Opposition gegen den Zentralismus

Nach der Entscheidung über die Steuerreform wird der Bundesrat ab nächster Woche ins ehemalige Preußische Herrenhaus nach Berlin ziehen. In einigem Abstand zum Regierungsviertel entsteht neben dem Potsdamer Platz ein Zentrum der Länder

von UWE RADA

Würde der Bundesrat heute nicht in Bonn, sondern in Berlin über die Steuerreform der Bundesregierung befinden, hätte Bundeskanzler Schröder nicht nur einen schweren, sondern auch einen weiten Weg vor sich. Vom derzeitigen Amtssitz des Kanzlers im ehemaligen DDR-Staatsratsgebäude sind es fast drei Kilometer bis zum Preußischen Herrenhaus. Aber auch nach dem Umzug Schröders in den Neubau des Kanzleramts liegt die neue Länderkammer, die nach der letzten Sitzung in Bonn bezogen werden wird, nicht unbedingt vor der Tür. Anders als in Bonn sind Regierungsviertel und die Repräsentanz der Bundesländer räumlich voneinander getrennt. Ist der Föderalismus in der neuen Hauptstadt deshalb besser aufgehoben?

Mit seinen neoklassizistischen Stuckfassaden und einem Ehrenhof wirkt der dreiflügelige Bau des Bundesrates nicht nur repräsentativ, sondern auch einladend. Beinahe scheint es, als umschlösse er das Terrain nördlich der Leipziger Straße bis zu den Neubauten der Ländervertretungen in den ehemaligen Ministergärten zu einer Art Länderviertel in der Bundeshauptstadt.

Und als Kontrast zur formalen Strenge der „steinernen“ Friedrichstraße, die der Hauptstadt im viel zitierten Architekturstreit schon mal den Vorwurf der „Knobelbecherarchitektur“ eingebracht hat, wirkt das Gegenüber von gründerzeitlichem Bundesratsgebäude und oft mit gläsernen Fassaden versehenen Ländervertretungen wie ein demokratischer Farbtupfer im ansonsten fast schon absolutistisch anmutenden „Preußenpark“. Als solchen hat erst vor kurzem der Architektursoziologe Werner Sewing die Bebauung zwischen Bahnhof Friedrichstraße und Leipziger Straße bezeichnet.

Trotz längerer Wege zwischen Kanzler und Länderkammer, trotz architektonischer Opposition und der Herausbildung eines eigenen Länderzentrums, kann von einem gebauten Föderalismus in der neuen Hauptstadt aber nicht uneingeschränkt die Rede sein. Allzu mächtig ist die Baumasse von Reichstag und der sich ihm anschließenden Bundestagsbauten, und das neue Kanzleramt thront, aller demokratischen Geste eines „Bands des Bundes“ zum Trotz, wie eine Festung im Spreebogen. Hinzu kommt, dass das föderale Zentrum Berlins vom Gewebe der Stadt weitaus feinmaschiger überzogen wird als etwa das Regierungs- und Parlamentsviertel.

Gleich westlich des Bundesratsgebäudes schließen sich der Leipziger Platz und der Potsdamer Platz an und mit ihnen die am Reißbrett entstandenen Stadtimplemente von DaimlerChrysler, Sony und ABB. Gegenüber dem Bundesrat klafft dagegen eine gähnende Lücke. Wo einst das von Alfred Messel errichtete Kaufhaus Wertheim die östliche Fassung des als Oktogon angelegten Leipziger Platzes bildete, platzte vor geraumer Zeit ein Bauvorhaben des Münchner Investors Peter Kottmair. Der hatte mit einem städtebaulichen Entwurf des inzwischen verstorbenen Architekten Aldo Rossi zwar für Aufsehen gesorgt, das nötige Kleingeld aber nicht zusammenbekommen. Wohl oder übel werden sich die Mitglieder des Bundesrats also an den für Berlin so typischen Anblick des Nebeneinanders von Hochmut und Fall gewöhnen müssen.

Und haben die Ländervertreter dann noch die – wenn auch auf schick getrimmten – Plattenbaublöcke der Wilhelmstraße vor Augen, könnte das föderalen Selbstbewusstsein womöglich bald an die Grenzen des guten Willens stoßen. Geht es schließlich gegen die baulichen wie sozialen Anmutungen der Bundeshauptstadt, tun sich die Ex-Bonner, ob nun Bundes- oder Ländervertreter, schnell wieder zusammen.

Wie gut, dass da neben dem Bundesrat noch das Finanzministerium steht, ein Nazi-Bau, in dem einst Reichsluftfahrtsminister Hermann Göring und später Treuhandchefin Birgit Breuel saß. Und wie praktisch, dass der Regierender Bürgermeister von Berlin, sollte er noch einmal den turnusmäßigen Vorsitz des Bundesrates übernehmen, durch einen unterirdischen Tunnel zu Beratungen ins Berliner Abgeordnetenhaus entschwinden kann.

Apropos Berlin und Föderalismus. Auf die Teilnahme an einem Zentrum der Länder hat sich die große Koalition in der Berliner Landesregierung gar nicht erst eingelassen. Auf eine eigene Landesvertretung wollte der Berliner Senat allerdings auch nicht verzichten. Die steht nun, typisch für die Berliner Großmannssucht, in unmittelbarer Nähe zum Regierungsviertel in der Dorotheenstraße. Vielleicht erweist sich diese Geste während der heutigen letzten Sitzung des Bundesrats in Bonn ja als Beginn einer wunderbaren Freundschaft.