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„Hehre Gebilde“

Kanzlerberaterin Brigitte Sauzay zum Besuch von Präsident Chirac, zu Luther und der Frage, warum es keine deutsche Madame Pompadour gab

Brigitte Sauzay ist Frankreich-Beraterin von Bundeskanzler Schröder. Unmittelbar vor dem Besuch von Präsident Chirac in Deutschland organisierte sie ein deutsch-französisches Kolloquium.

taz: Im deutsch-französischen Verhältnis hat es zu Beginn der rot-grünen Regierung einige Irritationen gegeben. Warum?

Brigitte Sauzay: Nein. Das ist falsch. Zu Beginn der Regierungsübernahme ging es in den deutsch-französischen Beziehung nicht mehr sehr gut. Sie war seit drei, vier Jahren mehr Schein als Sein. Das hat man erst am Anfang der rot-grünen Regierung gesehen. Jetzt ist eine neue Beziehung entstanden.

Ihr Kolloquium befasst sich mit „Frauen in der künftigen europäischen Arbeitswelt“. Sie haben als Frau Karriere gemacht. In welchem Land ist das für Frauen leichter?

Bis heute hat es eine Frau in Frankreich leichter als in Deutschland. Denn die Rahmenbedingungen wie Kinderbetreuung und Schule, als auch die Vergünstigungen für Hauspersonal, sind dort viel besser.

Woran liegt das?

Ich glaube, man hat erkannt, dass in Ländern, in denen es Frauen besonders schwer gemacht wird, zu arbeiten, nicht mehr, sondern weniger Kinder geboren werden.

Was sind die Gründe für die unterschiedlichen Lebenssituationen der Frauen in Deutschland und in Frankreich?

Allem voran wurden wir durch Geschichte, Kultur und Religion sehr unterschiedlich geprägt. Das hat dazu geführt, dass deutsche Frauen weiter weg vom Zentrum der Gesellschaft gelebt haben. Vielleicht weil Luther für sie nur ein Ziel hatte: die Ehe.

Es hat wenige große, unabhängigen Frauenfiguren geben können. Deutschland war auch zu sehr aufgesplittert, als dass man große Machtzentren gehabt hätte, wo Frauen gut hätten Einfluss nehmen können. In Deutschland hat es nie eine Madame Pompadour gegeben. Das ließ die protestantische Ethik auch nicht zu.

Das heißt, es gab und gibt auch ein sehr unterschiedliches Bild vom Frausein?

Ja. In der deutschen Geschichte waren die Frauen immer ein wenig ein höheres Wesen. Wenn man sich die Heldinnen, die großen Figuren der deutschen Literatur ansieht, sind sie immer eher Unschuldsengel wie Gretchen, Lotte oder Käthchen von Heilbronn. Das ist der Archetyp der deutschen Frauen im 19. Jahrhundert. Diejenigen, die in der Macht mitmischen, sind meistens böse Engländerinnen.

Was sind die Archetypen in Frankreich?

Die Frauen sind dort viel mehr mitten in der Gesellschaft, im Zentrum der Macht. Sie mischen mit, gelten als Musen wichtiger Männer, Intellektuelle wie zum Beispiel Madame de Staël. Sie sind keine hehren Gebilde, die nach Höherem trachten. In Deutschland Frau zu sein heißt auch immer, ein bisschen was Besseres zu sein als die Männer, etwas Sublimeres, Verklärtes.

Die Frauenbewegung der 70er-Jahre war in beiden Ländern sehr unterschiedlich ausgeprägt. Hat das ähnliche Ursachen?

Ja. Die deutschen Frauen haben auf ihre Entfernung zur Macht reagiert, indem sie einen Feminismus an den Tag legten, der sehr amerikanisch angehaucht war: Die biologische Tatsache, dass man Frau ist, ist ausschlaggebend für die weibliche Identität. Während Französinnen davon ausgehen, dass sie das gleiche Bewusstsein wie die Männer haben. Die deutschen Frauen sind unabhängiger und selbstbestimmter. Eine Französin hat keine Angst, ihr Frausein und ihre Weiblichkeit zu betonen.

Der große Unterschied zwischen den Machtzentren in Deutschland und Frankreich liegt im Lärmpegel, der durch das Klappern hoher Absätze entsteht oder nicht entsteht.

INTERVIEW: KARIN NINK

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