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Zum Abschiedneue Töne

Bei seinem Treffen mit Bill Clinton zeigt Gerhard Schröder europäisches Selbstbewusstsein. Er übt Kritik an den amerikanischen Raketenplänen. Der US-Präsident mahnt die Einbindung Russlands in Europa an

von PATRIK SCHWARZ

Ob Bill Clinton die Worte bekannt vorkommen? „Die in Jahrzehnten gewachsene deutsch-amerikanische Freundschaft wird auch in Zukunft Motor der transatlantischen Zusammenarbeit bleiben.“ Es ist der alte Kohl-Klang, hohl geworden mit den Jahren, aber bei deutsch-amerikanischen Treffen offenbar ebenso wenig verzichtbar wie einst die Beschwörung der Einheit der Arbeiterklasse auf den Mai-Kundgebungen der SED.

An diesem Freitag auf der sonnenbeschienenen Bühne vor dem Aachener Dom kommt der Satz aus dem Mund von Gerhard Schröder. Für Verdienste um die europäische Einigung erhält Clinton in Aachen den Karlspreis und Schröder hält die Laudatio. Dabei zeigt sich: Gastgeber für einen amerikanischen Präsidenten zu sein, verführt deutsche Bundeskanzler offenbar zu ähnlichen Reflexen. Wie einst Helmut Kohl schmückt auch sein Nachfolger sich mit dem Glanz des Amerikaners, ganz als handle es sich um seinen persönlichen Besucher. Wie einst Helmut Kohl wird er in seiner Rede nicht müde, ein ums andere Mal die Rolle der USA in Europa zu würdigen.

Doch die Parallelen täuschen. Persönlich wie politisch ist das deutsch-amerikanische Verhältnis im Wandel – und die Auftritte von Schröder und Clinton während dessen Deutschlandbesuch zeugen davon. Den ersten Akzent setzte der Kanzler am Vortag der Preisverleihung. In der Wirtschafts- und Sozialpolitik sei das europäische Modell dem amerikanischen „lang- und mittelfristig überlegen“, verkündete der Sozialdemokrat in einem Zeitungsinterview. Amerika, so Schulmeister Schröder, „kann lernen, dass auf Dauer soziale Sicherheit und der Zusammenhalt einer Gesellschaft auch ein ökonomischer Wert ist“. Die Äußerungen waren eine kalkulierte Demonstration europäischen Selbstbewusstseins.

In seiner Laudatio auf Clinton legte Schröder mit Mahnungen zur militärischen Zusammenarbeit nach. Die Pläne für ein amerikanisches Raketenabwehrsystem möge man „in partnerschaftlichem Geist“ behandeln, sprich die europäische Interessenlage berücksichtigen. „Du, Bill, hast dich immer für Fortschritte in der Abrüstung eingesetzt“, gibt Schröder dem Gast mit auf den Weg.

Bei den Gesprächen zwischen beiden Regierungschefs am Vortag hatte Clinton sich Schröders Anliegen geduldig angehört. Des Kanzlers Mitarbeiter verbuchten es bereits als Erfolg, dass der Präsident „mit großer Nachdenklichkeit das Tableau gezeichnet hat, wie er es sieht“ und dabei nicht in einem „Schwarz-Weiß-Schema“ denke. Von seiner Position ist Clinton trotzdem nicht abgewichen.

Dass das Gespräch statt der veranschlagten 20 Minuten zwei Stunden dauerte hatte allerdings mit einer weiteren Wandlung im Verhältnis von Deutschland und den USA zu tun: Stand zu Zeiten des Kalten Krieges der militärische Schulterschluss im Vordergrund, spielen jetzt kulturelle Missverständnisse und Schwierigkeiten im Umgang miteinander eine größere Rolle. Auf Wunsch des Präsidenten wurde fast die Hälfte der Gesprächszeit auf die Fälle amerikanischer Scheidungswaisen verwandt. Eine Kommission mit den jeweiligen Justizministern an der Spitze soll jetzt helfen, wenn ein deutsches Gericht hier lebenden Elternteilen das Sorgerecht zuspricht und der amerikanische Partner leer ausgeht. An bestehenden Gerichtsurteilen könne Herta Däubler-Gmelin freilich auch nichts ändern, warnt die deutsche Seite bereits.

So hartnäckig Clinton in den Gesprächen mit Schröder war, so konziliant gab er sich in seiner Karlspreis-Rede. Dem Anlass wie der gewandelten Rolle der EU entsprechend, vermittelte er den Regierungen Europas den Eindruck, sie als Gesamtheit ernst zu nehmen. An die Stelle bilateraler Verhältnisse, so Clintons implizites Versprechen werde künftig noch stärker das Bündnis zwischen USA und einer erweiterten EU treten. Umso wichtiger sei es für beide Seiten, sich zweier ungelöster Probleme anzunehmen: einer stärkeren Einbindung Russlands und der Suche nach einer friedlichen Lösung für den Balkan.

Acht Monate vor Ende seiner Amtszeit versuchte Clinton sich in Aachen an so etwas wie einer europapolitischen Philosophie: Europa sei eine Idee mindestens so sehr wie Ort, sagte der Präsident. Damit sei auch Amerika ein Teil von Europa.

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