Jedes Jahr 365 autofreie Tage

Morgen findet bundesweit der „Mobil ohne Auto“-Tag statt, am Dienstag der Autofreie Hochschultag: Radtouren, Frühstück auf dem Parkplatz – aber nur ausnahmsweise. In einer Hamburger Siedlung leben 49 Haushalte auf Dauer ohne PKW

aus Hamburg GERNOT KNÖDLER

Wenn Beate Christians von der Arbeit nach Hause kommt, rollt sie mit ihrem Fahrrad einfach in den Keller. Oben an der Rampe muss die Archivarin kurz anhalten und einen Schalter betätigen, dann klackt es im bunkerartigen Eingang und sie kann in ihre Tiefgarage düsen. Beate Christians hat sich verpflichtet, auf den Besitz eines Autos zu verzichten. Dafür wohnt sie an der Hamburger Saarlandstraße in einer der ersten Siedlungen der Republik, die nur für autofreie Haushalte gebaut worden ist.

Was an diesem Sonntag, dem bundesweiten Tag „Mobil ohne Auto (Moa)“, nach dem Wunsch von Umweltverbänden und Asten jeder einmal ausprobieren sollte, ist für Christians Alltag. Nicht erst seit dem 3. Mai, ihrem Einzugsdatum, denn die 51-Jährige hat nie ein Auto besessen. Sie wohnte mitten in der Stadt, im winkeligen, gut versorgten Altona, ein Wagen wäre überflüssig gewesen. Lediglich zwei der Singles, Paare und Familien, die die 49 Wohnungen des ersten Bauabschnitts bezogen haben, hatten vorher ein Auto.

Die Lage der Siedlung ist dafür ideal: In einem Umkreis von 600 Metern gibt es die Haltestellen von 15 Buslinien, zwei Nachtbuslinien, zwei U-Bahnen und einer S-Bahn. Das Einkaufszentrum Hamburger Straße ist anderthalb Kilometer entfernt, der Goldbek-Wochenmarkt kaum weiter. Beate Christians fährt dorthin mit dem Fahrrad, ebenso wie die neun Kilometer zur Arbeit im Landesmedienzentrum. „Im Winter werd’ ich mir eine HVV-Karte (Hamburger Verkehrsverbund) kaufen“, kündigt die grauhaarige Frau an.

Konsens war bei den Teilnehmern des Wohnprojekts auch, dass sie so umweltverträglich bauen wollten, wie es die Förderung durch die hamburgische Wohnungsbaukreditanstalt zuließ. Die Häuser entsprechen dem Niedrig-Energie-Standard, die Waschmaschinen im Keller werden mit Regenwasser betrieben, auf dem Dach sitzen Solarzellen und Energie liefert ein gasbetriebenes Blockheizkraftwerk.

Zum Dogma erheben die BewohnerInnen die Ökologie jedoch nicht. Mal einen Leihwagen zu benutzen oder ein Taxi, um Möbel von Ikea zu holen, geht in Ordnung. Für ihre alltäglichen Einkäufe will sich Beate Christians demnächst einen Fahrrad-Anhänger anschaffen. Muster findet sie in dem großen Fahrrad-Keller reichlich. Neben Touren-, Falt- und Lasten-Rädern stehen die Anhänger dort in allen Varianten: offen, geschlossen, selbst gebaut, für Kinder und als Hybrid-Modell, das auch als Hacken-Porsche durch den Supermarkt geschoben werden kann. „Ich beobachte, was sich bewährt“, sagt Christians, „und suche mir dann das Beste aus.“

Neben der Fahrrad-Tiefgarage gibt es vor den Häusern Stellplätze in begrünten Fahrrad-Hütten. Aus jeder Wohnung kann ein Fahrrad hier unterkommen. Auto-Parkplätze gibt es in herkömmlichen Siedlungen weitaus weniger: In Hamburg in der Regel 0,8 Parkplätze pro Wohnung, für die Siedlung an der Saarlandstraße reduzierte die Baubehörde die Zahl auf 0,15. Das macht das Bauen billiger und schafft Raum für Grill-, Spiel- und Klön-Plätze.

Im Gegenzug wurde in den Mietverträgen und – bei den EigentümerInnen – im Grundbuch der Verzicht auf den Besitz eines Autos festgeschrieben. Ganz ohne Parkplätze wollte die Behörde nicht bauen lassen. Im Gegensatz zu den BewohnerInnen spricht sie daher von „autoarmem Wohnen“, schließlich könnten BewohnerInnen gebrechlich werden und aufs Auto angewiesen sein. Vom Projekt „Wohnen mit Behinderung“ hat sich bisher allerdings keiner um einen Parkplatz bemüht.

Die BewohnerInnen wollen die sieben Parkplätze begrünen und nur ausnahmsweise belegen, etwa wenn jemand umzieht. BesucherInnen müssen mit der Bahn anreisen oder anderswo parken. Dass die BewohnerInnen aufs Auto verzichten, können die Nachbarn offenbar kaum glauben. „In der Eisdiele wird geredet, wir hätten alle unsere Autos in der Nachbarschaft stehen“, erzählt Christians.

Für die nachwachsende Generation will sie allerdings nicht die Hand ins Feuer legen: „Was passiert, wenn die vielen Kinder hier alle 18 werden, welche Konflikte dann aufbrechen, das muss man sehen.“ Noch leben die Kleinen, verglichen mit ihren Altersgenossen in herkömmlichen Siedlungen, im Paradies: Sie dürfen alleine aus dem Haus gehen, auf der Straße Fahrrad fahren oder Versteck spielen. Das erleichtert auch den Eltern das Leben: Die können derweil zu Hause am Schreibtisch sitzen oder in Ruhe die Küche putzen. Andere Eltern verbringen die Nachmittage auf dem Spielplatz – schließlich dürfen sie ihre Kinder keinen Augenblick aus den Augen verlieren – sie könnten überfahren werden.