: Ja- und Nein-Sager auf dem Sofa
Kurz vor der Neuwahl der Parteispitze und ein Jahr vor der Bürgerschaftswahl steht die GAL vor strukturellen Führungsdefiziten: Krista Sager ist geschwächt, die Realos sind uneins, die Linken sehen wieder Licht am Horizont, und der Nachwuchs wird aufmüpfig. Eine Analyse ■ Von Sven-Michael Veit
Das Möbelstück
Das Sofa ist unbequem geworden. Es steht, legendenumrankt, in der Ottenser Wohnung des Lehrers Kurt Edler und bietet vier Personen eine Heimstatt, sofern diese eng zusammenrücken. Keine vier Jahre ist es her, da durften noch drei Dutzend handverlesene Hamburger Grüne vor jenem Möbel auf dem Fußboden hocken und denen auf den Sitzplätzen lauschen. Der Realo-Kungelkreis „Sozietät ohne feste Absichten“, der von Edlers alter Couch seinen irreführenden Namen herleitet, hatte selbstredend zwei klare Ziele: Macht und Regierung.
Doch erstere, kaum erlangt, bröckelt bereits, und letztere muss wieder neu erarbeitet werden. Und schon driften die Ansichten derer ohne Absichten auseinander.
Durchgesessen
Auf jenem Sofa wurde im August vor vier Jahren Krista Sager von der Sofa als Parteichefin und Spitzenkandidatin für die Bürgerschaftswahl 1997 auserkoren. Eingefädelt hatte die Rückkehr der damaligen Bundespartei-Sprecherin aus Bonn nach Hamburg Realo-Chefdenker und Sager-Intimus Willfried Maier. Unumstritten war die staatliche geprüfte Gymnasiallehrerin bei den Grünen an der Elbe noch nie, als GALionsfigur seit fast einem Jahrzehnt aber unangefochten. Linke pflegten ihr zwar eine Neigung zu Populismus und Personenkult nachzusagen; eine personelle Alternative zu dem publikumswirksamen Wahlkampfprofi hatten sie jedoch nie zu bieten.
Inzwischen aber hat die seit einer Woche 47-Jährige hart zu kämpfen. Die Autorität der zur stellvertretenden Regierungschefin der Freien und Hansestadt avancierten Ober-Reala hat auch in der eigenen Fangemeinde beträchtlich gelitten. Grüne Akzente in der real existierenden Hamburger Senatspolitik vermissen selbst einige der hartgesottensten Pragmatiker, und dafür wird nicht zuletzt die Frau an der Spitze verantwortlich gemacht.
Dass Sager für die Wahl 2001 erneut auf Platz 1 gesetzt wird, steht zwar außer Frage, auch wenn sie selbst meint, dass dies „jetzt noch überhaupt kein Thema“ sei. Doch einen ersten kräftigen Dämpfer unter Freunden musste sie kürzlich bereits einstecken.
Sofa-Eigentümer Edler, den Sager gern als neuen Parteisprecher sähe, erhielt kürzlich bei einem „Meinungsbild“ unter führenden Realos keine Mehrheit für seine Kandidatur. Der sich in der Rolle eines programmatischen Erneuerers gefallende frühere Bürgerschaftsabgeordnete war voriges Jahr federführend bei der Verfassung des „Reformpapier GAL 2000“, in dem es von Vokabeln wie modern, offen, innovativ und kreativ nur so wimmelt.
Jetzt votierte eine Mehrheit für seinen Konkurrenten Jo Müller, ehemaliger Bremer Bundestagsabgeordneter sowie jüngst gescheiterter Herausgeber und Chefredakteur der Hamburger Rundschau. Bereits zwei Mal hatte der als polarisierend geltende glänzende Rhetoriker versucht, Parteichef in Hamburg zu werden. Im August 1996 wurde er – bereits in der Qualifikation auf Edlers Sofa – zugunsten Krista Sagers aussortiert; zwei Jahre später verlor er auf der Mitgliederversammlung in offener Abstimmung gegen Co-Realo Peter Schaar, dessen Nachfolger er jetzt wenigstens werden möchte.
Die Kompromissformel lautet nun, dass auf der Landesmitgliederversammlung am 9. September mit Edler und Müller sich erneut zwei Flügelfreunde der Basis stellen, auf dass, wie Krista Sager meint, „die Basis auswählen kann, wen sie haben will“.
Federn vor dem Sprung?
Vakant ist auch die andere Hälfte der Doppelspitze an der Parteiführung. Nach Peter Schaar im Mai hat inzwischen auch die parteilinke Kordula Leites erklärt, nach eineinhalb Amtsjahren nicht zur Wiederwahl anzutreten. Die sportbegeisterte Lehrerin, die es im leicht skurrilen Kneipenspiel Tisch-Eishockey 1996 sogar bis zum Weltmeisterin-Titel brachte – und diesen übernächste Woche beim WM-Turnier im schweizerischen Davos wiederholen möchte – folgte im Februar 1999 als linke Landesvorstand-Sprecherin auf Antje Radcke, die an die Parteispitze der Bundesgrünen gewechselt war.
Und eben letztere tritt nun erneut in der Hansestadt an – je nach Interpretation überredet oder überzeugt von linker Prominenz, die in ihr ein politisches Schwergewicht sieht, das sich selbst von konfrontationsbereiten Realos nicht so leicht aus dem Gleichgewicht bringen lässt.
Erst vor zwei Tagen wurden Radckes Absichten bekannt – absichtlich lanciert, während die Kandidatin auf Malta im Urlaub weilt. „Da hat jemand gezielt versucht, Antje zu verbrennen“, glaubt eine ihrer Förderinnen. Vorzeitige Namhaftmachung durch gezielte Indiskretion schmälert im polittaktischen Geschäft häufig genug die Chancen, denn potentielle Gegner gewinnen Zeit zum Austeilen verbaler Prügel.
So wundert es denn auch nicht, dass Krista Sager sofort zum Angriff blies. Radcke müsse der Partei erklären, „warum die Argumente für ihren Rückzug aus Berlin in Hamburg nicht gelten sollen“. Immerhin habe Radcke „aus Protest gegen die eigene Partei“ nicht erneut kandidiert. Ihr sei es alles andere als einsichtig, so Sager, „ob so ein Verhalten jemanden besonders befähigt, die GAL im bevorstehenden Wahlkampf zu motivieren“.
Radcke hatte sich im Juni nicht zur Wiederwahl für einen bundesgrünen Sprecherposten gestellt, nachdem die Partei den von ihr vehement kritisierten Atomkompromiss mit der Energiewirtschaft akzeptiert hatte. Allerdings galt die Hamburgerin auch als chancenlos gegen ihre KuK-KonkurrentInnen Renate Künast und Fritz Kuhn, die der heimliche Parteichef Joschka Fischer als offizielle Parteivorsitzende sehen wollte.
Was Sager für sich behielt, ist die Tatsache, dass sie von Radckes geplanter Rückkehr keineswegs überrascht wurde. Sie war bereits vor Tagen von einer linken Wortführerin vorgewarnt worden und hatte sich vehement gegen die 40-jährige Literaturpädagogin ausgesprochen, der sie von Herzen abgeneigt ist, obwohl sie und Radcke als GALlige Doppelspitze 1997 die Grünen auf die Hamburger Senatsbänke geführt hatten.
Fraktionsvize Martin Schmidt, einer der führenden strategischen Köpfe der Realos, hingegen hatte sich in Vorgesprächen positiv über eine Kandidatur Radckes geäußert. Das würde, so denkt der altgediente Politfuchs, zu einer Versöhnung von Linken und Realos führen, wenn sie sich nach altbewährtem Strickmuster auf ein gemeinsames Team für die Doppelspitze einigen könnten: Radcke und Müller.
Das Kalkül linker StrippenzieherInnen, das hinter dieser Personalie steckt, ist leichter zu durchschauen als zu durchkreuzen. Radcke als alte und neue Parteichefin, zusammen mit einem männlichen Realo als gleichberechtigtem Doppelpartner könnte die Partei wieder zusammenschmieden im Hinblick auf die Bürgerschaftswahl im Herbst nächsten Jahres. Der – von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen – in Lethargie erstarrte linke Flügel, seit dem Auszug des Regenbogens im Mai vorigen Jahres arg dezimiert, sähe einen Silberstreif am Horizont. Mit der zur Führungsfigur taugenden Antje Radcke würden sich wieder Perspektiven für eine gemeinsam agierende Grüne und Alternative Liste eröffnen. Ob diese Rechnung aufgehen kann, ist vollkommen offen.
Wenn Radcke aber auf der Mitgliederversammlung am 9. September durchfiele, würden viele innergallische Rest-Linke dies als Aufkündigung des kleinsten gemeinsamen Nenners betrachten. Dem Regenbogen würde das Terrain links von den stadtstaatlichen Grünen konkurrenzlos überlassen; Übertritte auch prominentester Linker, die bislang noch in der GAL ausharren, wären dann nicht auszuschließen: Eine politische Flurbereinigung mit unabsehbaren Risiken und Nebenwirkungen für Ja- wie für Nein-Sager.
Neue Bezüge
In der Mitte der GAL „verorten sich“, wie das auf Neusprech heißt, diejenigen, die sich für unabhängig halten. Wieviele das sein mögen, ist unklar. Da sie wortreich das ablehnen, was sie „überkommene Flügelmuster“ nennen, ist jenes Zentrum eher amorph. Je nach Blickwinkel werden ihm 30 oder gar 60 Prozent der knapp 1400 GAL-Mitglieder zugerechnet. Sicher ist lediglich: Die Unabhängigen sind eine an Zahl und Einfluss wachsende und unberechenbare Größe in der GAL geworden.
Der harte Kern jedoch kommt fast ausnahmslos aus der Grünen Jugend oder deren Umfeld, vor allem aus der Grünen Hochschulgruppe an der Universität Hamburg. Die WortführerInnen verstehen sich in erster Linie als „jung, pragmatisch und undogmatisch“ und mosern bei jeder sich bietenden Gelegenheit über die „Old-Men-Connections“ der Alt-68er, deren Mitglieder oft genug ihre Eltern sein könnten. Sie zeichnet zumeist eine Zielstrebigkeit aus, die nicht nur altgediente Parteilinke als Karrieregeilheit beargwöhnen.
Zu gewisser Prominenz in Hamburg haben es bereits Rachel Jacobssohn und Christian Sili gebracht. Die Abiturientin aus Nien-dorf, die im Herbst mit dem VWL-Studium an der Hamburger Uni beginnen wird, war bis vor kurzem Vorsitzende der Grünen Jugend in Hamburg und ist Mitglied im Landesvorstand der GAL. Sie arbeitete intensiv an Edlers GAL-2000-Projekt und stimmt durchgehend mit den Realos, will sich „von denen aber nicht vereinnahmen lassen“.
Der 25-jährige Christian Sili, Bezirksabgeordneter in Nord, steht seit kurzem an der Spitze der Grünen Jugend. Der Geschichtsstudent will noch rasch sein Examen bauen und dann im nächsten Herbst in die Bürgerschaft einziehen. Sili ist ein typischer Vertreter des aufmüpfigen grünen Nachwuchses, der „das bisherige Rechts-Links-Denken“ abschaffen und durch das ersetzen will, was nicht nur er „Nach-Vorne-Denken“ nennt.
Die Frau, die auf diesem Weg vorangehen soll, heißt Heike Opitz. Die 25-jährige Jura-Studentin im Examen will am 9. September ebenfalls Parteichefin werden. Sie stehe „für einen Politikwechsel durch Generationenwechsel“, sagt die aus Aachen stammende ehemalige Bundesvorsitzende der Grünen Jugend, und grenzt sich sofort von den Linken um Antje Radcke ab. Sie verstehe nicht, so Opitz, „wie eine Frau, die sich selbst nicht mehr in der Mitte der grünen Partei sieht, in Hamburg Vorstandssprecherin werden kann“. Radcke, die nach grüner Tradition direkte Konkurrentin für Opitz um den Frauenplatz an der Parteiführung ist, stehe „für ein Rollback zu alten Flügelstrukturen“.
Sili assistiert sofort, dass die „Politrentnerin“ Radcke für die Grüne Jugend unwählbar sei. Ein „Aufbruchsignal“ könne nur von einer „jungen, selbstbewussten und modernen Grünen wie Heike Opitz“ ausgehen.
Krista Sager stellt derweil demonstrative Gelassenheit zur Schau. Was Radckes und ihre Linken da so anstellten, müssten die selbst verantworten. Sie findet, Kurt Edler und Heike Opitz seien ein Team mit Zukunft. Ganz unabhängig auf dem Sofa.
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