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„Der Himmel ist die Grenze“

Moderation MATTHIAS URBACH

 taz: Ist der Atomkonsens eine gute oder eine schlechte Sache?

Fritz Vahrenholt: Er ist gut, weil er Mauern eingerissen hat, die über 20 Jahre den Blick aufs Wesentliche verstellt haben. Denn es geht um mehr als den Ausstieg. Es geht darum, wie wir im Jahr 2030 oder 2050 die Energieversorgung sichern. Dabei ist zweitrangig, ob es zwei, fünf oder mehr Jahre längere Laufzeiten für Kernkraftwerke gibt.

Peter Hennicke: Da muss ich dir widersprechen. Die Dauer des Ausstieges und die vereinbarte Stillhaltepolitik hat einen verheerenden Einfluss auf die Markteinführung der Alternativen. Atomkraftwerke sind nach 25 Jahren abgeschrieben, haben ihre Investitionen verdient – und bieten dann über viele Jahre sehr billigen Strom an. Das wird den Marktzutritt der Erneuerbaren, der Kraft-Wärme-Kopplung sowie von Energiesparmaßnahmen extrem erschweren. Schon deswegen bin ich immer für einen schnellen Ausstieg gewesen.

Für Sie ist der Konsens also eine Enttäuschung?

Hennicke: Ja und nein. Denn der Ausstieg gibt ein klares Signal an Länder mit viel Atomkraft wie Japan und Frankreich – das ist bedeutsam. Endlich gestehen die Betreiber ein, dass die derzeitige Reaktorlinie eine technologische Sackgasse ist.

Vahrenholt: Ich glaube, dass ein längerer Ausstieg besser für die erneuerbaren Energien gewesen wäre. Wenn wir zu schnell aussteigen, sind die noch nicht marktfähig. Und es werden dann neue Gaskraftwerke gebaut und Importverträge über Billigstrom geschlossen, was auf lange Sicht Wind- und Sonnenstrom vom Markt fern halten wird.

Die Atomkraft ist also noch nicht vom Tisch?

Vahrenholt: Sowieso nicht: Wir schalten unsere Meiler ab und importieren dafür Atomstrom aus Frankreich, Russland und der Ukraine. Das ist bitter. Die sicheren Meiler werden abgeschaltet, und die unsicheren um Deutschland herum laufen weiter.

Hennicke: Also wir importieren momentan genauso viel Strom, wie wir ausführen. Beim Import ist sicher Atomstrom aus Frankreich mit dabei. Aber die Leitungskapazitäten sowohl von Osteuropa als auch von Frankreich sind begrenzt. Die könnte man natürlich ausbauen. Aber es ist fraglich, ob das wirtschaftlich wäre.

Vahrenholt: Das Bayernwerk baut gerade eine neue Leitung nach Osteuropa. Die sagen: für Kohlestrom. Aber am Ende kann keiner mehr unterscheiden, was da für ein Strom durchkommt.

Hennicke: Im Zweifel muss die EU einschreiten: Die könnte Strom aus gefährlichen Atomkraftwerken und besonders schmutzigen Kohlekraftwerken vom Import ausschließen.

Vahrenholt: So oder so. Am Ende müssen wir akzeptieren, dass die Gesellschaft aussteigen will.

Atomkraft macht gut 5 Prozent der Weltenergieversorgung aus. Öl dagegen hat einen Anteil von 40 Prozent. Wann wird der letzte Tropfen Öl gefördert?

Vahrenholt: Wir stehen vor einer Knappheit, was das konventionelle Öl betrifft. 2015 wird die Hälfte des Öls verbraucht sein. Die Erfahrung mit anderen Rohstoffen zeigt, dass dann ein weiteres Wachstum der Förderung nicht mehr möglich ist.

Öl wird teurer, weil es immer schwerer zu fördern ist?

Vahrenholt: Die billigen Quellen sind dann weg. Es zeigt sich ja schon, dass von den Opec-Staaten derzeit nur noch Saudi-Arabien überhaupt in der Lage ist, kurzfristig mehr Öl zu fördern. Das heißt nicht, dass uns die Kohlenwasserstoffe ausgehen: Wir haben Ölsande, Ölschiefer, nur das ist sehr teuer zu erschließen. Mit der schwereren Förderung steuern wir auf einen Ölpreis von rund 40 Dollar pro Barrel innerhalb der nächsten 10 bis 15 Jahre zu. Aber genauso wenig, wie die Steinzeit am Mangel an Steinen zugrunde ging, wird das Ölzeitalter am Mangel an Öl zugrunde gehen. Das Klimaproblem wird die fossilen Energieträger vorher ausbremsen.

Hennicke: Die Reichweite der Rohstoffe ist wirklich nicht das Hauptproblem: Nicht die Erde, der Himmel ist die Grenze. Die Atmosphäre kann nur begrenzt Kohlendioxid aufnehmen. Wir dürfen nach den Berechnungen der Klimaforscher nur noch ein Drittel der verfügbaren fossilen Brennstoffe verfeuern, ohne das Klima gefährlich zu verändern.

Die Grünen haben sich für eine Förderung des Wasserstoffautos ausgesprochen. Also ein Auto, in dem zum Antrieb statt Benzin Wasserstoff genutzt wird, das weitgehend schadstofffrei verbrennt – und anders als Benzin das Klima schont.

Vahrenholt: Das ist gut. Das hätte man noch vor kurzem von den Grünen nicht so gehört.

Sind Sie auch so begeistert, Herr Hennicke? Oder würden Sie auf andere Treibstoffe setzen?

Hennicke: Ich halte Wasserstoff für die vielversprechendste Option in 20 oder 30 Jahren. Natürlich nur, wenn der Wasserstoff dann mit regenerativen Energien hergestellt wird. Bis dahin müssen wir viel Verkehr vermeiden, der völlig unnötig ist. Die Hälfte aller Wege sind kürzer als fünf Kilometer, und dafür braucht man meist kein Auto. Im Übrigen ist das Wasserstoffauto ein schönes Beispiel für das Primat der Politik. Denn das Engagement der Industrie wurde ausgelöst durch einen Beschluss in Kalifornien, der besagt, dass dort ab 2003 bereits 2 Prozent der neu zugelassenen Autos emissionsfrei sein müssen.

Fänden Sie solche Vorgaben besser als eine Ökosteuer?

Hennicke: Es ist sehr viel wirksamer und greift an der Ursache des Problems an, statt es über hohe Preise lösen zu wollen – und sich Unmut einzuhandeln.

Geht die Ökosteuer zu weit?

Vahrenholt: Niemand hat etwas dagegen, wenn die Energie teurer wird – nur dann haben Sparen und erneuerbare Energien überhaupt eine Chance. Nur ist ein kommunikativer Fehler gemacht worden: Die Verknüpfung mit den Lohnnebenkosten wird von den Wählern nicht verstanden. Es wäre viel klüger gewesen, mit den Einnahmen neue umweltfreundlicher Technologien zu fördern, zum Beispiel das Wasserstoffauto.

Glauben Sie, dass das besser verstanden wird?

Vahrenholt: Klar, wenn man den Leuten erklärt, dass man damit die Mobilität in der Zukunft sichert. Denn der Benzinpreis wird steigen, schon weil die Förderung immer teurer wird.

Hennicke: Ich finde, die Ökosteuer ist ein Musterbeispiel dafür, wie man das Primat der Politik nicht praktizieren sollte. Als es populistische Kritik gab, zog die ganze Regierung den Kopf ein – und tat so, als sei es nur ein Problem der Erdölstaaten. Auch der Staat verdient gut am Benzinverkauf.

Die Ökosteuer – Abgabe hier, gesenkte Lohnnebenkosten dort – ist ein abstraktes ökonomisches Konzept. Und der Autofahrer will einen konkreten Nutzen sehen. Es wäre naheliegender, die Alternativen Bus und Bahn damit zu fördern.

Würde nicht doch irgendein Lobbyverband aufschreien – und wenn’s der ADAC ist?

Vahrenholt: Die Ökosteuer war ein kommunikativer Fehlschlag. Die Leute haben den Eindruck, man wolle ihnen das Autofahren mit hohen Kosten verleiden – und das mögen sie nicht. Das Wort „Öko“ ist doch zum Unwort geworden.

Hennicke: Mit Preisen Leute zu bestrafen, wenn sie keine Alternativen haben, macht keinen Sinn. Man müsste gleichzeitig Bus und Bahn verbilligen.

Vahrenholt: Da kann man doch froh sein, dass der Kanzler gesagt hat, 6 Pfennig ist das Ende der Fahnenstange. Sonst sähen die Umfragewerte der Regierung viel schlechter aus.

Sie waren ja selbst mal Umweltsenator in Hamburg, Herr Vahrenholt. Aus Ihren Worten höre ich nicht viel Mitgefühl für Trittin und seine Probleme.

Vahrenholt: Um den grünen Umweltpolitiker Reinhard Loske zu zitieren: „Ein guter Umweltminister muss sich am Zug der Kraniche erfreuen können.“ Leider spürt man das bei Trittin nicht. Man hat den Eindruck, der ist für den Atomausstieg nicht wegen der Umwelt, sondern weil es den bösen Energiekonzernen schadet.

Hennicke: Also das ist mir zu personalisiert. Vielleicht lässt Trittin Anteilnahme für den Flug von Vögeln vermissen. Das ist aber nicht das Problem. Eigentlich ist doch ein Bewusstsein für den Klimawandel da – und auch Handlungsbereitschaft. Nur der politische Rahmen stimmt nicht, weil immer noch der, der etwas für den Umweltschutz tut, bestraft wird. Weil nicht alle mitziehen müssen. Da kann der Umweltminister fordern, was er will, es nützt nichts. Dazu kommt ein Kanzler, der seinen Minister mehrfach zurückpfiff. So baut man natürlich ein Image auf, wie du es beschreibst.

Vahrenholt: Man muss natürlich sehen, dass es ein Umweltminister früher einfacher hatte. Man hatte nur nationale Themen, musste sich nur mit vereinzelten Interessengruppen herumschlagen, und die Bevölkerung war nicht bereit, Waldsterben und Fischsterben zu tolerieren. Nun sind die sichtbaren Themen abgehakt, und das macht es unheimlich schwierig.

Hennicke: Deswegen muss auch das ganze Kabinett dahinterstehen anstatt populistisch einen Popanz Trittin aufzubauen.

Was halten Sie von der Politik der Regierung zu erneuerbaren Energien?

Vahrenholt: Das Erneuerbare-Energien-Gesetz, das EEG, ist ein weltweit einmaliger Schritt, der die Bedingungen für Erneuerbare extrem verbessert hat – das Gesetz garantiert den Betreibern eine Vergütung von im Schnitt 18 Pfennig pro Kilowattstunde bei Wind und Biomasse und 99 Pfennig bei Solarzellen. Das ist auskömmlich, wie man sieht, denn die Investmentfonds in Windräder und Biomasseanlagen schießen wie Pilze aus dem Boden. Aber bis die ohne Subventionen mit normalen Strom, der nur fünf Pfennig kostet, konkurrieren können, ist es noch ein weiter Weg. Auch wenn der konventionelle Strom in den Zwanzigerjahren wohl deutlich teurer sein wird als heute.

Halten Sie die Zukunft der Erneuerbaren für so unsicher?

Vahrenholt: Es ist nicht ausgemacht, dass wir etwa Großwindanlagen in dem Umfang, wie wir sie brauchen, auch aufgestellt kriegen. Die dannfür zehn Pfennig Strom vor der Küste in der Nordsee produzieren. Da gibt es stets die gleichen Widerstände von Naturschützern und der Freizeitindustrie. Das konnte ich während meiner Zeit als Umweltsenator in Hamburg erleben. Du glaubst gar nicht, wer da bei Off-Shore-Projekten alles ankommt, selbst der Verteidigungsminister mischt sich ein. Sicher wird es einige große Windparks geben. Aber in Deutschland sind die Flächen begrenzt, denken wir nur an den Nationalpark Wattenmeer, der Windräder ausschließt. International gibt es mehr geeignete Flächen. Dasselbe gilt für die Solarenergie.

Hennicke: Richtig, aber wenn man einen Mix von Regenerativen annimmt, dann stimmen wir sicher überein, dass die Hälfte des Energieverbrauchs mit Erneuerbaren möglich ist . . .

Vahrenholt: . . . weltweit vielleicht . . .

Hennicke: . . . nein, auch in Deutschland.

Was wäre das dann?

Hennicke: Das wäre vor allem Windkraft, etwa in Anlagen vor den Küsten. Aber auch Strom aus Biomasse. Dann gibt es die Solarthermie, Wärmegewinnung mit Sonnenlicht. Schließlich zunehmend Solarzellen – deren Markt im Ausland liegt.

Sind wir auf dem richtigen Weg?

Hennicke: Selbst die Regierung räumt ein, noch nicht genug getan zu haben, um ihr eigenes Ziel zu erreichen, die Erneuerbaren bis 2010 zu verdoppeln – schon gar nicht für das Ziel des Umweltministers, bis 2050 die Hälfte der Energie daraus zu gewinnen. Aber ich stimme zu, das EEG ist ein großer Sprung nach vorn. Konzeptionell hat sich etwas in den Köpfen geändert: Man wartet nicht einfach, was der Markt macht, sondern der Staat steuert den Markt durch Anreize.

Aber das reicht noch nicht?

Hennicke: Nun fehlt noch, diese Prinzip auf die klimaschonende Kraftwärmekopplung zu übertragen und vor allem auf die Effizienz, also das Einsparen von Energie. Das wird nicht angepackt.

Gibt es denn überhaupt heute schon so viel Einsparpotenzial?

Hennicke: Energieeffizienz ist in großem Umfang verfügbar –viel billiger als andere Optionen. Es gibt eine Menge Einsparmöglichkeiten bei Strom, die schon für drei bis vier Pfennig pro Kilowattstunde zu realisieren sind – billiger als Atomstrom. Wir gehen davon aus, dass man etwa ein Viertel des heutigen Stromverbrauchs schlicht einsparen kann.

Vahrenholt: In Privathaushalten mag das stimmen. Aber die Industrie spart so gut sie kann.

Hennicke: Warum gibt es dann vierhundert Contracting-Firmen, die mit dem Erschließen von Energiesparpotentialen Geld verdienen?

Vahrenholt: Das ist kein Argument. Ich bin Aufsichtsrat in einer Kupferhütte . . .

Hennicke: . . . das ist ein Argument . . .

Vahrenholt: . . . die haben ein Energiemanagement. Die wissen, das ist ein wichtiger Kostenfaktor und knüppeln ihre Stromkosten runter, so gut sie können. Die können doch rechnen!

Hennicke: Natürlich. Aber Unternehmen kalkulieren Einsparinvestitionen mit denselben Kriterien wie ihre normalen Investitionen – mit ein oder zwei Jahren Amortisationszeit. Damit diskreditieren sie systematisch das Einsparen gegen das Anbieten von Strom – denn Stromversorger kalkulieren mit 10 bis 15 Jahren. Nach Schätzungen von Energieberatern könnte der Industrie-Energieverbrauch in einigen Bereichen um bis zu 40 Prozent sinken.

Haben Sie mal ein Beispiel für mehr Energieeffizienz?

Hennicke: Das Neueste sind Lampen mit Dioden als Leuchtkörper, wie man sie schon in rot oder grün von Computern kennt. Die Lampe ist noch zu teuer. Aber man kann damit den Stromverbrauch für Licht halbieren. Und weil sie nicht heiß wird wie heutige Lampen, braucht man auch weniger Energie zum Klimatisieren. So könnte man etwa in 20 Jahren zehn Prozent des Weltstromverbrauchs einsparen.

Vahrenholt: Wenn das so einfach wäre. Man braucht sich das doch nur zu Hause anzuschauen: Man kauft sich den effizienten, 40 Prozent einsparenden Kühlschrank und lässt den alten im Keller weiterlaufen . . .

Hennicke: . . . ein überholtes Argument . . .

Vahrenholt: . . . ja, aber so läuft es doch! Ich seh das auf meiner eigenen Stromrechnung. Die Penetration mit elektrischen Geräten nimmt eher zu: Mikrowellen, Wäschetrockner, Computer. Ich bin ja deiner Meinung, dass wir Strom sparende Geräte wie die Diodenlampe einführen sollten. Aber die Frage ist, ob das reicht?

Hennicke: Es genügt nicht, so wie Shell und BP das machen, einfach weiter Öl zu fördern und die Regenerativen dann noch oben drauf anzubieten. Der Verbrauch muss runter.

Was schlagen Sie denn Shell und BP vor?

Hennicke: Sie sollten sich beteiligen an einer Ökonomie, in der Energieverbrauch profitabel vermieden wird. Damit lässt sich nämlich Geld verdienen: durch Dienstleistungsverkauf, Energiesparverträge. Dem Kunden geht es nicht darum, soundsoviel Kilowatt Strom oder Liter Öl zu verbrauchen. Was er will, ist eine warme Wohnung, eine kühle Cola und Mobilität von hier nach dort.

Vahrenholt: Aber das stimmt nur für Industrieländer. Andere Länder wie China haben einen enormen Nachholbedarf.

Hennicke: China ist ein gutes Beispiel. Denn dessen Energieausnutzung ist dreimal schlechter als die in Deutschland. Andererseits macht China große Fortschritte bei der Steigerung seiner Effizienz. Und es hat noch viele Möglichkeiten: In der Stahlindustrie, in der Zementfertigung, wo wir mit Know-how helfen könnten, statt bloß mehr Kraftwerke zu liefern.

Vahrenholt: Natürlich können die Chinesen ihre Energie effizienter nutzen. Aber wo nicht viel ist, kannst du auch nicht viel einsparen. Bei der Mobilität zum Beispiel sind die Chinesen ganz am Anfang – noch nicht einmal auf dem Stand, auf dem wir in den Sechzigern waren. Das wird zu massiven Zuwächsen führen. Am Ende muss natürlich das kohlendioxidfreie Auto stehen. Die Frage ist dann: Wie erzeugen wir den Wasserstoff? Da sage ich, wir dürfen keine Option verspielen. Dazu gehört auch eine Forschung in inhärent sichere Kernkraftwerke und die Kernfusion.

Hennicke: Dieser Satz vom „Optionen offenhalten“, der verhindert doch in Wirklichkeit, dass man Einsparen und Energieeffizienz ernst nimmt – in der Hoffnung eine billige, risikolose Energiequelle in die Hand zu kriegen. Das ist jetzt das gleiche falsche Versprechen wie bei der Einführung der Atomenergie.

Vahrenholt: Warum denn Denkverbote? Lass es uns doch mal ausprobieren. Ich finde es ausgezeichnet, dass Kanzler Schröder nach Greifswald zur Kernfusionsforschung gefahren ist und da Flagge gezeigt hat.

Hennicke: Es geht ja nicht um Denkverbote. Aber wir stecken in die Erforschung der Kernfusion immer noch 200 Millionen Mark pro Jahr, nimmt man die Kernenergieforschung dazu, geht da noch immer mehr Geld rein als in die Forschung für regenerative Energien und Einspartechniken. Das ist ein Unding, dass man die nahe liegenden und risikofreien Dinge weniger fördert.

Halten Sie die Energieeffizienz für einen Holzweg, Herr Vahrenholt?

Vahrenholt: Ich habe ja nichts dagegen, ich befürchte nur, es reicht nicht aus. Wir benutzen ja selbst Energiesparlampen für unser Projekt in Südafrika.

Was ist das für ein Projekt?

Vahrenholt: Shell hat in Südafrika ein Projekt, 50.000 Häuser abseits des Stromnetzes mit Strom zu versorgen. Wir montieren eine Solarzelle aufs Dach, die eine Batterie auflädt. Daran hängen vier Sparlampen, ein Fernseher und ein Radio. Die Kunden können für 14 Mark im Monat eine Chipkarte erwerben, mit der die Anlage eingeschaltet wird. Sie liefert 100 Watt – nähme man normale Glühbirnen, würde der Strom gar nicht reichen.

Hennicke: Das ist doch mal ein Paradebeispiel, wie man es richtig machen kann. Aber bitte nicht nur als Nischenprodukt!

Herr Vahrenholt, seit Anfang des Monats sind Sie nicht mehr im Vorstand von Shell. Was nehmen Sie aus dieser Zeit mit?

Vahrenholt: Man kann in der Industrie eine Menge bewegen, wenn der Markt und die Profilierung der Marke das verlangt. Ich muss aber mein Credo vom Beginn relativieren. Damals habe ich gesagt: „Der Staat kann außen vor bleiben, die Multis und die Greenpeaces dieser Welt – die machen das.“ Richtig ist aber auch: Der Staat muss weiter die nötigen Rahmenbedingungen setzen. Das Politische muss in die Arena zurückkehren.

Hennicke: Auch ich glaube, dass die Politik mehr Mut zeigen sollte. Wir brauchen eine bessere Politikberatung. Viel zu häufig bestellt sich die Politik Gefälligkeitsgutachten bei den ihr genehmen Instituten. Und die Institute machen mit: Da hat sich ein Hofschranzentum entwickelt. Wir brauchen einen wissenschaftlichen Wettbewerb der Ideen. Darüber könnte man endlich wieder zu einer gesellschaftlichen Streitkultur finden.

Weitere Artikel über Klimaschutz, Stromwechsel und erneuerbare Energien finden Sie im taz-Journal „Die Energiewende“. Darin streiten auch Fritz Vahrenholt und Peter Hennicke weiter: über Wasserstoffautos, den Haushalt der Zukunft und den Energiedialog. Das Journal gibt es für 12 Mark am Kiosk.

Zitate:

VAHRENHOLT:„Die Industrie spart doch schon, so gut sie kann“

HENNICKE:„Ein Viertel des Stromverbrauchs kann man einsparen“

HENNICKE ZUM KONSENS:„Der Ausstieg gibt international ein klares Signal“

VAHRENHOLT:„Sichere Meiler werden abgeschaltet, unsichere laufen weiter“

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