten legen wollen, hätten wir das nicht so dilettantisch gemacht. Es wäre hanebüchen gewesen, zu diesem Zeitpunkt loszuschlagen.

Wie erklären Sie sich den plötzlichen Steinhagel?

Die Sache war von langer Handvorbereitet. Die Steine wurden während des Marsches aufgenommen, das wurde uns immer wieder gemeldet. Und dann wurden sie nach dem vereinbarten Signal geschmissen. Der Himmel war grau von Steinen. Die Beobachtung des PDS-Abgeordneten Freke Over, der anderes gesehen haben will, kann ich nicht als objektive Sichtweise anerkennen.

Wie jedes Jahr gibt es wieder wechselseitige Schuldzuweisungen. Wird die Polizei alles offen legen?

Wir haben unsere Aufklärungspflicht gegenüber dem Innenausschuss und den Gerichten, und dem werden wir auch nachkommen.

Stimmt es, dass Polizisten von Demonstranten eingeschlossen und zum Teil verprügelt worden sind? Das würde bedeuten, dass die Polizei konfus agierte.

Nein, sie war nicht konfus. Die Sache hatte eine gewisse Eigendynamik. Man muss die Kräfte von Zeit zu Zeit neu ordnen und sie dazu eine Zeit lang vom Störer wegnehmen. Dann sieht es so aus, als sei für Minuten keine Polizei da. Es stimmt aber, dass Polizisten in eine Straße gelockt wurden, wo Demonstranten schon auf der Lauer lagen.

Hatten Sie die Lage jederzeit im Griff?

Ja. Wir hatten in Kreuzberg fast 3.000 Mann.

War das Konzept richtig?

Ja, vom Grundsatz her sind wir zufrieden.

Sind Sie mit dem Deeskalationskonzept auch im Nachhinein zufrieden?

Wir lieben dieses Wort Deeskalation nicht. Wir eskalieren nicht und deshalb können wir auch nicht deeskalieren. Auch das AHA-Konzept, das für Aufmerksamkeit, Hilfe, Appelle steht, ist kein Deeskalationskonzept.

Sondern?

Wir sprechen lieber vom Konzept der Vernunft und der Befriedung. Mit Deeskalation haben wir 1989 sehr schmerzhafte Erfahrungen gemacht. Wir haben die Hand gereicht und haben die Faust wiederbekommen. Hat das AHA-Konzept gefruchtet?

Das war ein voller Erfolg und muss ständige Polizeistrategie werden. Es ist ein Appell zur Friedfertigkeit und zum Einsatz des Gehirns und nicht der Muskeln.

Die erlebnisorientierten Jugendlichen haben Sie damit aber nicht erreicht. Die Lust auf Krawall ist offenbar doch stärker als die auf Streetball.

Vielleicht haben wir ein Teil der Leute, die sonst abends mitgemacht hätten, doch aufgehalten. Außerdem haben wir nie behauptet, wir würden alle erreichen, schon gar nicht die Gewaltbereiten. An die Vernunft zu appellieren kann aber nicht nur die Aufgabe der Polizei sein. Wo sind die Anwohner, die politischen Parteien, Jugendverbände und die Kirchen? Wo sind sie alle, die eigentlich gesellschaftliche Mitverantwortung tragen? Alle gucken zu, was am 1. Mai passiert und messen den polizeilichen Erfolg oder Misserfolg an eingeschlagenen Scheiben und an verletzten Beamten. Oder an der Frage, wer den ersten Stein wirft. Als ob es darauf noch ankommt.

Interview: PLUTONIA PLARRE

Hinweis:Gernot Piester (57) ist Chef der Berliner Landesschutzpolizei und seit 40 Jahren Polizist. Am 1. Mai war er für sämtliche Demos in der Stadt Gesamteinsatzleiter im Polizeipräsidium.

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