: Mehr gelähmt als gezähmt
Der große Krach blieb beim nordrhein-westfälischen Landesparteitag der Grünen aus. Die Mehrheit der Delegierten stimmten für den umstrittenen Koalitionsvertrag mit den Sozialdemokraten
aus Bonn BETTINA GAUS
Im Auge des Sturms ist es ruhig. Ganz ruhig. Draußen im Land sehen die Medien wieder einmal – wie oft noch? – die Grünen von der Spaltung bedroht. Die Streite über den Atomkonsens und über den Koalitionsvertrag in Nordrhein-Westfalen seien eine Zerreißprobe für die Partei, befinden Leitartikler. „Die Grüne Schicksals-Woche“, titelt das Boulevardblatt Express.
Doch auf dem Landesparteitag der NRW-Grünen geht es eher zu wie auf einer Fortbildungsveranstaltung für Sachbearbeiter. Nur ein bisschen weniger konzentriert. Anderthalb Tage diskutieren 269 Delegierte im Bonner Brückenforum das Für und Wider einer Neuauflage der rot-grünen Koalition. Mit striktem, kompliziertem Reglement: Parität für Männer und Frauen, Parität für Koalitionsgegner und Koalitionsbefürworter. Eine brave Debatte. Viele Rednerinnen und Redner strengen sich durchaus an, leidenschaftlich zu wirken. Aber sie finden nur selten Widerhall im Saal. Diese Partei scheint nicht von einer Zerreißprobe bedroht zu sein, sondern von langsamer Erosion.
„Mein Kopf sagt ja, mein Bauch sagt ein Stück weit nein“, erklärt Bärbel Höhn auf dem Podium und erinnert doch zugleich daran, dass ihre Partei sich schließlich im Wahlkampf auf Rot-Grün festgelegt habe. Schon damals sei bekannt gewesen, dass der Ministerpräsident Wolfgang Clement heiße. An dem dürfe die Koalition nicht scheitern. „Lasst uns ja sagen zu dieser Regierung!“, ruft die Umweltministerin und erntet langen, langen Beifall. Spätestens da ist am Ausgang der Diskussion nicht mehr zu zweifeln. 153 Ja-Stimmen, 110 Nein-Stimmen, 6 Enthaltungen, so das Ergebnis der geheimen Abstimmung. Wenn alle schon wissen, wie es ausgehen wird, fällt das Zuhören schwer. Vor dem Saal stehen ziemlich viele und plaudern bei einer Tasse Kaffee über fast alles Mögliche. Der Atomausstieg jedenfalls ist kein Thema – auch nicht im Saal.
Der Verlauf der Veranstaltung biete einen Vorgeschmack auf das, was die Koalition mit den Grünen machen werde, warnt auf dem Podium die Landtagsabgeordnete Marianne Hürten: „Sie lähmt uns. Sie wird uns erschlaffen lassen.“ Tatsächlich scheint es wenig zu geben, was die Delegierten aus der Lethargie reißen kann. Unmittelbar vor Beginn des Parteitags hat Wolfgang Clement in Düsseldorf eine „Offensive zum Ausbau der Verkehrsinfrastruktur“ angekündigt. Eigentlich ist das ein Schlag dorthin, wo es den Grünen wirklich wehtun müsste. Dennoch dauert es rund vier Stunden, bis ein Redner die gezielte Provokation aufgreift. Er bleibt nahezu der einzige.
Bloß gut, dass es Jürgen Möllemann gibt. Er schweißt viele Grüne in gemeinsamer Sorge zusammen. Ein „Schreckgespenst für Nordrhein-Westfalen“ nennt der erste Redner in der Aussprache den FDP-Politiker. „Wofür hat dieser Möllemann denn gestanden?“, fragt die Bonner Fraktionsvorsitzende Kerstin Müller. „Gigantomanische Projekte“ habe der vorgeschlagen. „Eine unverantwortliche Politik der FDP. Unverantwortlich.“ Rauschender Beifall. Bärbel Höhn meint, wenn es nicht zur rot-grünen Koalition komme, müsse man sich dafür auch gegenüber den Bürgerinitiativen rechtfertigen, die jetzt die Grünen kritisierten. Die würden dann fragen: „Warum habt ihr es zugelassen, was Clement/Möllemann mit unseren Projekten gemacht haben?“
Möllemann werde zunehmend zum wichtigsten „Kronzeugen“ für die Befürworter einer Koalition, sagt angesichts all dieser Mahnungen ein Gegner der Koalition. Der müsse nun als Warnung herhalten, dass sonst alles noch viel schlimmer werde: „Die Realität ist: Wir haben 13 Wahlen verloren, und wir brauchen dringend ein Aufbruchssignal. Und dieser Vertrag ist kein Aufbruchssignal.“ Das sehen viele Befürworter der Koalition durchaus ähnlich. Aber in der Rolle des Opposition vermögen sie eben auch kein Aufbruchssignal zu erkennen. Und für eine Schicksalsfrage scheinen selbst die Gegner des Bündnisses die Entscheidung über die Koalition nicht zu halten. „Wir wollen die Basisdemokratie wirklich ernst nehmen“, verspricht die neue Fraktionsvorsitzende Barbara Steffens. „Das heißt für uns auch: Wir werden bei der Wahl selbstverständlich, wie ihr das wollt, Wolfgang Clement wählen.“
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