Lüthje macht es für den Dicken eng

Nach den jüngsten Enthüllungen wollen führende CDU-Politiker Helmut Kohl bei den Feierlichkeiten am 3. Oktober ein Redeverbot erteilen

von KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT

Wenn am 3. Oktober beim zentralen Festakt zum zehnten Jahrestag der deutschen Einheit in Dresden die Festreden gehalten werden, fehlt einer: der „Kanzler der Einheit“. Helmut Kohl soll den Mund halten. Darin lässt sich sein alter Intimfeind Kurt Biedenkopf, jetzt Ministerpräsident des Landes Sachsen, das die Feier ausrichtet, auch durch einen Sturm der Entrüstung besonders bei der CSU nicht beirren. Er hat Kohl zwar persönlich „herzlich“ eingeladen zu kommen. Aber eben nicht als Redner. Erboste Unions-Prominente sprechen schon vom „Boykott“ der Veranstaltung. SPD und Bündnisgrüne stehen ganz auf Biedenkopfs Seite: Schließlich begehe Kohl mit seiner andauernden Weigerung, die Namen der Personen oder Institutionen zu nennen, die ihm persönlich über Jahre hinweg größere Summen spendeten, „fortwährend Rechtsbruch“. Und bald könnte Kohl sogar ungestraft „Lügner“ genannt werden.

Denn in der Affäre der Union um schwarze Kassen und schwarze Konten im In- und Ausland hat der ehemalige Generalbevollmächtigte der Union, Uwe Lüthje, in seiner schriftlichen Antwort auf 15 Fragen des Untersuchungsausschuss des Bundestages den Ex-Kanzler jetzt schwer belastet (siehe unten stehende Dokumentation). Kohl habe sehr wohl Kenntnis von der Auflösung eines Schwarzgeldkontos der CDU (Stiftung Norfork) in der Schweiz gehabt, auf dem illegal rund 1,5 Millionen Schweizer Franken deponiert waren. Er selbst, so Lüthje, habe den Kanzler und Parteivorsitzenden schon 1992 am Rande eines Parteitages in Düsseldorf informiert: über die Auflösung des Kontos und über die Verteilung der Gelder. Kohl hat das immer bestritten. Glaubt man Lüthje, ist die „Kohle“ vom damaligen Schatzmeister der Partei, Walther Leisler Kiep, brüderlich geteilt worden. Er habe etwas bekommen, räumte Lüthje ein, und auch der damalige CDU-„Wirtschaftspüfer“ Horst Weyrauch, der Mann mit dem Koffer. Weyrauch brachte wohl nicht nur für die hessische CDU das in der Stiftung „Zaunkönig“ in Liechtenstein gewaschene Geld von den schwarzen Konten in der Schweiz zurück nach Wiesbaden und Bonn. Dass sich auch Kiep selbst, wie von Lüthje behauptet, eine „Abschlusszahlung“ in Höhe eines Drittels der Summe habe zukommen lassen, war von Kiep bei seiner Vernehmung vor dem Ausschuss vehement dementiert worden.

Wer lügt? Wahrscheinlich alle – irgendwie. Unterlagen zu diesem Komplex aus einem „Safe“ wurden vernichtet. Dass es diesen „Safe“ gab, wusste Kohl. Dass die dort deponierten Unterlagen zu dem illegalen Konto in der Schweiz gehörten und dass darin auch Papiere über die Stiftung Norfork lagerten, das sollte er nicht gewusst haben?

Wie immer in der jüngeren Vergangenheit, wenn er sich in die Enge getrieben sah, schlüpft er schnell von der Täter- in die Opferrolle: Ein „Rufmordkartell“, so echauffierte sich Kohl am Wochenende, verfolge nur das eine Ziel, ihn zu „kriminalisieren“ und sein Ansehen im In- und Ausland zu zerstören. Ein Rufmordkartell? Kohl wurde auch konkret. Zur Hatz auf ihn blasen würden „Akteure aus Regierungsstellen, Regierungsparteien und Teilen der veröffentlichten Meinung“. Auf diese Weise sollten die 16 Jahre seiner Regierung „kaputtgemacht“ werden.

Und dann bekräftigt er noch einmal, er werde die Namen derer, die bei ihm persönlich Parteispenden eingereicht haben, „niemals“ nennen. Dass die Weltfirma Siemens dem damaligen Kanzler – oder der CDU – eine Million Mark gespendet haben soll, so Gerüchte, wurde von Kohl schon am 29. Juni 2000 vor dem Untersuchungsausschuss dementiert – und später auch von Siemens. Kohl wörtlich: „Wenn Siemens eine Million gespendet hätte, hätte ich das erfahren.“ Im Bericht von Lüthje liest sich das aktuell anders: „Ich habe eine Spende in Höhe von einer Million Mark von Siemens entgegengenommen. In „diskreter Weise“ sei ihm das Geld in einem Hotel in Zürich „in einer Tasche übergeben worden“. Wer lügt? Lüthje oder die Verantwortlichen bei Siemens? Und was wusste Kohl tatsächlich?

Lüthjes Aussage deckt jedenfalls eins auf: Bei den in die ganze schmutzige Affäre der CDU verwickelten Personen kämpft inzwischen jeder gegen jeden, aktuell schon auf Bundesebene und bald wohl auch in Hessen.