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Bocksgesang Zufriedener

Nach zweieinhalb Monaten spricht das Berliner Landgericht im Dopingprozess Recht: Ewald und Höppner werden zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt wegen vorsätzlicher Körperverletzung

aus Berlin MARKUS VÖLKER

Ein letztes Mal trat Manfred Ewald aus dem Saal 501 des Berliner Landgerichts. Blitzlichter prasselten auf ihn herab. Durch ein halbes Dutzend Kameras wühlte sich der 74-Jährige. Die Mikros staksten ihm ins Gesicht. Er sagte indes kein Wort. Nur die Miene verriet verhaltenen Unmut.

Drinnen hatte Richter Dirk Dickhaus soeben das Strafmaß verkündet: zwei Jahre auf Bewährung sowohl für Ewald als auch für den Mitangeklagten Mediziner Manfred Höppner, 66. Sollten sie sich nicht bewähren, drohte der Richter eine Haftstrafe von einem Jahr und zehn Monaten an (Ewald), im Fall Höppner ein Jahr und sechs Monate. Eine Geldstrafe wurde nicht verhängt. Die Staatsanwaltschaft hatte zuvor 4.500 Mark Buße gefordert.

Vor Prozessbeginn am Dienstagmorgen, als nur die Ahnung im Raum stand, dass ein Urteil im Verfahren gegen die Hauptverantwortlichen des Dopings in der DDR gesprochen wird, waren fast alle Prozessbeteiligten bester Laune. Die alten Mitstreiter Ewalds, ein gebrechliches Solidaritätskomitee, das auf den Hinterbänken den Prozessverlauf beäugte, witzelten lautstark. Unter ihnen der Journalist einer Tageszeitung, die es in der DDR auch schon gab. Der Reporter nahm das schlechte Wetter zum Anlass, um zu verkünden, es werde ja nun bald einen warmen Regen geben. Gelächter.

Selbst der sonst so bärbeißige Staatsanwalt Klaus-Heinrich Debes ließ sich von einem Reporter zu einem Glücksspiel hinreißen. Hinter seinem Rücken versteckte der Jurist flugs zwei Feuerzeuge. Sollte das gelbe zum Vorschein kommen, werde ein Urteil gesprochen, so einigte man sich. Schwarz stand für Vertagung. Gezogen wurde schließlich: schwarz, was sich als Irrtum herausstellen sollte. Man lachte auf jeden Fall.

Den nötigen Ernst fand dann erst das Gericht wieder. Es entschied, dass sich die Angeklagten der Beihilfe zur vorsätzlichen Körperverletzung in 20 Fällen schuldig gemacht haben. In zwei Fällen erging ein Freispruch, da sich die Nebenklägerinnen Birgit Böse und Catherine Menschner keiner der Kaderklassen A, B oder C zuordnen ließen. Im Urteil kam DDR-Recht zur Anwendung.

Nach dem Prinzip der Alternativität wird nach der Wiedervereinigung immer dann darauf zurückgegriffen, wenn sich daraus mildere Strafen ableiten. Höppner wurde zudem strafmildernd angerechnet: der lange zurückliegende Tatzeitraum (1974 bis 1989) sowie sein Geständnis.

Dickhaus sagte in der mündlichen Urteilsbegründung, wer eine Aufarbeitung von DDR-Unrecht erwartet habe, der könne das vom Gericht nicht erwarten. Es habe sich nicht um einen „Politprozess“, sondern um einen „Strafprozess“ gehandelt. Ewald bezeichnete er als „treibende Kraft“ des systematischen, planvollen Dopingsystems der DDR, in dem Anabolika ungezählte Male auch an minderjährige Athleten verteilt wurden. „Die Gesundheit der Sportler hatte dabei in den Hintergrund zu treten“, urteilte das Gericht. Den Angeklagten sei bekannt gewesen, dass Nebenwirkungen wie Stimmvertiefung und Vermännlichung auftreten. Diese hätten sie billigend in Kauf genommen. An die Adresse von Ewald, der mit „erbarmungsloser Härte“ vorgegangen sei, richtete Dickhaus die Worte: „Herr Ewald, der Zweck heiligt eben nicht die Mittel, eher dürften die Mittel dem Zweck geschadet haben.“ Dem folgte einer der kurzen Momente, während denen Ewald ein maliziöses Lächeln vor die Dauerfassade des kränkelnden Rentners zu zaubern vermochte.

Überdies stellte das Gericht fest, es handele sich „nicht um irgendeine Form von Siegerjustiz“. Denn: „Auch im Westdoping wäre kein milderes Urteil gefallen“. Die Strafen lägen „im oberen Bereich des gesetzlichen Rahmens“.

Höppner, damals Chef des Sportmedizinischen Dienstes und Leiter der Arbeitsgruppe unterstützende Mittel, sagte nach dem Richterspruch: „Ich stehe zu diesem Urteil, ich habe meine Mitschuld schon vor Jahren eingeräumt.“ Und: „Man muss auch verlieren können, wie es im Sport üblich ist.“ Nun sei für ihn endgültig der Wunsch entstanden, dass „man aufhört, den DDR-Sport zu diskriminieren“. Dem Richter attestierte er „ordentliche Arbeit“. Sein Anwalt, Peter Mildebradt, freute sich darüber, dass die 38. Große Strafkammer seinem Plädoyer gefolgt sei. Und weil er die Urteilsbegründung für „akzeptabel und sehr ausgewogen“ halte, werde wohl nicht mit einer Revision zu rechnen sein. Der Staatsanwalt verzichtete jedenfalls darauf.

Michael Lehner, Anwalt der Nebenklage, erklärte: „Es ist gut, dass endlich ein Urteil gesprochen wurde.“ Nur die Nebenklägerinnen und Nebenkäger, von denen bloß vier erschienen waren, stimmten nicht in den Bocksgesang der Zufriedenen ein: „Die Schäden kann man mit keinem Urteil wettmachen“, sagte die frühere Leichtathletin Brigitte Michel.

Zitat:Manfred Höppner: „Man muss auch verlieren können, wie es im Sport üblich ist.“

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