piwik no script img

Vorspiel im Gerichtssaal

Prostitution könnte bald nicht mehr sittenwidrig sein. Verwaltungsgericht gab gestern deutliches Signal in diese Richtung. Ordnungsamt hebt Schließungsantrag für das „Café Pssst!“ vorläufig auf

von BARBARA BOLLWAHN DE PAEZ CASANOVA

Noch ist die Prostitution sittenwidrig. Doch bei der gestrigen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht um das Wilmersdorfer „Café Pssst!“, wo die Prostituierte Felicitas Weigmann den wohl bekanntesten „bordellartigen Betrieb“ der Republik betreibt, machte das Gericht klar, dass es baldmöglichst eine Grundsatzentscheidung treffen will über die Frage: Was kann heute noch als unsittlich gelten?

Das Ordnungsamt Wilmersdorf hatte im Dezember 1999 die Schließung der Bar verfügt. Begründung: Weigmann, die Prostituierten stundenweise Zimmer im Hinterhaus desselben Gebäudes in der Brandenburgischen Straße 73 vermietet, leiste „der Unsittlichkeit Vorschub“. Denn in der Bar würden sexuelle Kontakte in der Bar angebahnt und damit „überaus günstige Bedingungen für die Prostitutionsausübung“ geschaffen werden. Gegen die Schließung hatte Weigmann, die anschaffenden Frauen ein Arbeiten ohne Zuhälter ermöglicht, eine einstweilige Anordnung beantragt. Das Bezirksamt hatte dem Gericht zugesichert, bis zur gerichtlichen Entscheidung die Schließung nicht durchzusetzen. Weigmann konnte die Bar also vorläufig weiter betreiben.

Doch Weigmann will eine prinzipielle Entscheidung. Gestern wurden dazu die Weichen gestellt. Der Vorsitzende Richter der 37. Strafkammer, Percy MacLean, gab klar zu verstehen, dass sich beim Begriff Sittenwidrigkeit ein Wandel vollzogen habe, zu dem Weigmann Vorarbeit geleistet habe. Er verwies auf das Bundesverfassungsgericht, nach dem der Begriff Sittenwidrigkeit einem „gesellschaftlicher Wandel“ unterworfen ist, und auf den geplanten Gesetzesentwurf der Bundesregierung (siehe Kasten). Unter den zahlreichen Prozessbeobachtern saß gestern auch die frauenpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Irmgard Schewe-Gerigk. Um die Grundsatzentscheidung „auf eine breitere Basis zu stellen“, will das Gericht den Gesetzesentwurf abwarten. Sollte die Regierung „nicht zu Potte kommen, müssen wir so entscheiden“, sagte MacLean.

Doch bereits die gestrige Verhandlung war ein Erfolg. Vertreter des Landeskriminalamtes lobten das „Café Pssst“ als „sauberes Bordell“. Kriminalhauptkommisar Bernd Burgfeldt, nach dessen Angaben es in Berlin 277 bordellartige Betriebe und 296 Wohnungsbordelle gibt, sagte: „Aus kriminalpolizeilicher Sicht ist das Café begrüßenswert.“ Das Ordnungsamt, das auf einer räumlichen Trennung zwischen Bar und Zimmern besteht und andere bordellartige Betriebe anscheinend ignoriert, stand gestern ziemlich belämmert da. MacLean: „Es wird ja nicht sittlicher, wenn man eine Wand zieht.“ Um sich nicht weiter lächerlich zu machen, hob die Behörde die Anordnung der sofortigen Schließung vorerst auf.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen