piwik no script img

Warten auf irgendwas, das nun kommen müsste

Am Majakowskiring in Berlin-Pankow siedelte in den 50er-Jahren die Politprominenz der DDR. Von der ist heute nur Lotte Ulbricht geblieben. Und auch die Träume der Immobilienhändler, die hier nach der Wende ein Nobelviertel ansiedeln wollten, sind verflogen. Diplomaten verließen sogar das einstige Botschaftsviertel im Osten. Jetzt entstehen kleinteilige Stadtvillen mit Eigentumswohnungen

von RALPH BOLLMANN

Die Fenster zur Straße sind immer dunkel. Ganz hinten, vom Flur her, schimmert ganz schwach ein wenig Licht hervor. „Bitte keine Reklame einwerfen“, steht auf dem Briefkasten. Und neben der Tür, schwarz eingraviert in helles Metall, ganz unscheinbar der Name: Ulbricht. Drei Jahre noch fehlen der Witwe des Staats- und Parteichefs am vollen Jahrhundert – „die Queen Mum des Majakowskirings“, wie Anwohner sagen.

Bleiben Touristen zu lange vor dem Haus Nummer 12 stehen, tritt Lotte Ulbricht ans Fenster und vertreibt unwirsch die ungebetenen Gäste. Nur von alten Genossinnen lässt sie sich gelegentlich ausführen, aufgestützt oder im Rollstuhl. „Sie macht keinen lebhaften Eindruck“, berichtet eine Nachbarin. So selten zeigt sich die alte Dame auf der Straße, dass eine Mitarbeiterin der Pankower „Literaturwerkstatt“, am anderen Ende des Majakowskirings gelegen, schon argwöhnt: „Womöglich ist sie inzwischen doch schon tot.“

Die Herren in Pankow

Rund ein Jahrzehnt lang hatte die versammelte Polit-Prominenz des Arbeiter-und-Bauern-Staats am Majakowskiring in Berlin-Pankow residiert, bis der Tross zu Beginn der 60er-Jahre ins entlegenere Wandlitz weiterzog. Die Funktionäre aus der dritten Reihe blieben an der Panke zurück. „Die Herren in Pankow“ – das war für Konrad Adenauer das Synonym für die Machthaber eines Staates, dessen drei Buchstaben er nicht in den Mund nehmen mochte.

Nach dem Fall der Mauer ließ der Name des russischen Dichters Wladimir Majakowski, den die Straße seit 1950 trägt, in den Augen westdeutscher Immobilienmakler zunächst die Dollarzeichen aufleuchten. Wenige Kilometer von der Innenstadt entfernt und doch schon mitten im Grünen gelegen, direkt neben dem Park des Schlosses Niederschönhausen und inmitten des Ostberliner Diplomatenviertels gelegen – alles sah danach aus, als könnte das Sträßchen den Westberliner Nobelvierteln wie Dahlem oder Grunewald alsbald Konkurrenz machen.

Die Hoffnungen haben sich nicht erfüllt. Fast zehn Jahre lang hielt der Bund, der die Grundstücke aus dem DDR-Vermögen erbte, die Villen für Bonner Umzügler reserviert. Doch der Bedarf der Beamten fiel niedriger aus als erwartet, und die Diplomaten zog es in die Nähe des Regierungsviertels. Die Außenstelle der Indischen Botschaft hat den Majakowskiring mit dem Regierungsumzug verlassen, auch die frühere Residenz des belgischen Botschafters steht jetzt leer. Sie habe den Eindruck, man lasse den Ring verkommen, klagte die letzte Diplomatin aus Brüssel.

Pension für Bauarbeiter

In einem der früheren Gästehäuser hat sich jetzt eine Pension niedergelassen. Neben einigen Touristen logieren dort vor allem Bauarbeiter. Selbst das kleine Haus des Schriftstellers Hans Fallada, der das letzte Jahr vor seinem Tod hier verbrachte, war zeitweise mit 75 portugiesischen Arbeitern belegt. „Abends standen in der ganzen Straße Baufahrzeuge“, sagt der Anwohner Hermann Jörissen.

Der Referatsleiter aus dem Wirtschaftsministerium war einer der wenigen Bundesbediensteten, die sich tatsächlich am Majakowskiring niederließen – schon 1993. „Ich wollte wie in Bonn ein Häuschen mit Garten haben“, sagt Jörissen, „über die Vorgeschichte dieser Gegend war ich nicht sonderlich informiert.“ Im Wohnzimmer der Familie sieht es aus wie in den meisten Häusern am Majakowskiring. Viele Bücher, ein Klavier – eine Gegend für Bildungsbürgertum aus Ost wie West, das allerdings eher nebeneinander als miteinander lebt.

„Angenehme Gleichgültigkeit“: So umschreibt der Beamte das Verhältnis zu den Nachbarn. Auf ein freundliches „Guten Tag“ beschränke sich auch der Kontakt zu Egon Krenz, der – wenn er gerade Freigang hat – in einer Seitenstraße wohnt. „Man drängt sich nicht danach, mit ihm ein Herz und eine Seele zu werden“, gesteht Jörissen – auch wenn sich der Honecker-Nachfolger im Gegensatz zu Helmut Kohl stets an die Gesetze halte.

Brennt abends im Keller des geräumigen Flachdach-Bungalows noch Licht, dann können Passanten einen Blick auf Krenz-Sohn Carsten erhaschen. Gerade erst hat der 28-Jährige unter heftiger Anteilnahme der Ostberliner Boulevardpresse die Krankenschwester Verena Struck geehelicht. Für die taz bleibt da keine Zeit mehr: Frühestens „in sechs oder acht Wochen“ könne er ein paar Minuten erübrigen, lässt der „Medienmanager“ wissen, der in früheren Zeiten weitaus redseliger war. Vier Mitschüler mussten 1988 die Pankower Ossietzky-Schule verlassen, weil sie auf einer Wandzeitung gegen DDR-Militärparaden protestierten. Da hatte der Krenz-Filius zu Hause wohl zu viel geplaudert.

Rausschmiss mit Folgen

Ein Rausschmiss war es auch, durch den das Haus des ersten DDR-Ministerpräsidenten Otto Grotewohl zu literarischen Weihen kam. Kaum hatte der Schriftstellerverband neun Mitglieder ausgeschlossen, die gegen die Biermann-Ausbürgerung protestiert hatten, prompt durfte sich die Organisation zum Dank in der Grotewohl-Villa niederlassen. Seit der Wende macht in dem Haus die Literaturwerkstatt Pankow weit über Berlin hinaus von sich reden. Noch. Eine Erbengemeinschaft hat ihre Ansprüche auf das Haus angemeldet.

Für die Arbeit der Literaturwerkstatt, betont Mitarbeiterin Swantje Marschhäuser, habe die Vergangenheit der Straße keine Bedeutung. „Diese Menschen spielen einfach keine Rolle mehr“, sagt sie. Das Haus freilich atmet noch allenthalben den Charme der DDR. Auch die österreichische Autorin Marlene Streeruwitz ließ sich als Stipendiatin im Gartenbungalow des Grotewohl-Hauses zu ihrem Buch „Majakowskiring“ inspieren: Zwischen „orangebraunbeige gestreiften Sesseln“ sitzt eine Wiener Journalistin, arbeitet ihre Vergangenheit auf und wartet auf irgendwas, das nun kommen müsste – wie das ganze Viertel um den Majakowskiring, das Anwohner Jörissen in einem „ungeklärten Schwebezustand“ sieht.

Kleinteilige Villen

Schon begonnen hat die Zukunft für die Bremer Immobilienfirma Allbau. Haben sich die Blütenträume von einem echten Nobelviertel nicht erfüllt, dann baut man statt eines Einfamilienhauses eben eine „Stadtvilla“ mit sieben Eigentumswohnungen. Vier davon seien schon nach wenigen Wochen so gut wie verkauft, frohlockt Allbau-Mann Hans-Peter Biernoth: „Ich habe den Standort wohl richtig eingeschätzt.“ Sogar eine Botschaft hält am Majakowskiring wieder Einzug: Ein „Dr. habil.“ vertritt die Interessen Kasachstans. Das „weiße Haus“ indes, eine neoklassizistische Villa und einst Wahllokal der Politprominenz, wartet bislang vergeblich auf einen Käufer.

Was auch immer aus dem Majakowskiring wird: Die alten Mietverträge sind sicher, beteuert die Bundesvermögensverwaltung. So wird abends, wenn die Dunkelheit über Pankow niedersinkt, ein schwacher Lichtschein aus dem Haus Lotte Ulbrichts zu den Passanten nach draußen dringen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen