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Handeln & Feilschen

■ Ein üppig bebildertes Buch des Bremer Hauschild-Verlags rekonstruiert die Sammlerreisen des ersten Direktors des Bremer Übersee-Museums, Hugo Schauinsland

Schauinsland, Herr, Doktor, später Prof. Professor Schauinsland, welch ein Name für einen passionierten Weltdurchquerers! Diesem Gründervater des Übersee-Museums hat die heutige Crew des Hauses am Schauinslandplatz beim Bahnhof jüngst ein schönes Buch gewidmet. Verfasser sind die extra für die Buchproduktion engagierte ABM-Historikerin Anne Dünzelmann, die aktuelle Direktorin Viola König und Mitarbeiter Andreas Lüderwaldt. Das 100-Jahre-Jubiläum des Museums haben die AutorInnen aber verpasst. Das war nämlich am 15. Januar 1996. Der nächste Geburtstag aber kommt bestimmt. Streng genommen am 9. Juli 2011. Dann wird der Erweiterungsbau des Museums 100 Jahre alt. Schauinslands Sammeleifer auf nicht weniger als fünf Weltreisen war verantwortlich für diese rasend schnelle Ausweitung des Museumsprojekts. Zäh aber war dessen Anfang. Schon seit 1740 gibt es unterschiedliche Konzepte unter unterschiedlichen Namen an unterschiedlichen Orten (Schüsselkorb, Bürgerweide, Saalbau des Doms), die sich für eine naturkundliche Sammlung nebst Bücherei einsetzen zum Zwecke der Förderung der allgemeinen Volksbildung.

Das um die Jahrhundertwende plötzlich einsetzende breite Interesse am Exotischen ist keine Bremer Eigenheit. Von Japan bis Amerika kam es damals zu Gründungen von völkerkundlichen Sammlungen. Und so begründet Schauinsland seine steten Bitten an den Bremer Senat nach Genehmigung und Finanzierung von Forschungsreisen mit der Konkurrenzsituation zwischen den Museen: jetzt schnell noch reisen, sichten, Sammlerobjekte einkaufen, bevor der Markt leer geräumt ist. Aber was war der Grund dafür, dass haitische Speere, senegalesische Trommeln und indianische Totems plötzlich in den Bildungsschatz des „zivilisierten“ westlichen Menschen eingemeindet wurden? Eine Rede Schauinslands aus dem Jahr 1911 bringt jene dafür verantwortliche Mischung aus Zivilisationsüberdruss und Neugier auf den Punkt: Der Westen, heißt es dort, drohe zu einer „Maschinenkultur“ zu verkommen, die „dem Menschen allmählich Sklavenketten anlegt“. Statt „der ganzen übrigen Welt ihr Gepräge aufzudrücken“, möge man doch bitteschön lernen „von den alten Kulturen des Ostens, die zum Mindesten in der Lebenskunst der unserigen überlegen sind.“ Der alte Rousseau lässt grüßen. Ach ja, und neben diesem kulturkritischen Ansatz gäbe es da ja auch noch ein knallhartes, ökonomisches Argument – auch das klingelt in unseren Ohren außerordentlich zeitgeistig: Der Osten, so Schauinslands Prognose vor 90 Jahren, werde „in wirtschaftlicher und politischer“ Hinsicht an Bedeutung gewinnen – und da könne es nicht schaden, „einen tiefen Einblick“ in dessen Kultur zu gewinnen. Kultur als Vorhut der Ökonomie – wie vertraut.

Kein Wunder, dass bei solch materialistischer Denkungsart die Bremer Wirtschaft tief verflochten ist in die Gründungsgeschichte des Museums: Die Sparkasse spendierte immerhin 237.000 Mark für den Museumsbau (Gesamtkosten 800.000). Die große Bremer Reederei Norddeutsche Lloyd spendete Dienstleistung: Sowohl der Transport des Forschungsreisenden Schauinsland war umsonst, als auch der seiner bis zu 100 Kisten umfassenden Frachtsendungen in die Heimat. Und deutsche Unternehmer und Plantagenbesitzer in Übersee dienten mit wertvollen Reisetipps und dem einen oder anderen Sammlerstück. Diese Exotika, die Schausinsland schon mal als „Ausbeute“ bezeichnete, riss man längst nicht mehr irgendwelchen Eingeborenen aus den jungfräulichen Händen. Meist erwarb man sie bei professionellen Händlern von Kunsthandwerk vor Ort. Businessmäßig der Umgangston: „Einen guten Totempfahl werden Sie nur in Queen Charlotte Insel haben können“, wobei der Preisfrage allergrößte Beachtung geschenkt wurde. „Morgen wird wieder fleißig shopping gemacht... Handeln und Feilschen.“ Terra incognita gab es längst nicht mehr. Stattdessen einen Baedecker-Reiseführer im Handgepäck.

Schauinslands Reisen sind in seinen minutiösen Tagebuchaufzeichnungen dokumentiert. Dabei handelt es sich weniger um literarische Meisterstücke als um schnöde Erinnerungshilfen für die wissenschaftliche Arbeit nach der Rückkehr. Doch trotz ellenlanger nüchterner Auflistungen der Tagespläne kristallisieren sich interessante Grundmuster der Wahrnehmung des Anderen heraus. Bei einer Nô-Aufführung sieht er nicht viel mehr als „merkwürdige Verrenkungen des Kopfes“. Und sein Erstaunen über das Fehlen deutscher Ordnung und Sauberkeit in der Fremde will nicht nachlassen. Seine Eindrücke über Chicago: „Fürchterliche Straßen.“ Die Landschaft drum rum: „Unabsehbare Felder. Es fehlt aber jede Spur von Poesie der Landschaft.“ Und die Menschen in Amiland: „Scheußlich... ausgemachte Büffel... Jeder sorgt nur für sich... Auffallend wenig hört man Lachen und sieht fröhliche Gesichter... Illusorischer Begriff der Freiheit vom Dollar regiert.“ Da erweist sich der Museumspatriarch glatt als Kapitalismuskritiker. Aufgrund dieses nicht immer derart amüsant zu lesenden Steno-Stils entschied sich Anne Dünzelmann für eine Mischung aus Tagebuch-O-Ton und eigenen Zusammenfassungen aller allzu ausladenden, unsinnlichen Beschreibungen. Vorher aber musste erst mal die krakelige, nahezu unleserliche Handschrift mit Hilfe von Schauinslands Enkeln entziffert werden. Eine Heidenarbeit.

Sammeln war die eine Aufgabe, die Präsentation die andere: Ganz professioneller Dienstleister für Volkes Bildung besuchte Schauinsland jedes Museum, das ihm in die Quere kam, und verfeinerte im Vergleich sein didaktisches Museumskonzept. Dessen Grundidee: Lebensechtheit. Mit möglichst realistisch gestalteten „Schaufiguren“ versuchte er den Objekten ihren Kontext zurückzugeben. Diese Puppen verschwanden erst in den 70er Jahren aus dem Museum. Sehr an heute erinnert Schauinslands nervenaufreibender, unablässiger Kampf um die erforderlichen Finanzmittel für sein Museum. Senator Bömers reichlich materialistisches Resümee von dessen Lebensleistung im Jahr 1927: „Er ist sicher einer der glücklichsten Griffe gewesen, die Bremen jemals bei der Besetzung derartiger Stellen gemacht hat... Ein Ersatz wird zurzeit ... wahrscheinlich nur unter höchst unangenehmen Mehrkosten zu beschaffen sein.“ Dieses hanseatische Geizkragentum. Trotzdem schickten die Nationalsozialisten den 75-Jährigen fünf Jahre später in Rente: zu unideologisch. bk

„Unterwegs in Übersee. Aus Reisetagebüchern und Dokumenten des früheren Direktors des Bremer Übersee-Museums“. Hauschild Verlag

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