: Drohgebärden
Immerhin: Chiles Militär hat ganz gut verstanden, dass es beim Prozess gegen Pinochet um die Militärdiktatur insgesamt geht
BERLIN taz ■ Das chilenische Militär hat reagiert – verhalten, aber doch deutlich verärgert. Zur gleichen Zeit, als ein Gerichtssprecher vor dem Obersten Gerichtshof in Santiago die 14:6-Entscheidung für die Aufhebung der Immunität von Ex-Diktator Augusto Pinochet bekannt gab, fanden sich die Chefs aller Waffengattungen auf Pinochets Landsitz ein, um ihm ihre Solidarität zu versichern.
Die Zeitung La Tercera berichtet unter Berufung auf Militärquellen, innerhalb der Streitkräfte herrsche nach der Immunitätsaufhebung das Gefühl der Erniedrigung. „Diejenigen, die 1973 (beim Militärputsch) den Krieg verloren haben, urteilen heute über uns, was früher oder später Konsequenzen haben wird“, zitiert La Tercera die ungenannte Quelle – eine Drohgebärde.
Das Militär hat politisch richtig verstanden, dass es beim Prozess gegen Pinochet nicht nur um dessen Person geht, sondern um eine Neubewertung der Militärdiktatur insgesamt – was die Generäle weiterhin verhindern möchten. Das Militär und die politische Rechte sieht in dem Gerichtsentscheid denn auch kein Urteil einer unabhängigen Justiz, sondern ein Manöver der in der Regierung tonangebenden Sozialisten.
General Ricardo Izurieta, der Oberste Befehlshaber, ließ klar durchblicken, er verstehe das Urteil auch als eine Verletzung des Abkommens, das der „Runde Tisch des Dialogs“ über den Umgang mit der Vergangenheit im Juni getroffen habe. Die Regierung, einige Menschenrechtsanwälte und die Militärs waren darin übereingekommen, ein Vertrauensverhältnis zu schaffen, sich einer politischen Bewertung der Ereignisse zu enthalten, die Menschenrechtsverletzungen jedoch aufzuklären.
Das Militär hatte sich bereit erklärt, seine Informationen bereitzustellen, um den Verbleib der Verschwundenen aufzuklären. Die Pikanterie dabei: Alle Anklagen gegen führende Militärs sind heute nur möglich, weil die Opfer eben verschwunden sind. Denn so gilt das Verbrechen als bis heute andauernd und fällt nicht unter die Amnestiegesetze, die alle vom Militär zwischen 1973 und 1978 begangenen Verbrechen außer Strafe stellen. Sobald also bekannt wird, wann und wo jemand ums Leben gekommen ist, geht der Täter straffrei aus. Die Angehörigen der Verschwundenen hatten nicht zuletzt aus diesem Grund dem Abkommen ihre Zustimmung verweigert – die Militärs pochen nun darauf und fühlen sich durch die Immunitätsaufhebung Pinochets verraten.
BERND PICKERT
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