: Beim zweiten Anlauf mit neuen Argumenten
■ Der Fall der kurdischen Flüchtlingsfamilie I. landete zum zweiten Mal vor dem Oberverwaltungsgericht / Das Bundesverwaltungsgericht hatte den Fall zurückgegeben
„Die Asylrechtssprechung zu Kurden aus der Türkei kommt mir vor wie ein ständiger Kampf um Rechtsbegriffe.“ Das Plädoyer des Bremer Rechtsanwalts Armin von Döllen vorm Oberverwaltungsgericht fiel kürzlich bitter aus. Dabei beschränkte der Anwalt sich nicht allein auf die Asylklage der sechsköpfigen kurdischen Familie I., die derzeit im ihre Anerkennung als politische Flüchtlinge kämpft. Der Rechtsanwalt hob vielmehr auf die verworrene und widersprüchliche Rechtssprechung der 90er Jahre ab – deren Dauer und rechtsstaatliche Spitzfindigkeit den betroffenen Flüchtlingen nur grotesk erscheinen könne.
Tatsächlich hat die kurdische Familie I., die 1992 nach Deutschland kam, hier einiges erlebt. Nach einer ersten Asylablehnung vom Asylbundesamt bekam sie 1994 vom Bremer Verwaltungsgericht zwar ein Bleiberecht. Damals urteilte das Verwaltungsgericht – wie auch andere Gerichte in der Republik –, dass KurdInnen aus der Türkei als „gruppenverfolgt“ in Deutschland Schutz bekommen sollten. Grund waren ernst zu nehmende Berichte von Folter und systematischer Vertreibung sowie von Repressalien gegen die Minderheit auch außerhalb der Kurdengebiete.
Doch diese Rechtssprechung änderte sich. Auch im Fall der I.s legte der Bundesbeauftragte für Asyl erfolgreich Widerspruch gegen ihr Bleiberecht ein. Das Verfahren endete zuletzt vor dem Oberverwal-tungsgericht in einer Ablehnung des Asylbegehrens der Familie. Die RichterInnen hatten die Verfolgungsberichte der Eltern als widersprüchlich und unglaubwürdig beurteilt. Auch seien Details über Misshandlungen „gesteigert“ worden. Erst nachdem die Familie beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde einlegte, konnte sie jetzt erklären, wie es dazu kommen konnte – ganz im Sinne des BVG. Die oberste Instanz nämlich hatte die scheinbaren Widersprüche in den Berichten des kurdischen Ehepaares für erklärbar gehalten – und das Bremer OVG verdonnert, sich mit dem Fall erneut zu befassen.
„Mich hat im Asylbundesamt überhaupt niemand gefragt, ob mir etwas angetan wurde“, sagte also vergangene Woche Frau I. Sonst hätte sie gleich berichtet, dass auch sie von türkischem Militär und Polizei festgenommen und geschlagen worden sei. Ihr heute 41-jähriger Mann ergänzte, dass er bei der ersten Asylbefragung beim Bundesamt nur nach Festnahmen gefragt wurde – nicht aber danach, was ihm dabei widerfuhr. Wahrscheinlich würden Berichte über seine Folter und die spätere erkennungsdienstliche Behandlung – oft eine Voraussetzung für weitere Verfolgung innerhalb der Türkei – deshalb als „gesteigert“ erscheinen. Von der türkischen Militärpolizei war er beschuldigt worden, der extremistischen PKK zuzuarbeiten.
Allerdings soll die Frage über ein mögliches Bleiberecht der Familie nun noch von einer weiteren Frage abhängen. In der Gerichtsverhandlung ging es darum, ob die Eltern bei ihrer Flucht vor acht Jahren auch eine „inländische Fluchtalternative“ gehabt hätten. Kommt das Bremer Oberverwaltungsgericht in den nächsten Tagen nachträglich zu der Entscheidung, dass die Familie in Istanbul sicher hätte überleben können, dann droht der Familie die Ausweisung.
Auch diese Wendung im Verfahren empört den Anwalt. Bislang hätten inländische Fluchtmöglichkeiten keine Rolle gespielt. „Der Familie heute zu sagen, sie wäre 1992 lieber im Land geblieben, ist ein Hohn“, sagte von Döllen. „Diese Flüchtlinge hier hätten wissen sollen, was sogar die deutschen Gerichte damals nicht wussten.“ Die Richterin dagegen erklärt: Solange sie davon ausging, dass die Berichte unglaubwürdig waren, habe eine inländische Fluchtmöglichkeit keine Rolle gespielt. Der Anwalt dagegen fürchtet, hier werde ein Grund für Asylablehnung gesucht. „So ist das schon lange.“ Die von Anwälten und kurdischen Flüchtlingen jahrelang aufgezeigte Verfolgungs-Systematik sei erst Jahre später anerkannt worden. „Aber dann fand die Rechtssprechung einen anderen Weg, die Flüchtlinge abzulehnen.“ Für die Familie I. sei ein solches Urteil eine große Härte. Fraglich sei – damals wie heute – wie sie sich in den Slums einer türkischen Großstadt ernähren sollten. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts wird in den nächsten Tagen erwartet. ede
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