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Gedoptes Plansoll

Als oberster Sportfunktionär der DDR hatte Manfred Ewald dafür zu sorgen, dass die Medaillenstatistik stimmte. Also verschrieb er die „blauen Pillen“

von MARKUS VÖLKER

Kurz nach dem Fall der Mauer, als erstmals die kaum bekannten Hintermänner des DDR-Systems vor den Kameras auftauchten, setzte sich auch Manfred Ewald in ein Studio des Deutschen Fernsehfunks. Der Talkmaster hatte es nicht leicht mit diesem Sportfunktionär. Denn Ewald leugnete einfach, dass er als Chef des Deutschen Turn- und Sportbundes (DTSB) dafür verantwortlich gewesen war, dass mehr als 10.000 Athleten gedopt wurden, darunter auch viele Minderjährige. Dem verzweifelten Moderator rutschte es schließlich heraus: „Herr Doping, geben sie doch zu, dass . . .“

Auch im Doping-Prozess vor dem Berliner Landgericht schwieg Ewald. Bis vor kurzem. Dann entschloss er sich zu dem bemerkenswerten Satz: „Meine Entscheidungen betrafen überhaupt nicht die Dinge, die mir vorgeworfen werden.“ Am heutigen Donnerstag wird das Urteil gesprochen. Die Staatsanwaltschaft fordert zwei Jahre auf Bewährung.

Der heute 74-Jährige begann seine Karriere im Braunhemd. Er durchlief die Nationalsozialistischen Erziehungsanstalten (Napola). Mit 18 Jahren trat er, just an Hitlers Geburtstag, in die NSDAP ein. Während der letzten Kriegsmonate leitete er ein Wehrertüchtigungslager. Nach Kriegsende entnazifizierte sich Ewald selbst, indem er sich als kommunistischer Spion ausgab. Eine Legende, die nur kurz bezweifelt wurde. Schnell stieg er auf: Er wurde Staatssekretär im Staatlichen Komitee für Körperkultur und Sport, DTSB-Chef und Mitglied des Zentralkomitees der SED.

Als mächtigster Mann des DDR-Sports hatte Ewald zu garantieren, dass das Land in den Medaillenstatistiken weit vorn lag. Jedes Mittel kam da gelegen – nicht zuletzt die berüchtigten blauen Pillen, in denen die Anabolika steckten. Dass Ewald das sportliche Plansoll erfüllte, wurde durchaus gewürdigt: Stasi-Chef Erich Mielke hielt ihn für den „größten Sportführer der Welt“.

Allerdings war Ewald auch für seine Wutausbrüche berüchtigt; er scheute nicht davor zurück, Mielke und mitunter auch Sowjetfunktionären zu widersprechen. Zu mächtig, zu einflussreich wähnte er sich, als dass er Konsequenzen gefürchtet hätte. Die traten dann 1988 ein. Ewald war der Nomenklatura zu exzentrisch geworden, zu despotisch. Auf dem Rückflug von den Winterspielen in Calgary wurde er betrunken gemacht und im Suff der Öffentlichkeit vorgeführt. Danach wurde „Herr Doping“ abgesetzt.

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