: „Zivilgesellschaft ist, wo zivile Personen sind“
Anetta Kahane, Leiterin der „Regionalstelle für Ausländerfragen, Jugendarbeit und Schule“ in Berlin, über Repression gegen rechts
taz: Sie haben beklagt, dass es in Deutschland keine Zivilgesellschaft gebe. Am Wochenende haben Tausende gegen rechts demonstriert. Hat die Debatte etwas bewirkt?
Anetta Kahane: Ich will gar nicht sagen, dass sich nichts tut. Es geht mir um die Art des Diskurses, der immer noch nicht auf das wirkliche Phänomen gerichtet ist, sondern nur auf Symptome. Zwar geht die Diskussion weg von reinen Repressionsmaßnahmen. Aber was konkret geschehen soll, ist nicht klar. Auch nicht bei den Grünen.
Lässt sich Zivilgesellschaft von oben verordnen?
Es ist doch völlig egal, woher der Anstoß kommt. Zivilgesellschaft ist da, wo zivile Personen sind – ob Zentralratsvorsitzender, Polizeipräsidentin oder Arbeiter. Es kommt auf Menschen an, die den Blick klar auf das Problem richten. Das Problem ist ein Demokratiedefizit und ein jahrzehntealtes Defizit im Umgang mit Minderheiten, Ausländern und Flüchtlingen. Man kann nicht in vorauseilendem Gehorsam vor den Rechten den Rechtsstaat demontieren, indem man schärfere Gesetze fordert. Man muss den langen und schwierigen Weg gehen, Demokratie mit Leben zu füllen.
Einfach scheint der Schulterschluss zwischen oben und unten nicht, wenn man den Streit um das von Innenminister Schily initiierte Bündnis für Demokratie und Toleranz betrachtet.
Es ist wichtig, dass die Diskussion partnerschaftlich geführt wird. In Bezug auf das Subsidiaritätsprinzip gibt es in der Tat einen Widerspruch zwischen Zivilgesellschaft und Staat. Bei Maßnahmen gegen rechts muss man darauf achten, dass keine Abhängigkeit von staatlichem Geld und staatlicher Dominanz entsteht. Es gibt viele Fälle, in denen Leute von Politik und Verwaltung unter Druck gesetzt wurden, weil sie den Finger zu sehr auf die Wunde gelegt haben. Leute, die sich zivilgesellschaftlich engagieren und dafür Geld brauchen, müssen unabhängig bleiben.
Ist Zivilgesellschaft nur eine Frage des Geldes? Müsste der Widerstand nicht aus der Mitte der Gesellschaft kommen?
Er kommt aber nun einmal nicht. Ein verändertes Klima in einer Kommune ist nichts, was ein Zentralratsvorsitzender verordnen könnte. Das müssen Leute vor Ort tun, die Solidarität brauchen. Wenn es solche Menschen nicht gibt, muss man die Auseinandersetzung notfalls auch mit professioneller Beratung und durch Druck von oben führen. Alle wollen immer schnelle Lösungen. Es gibt aber keine schnellen Lösungen für Demokratieentwicklung.
Jugendforscher Wilhelm Heitmeyer glaubt, dass Zivilcourage Einzelner gegen das Gruppenphänomen Rechtsextremismus nichts ausrichten kann.
Es muss gehandelt werden, aber gemeinschaftlich. Jeder Einzelne muss sich überlegen, was er in seinem Kontext tun kann. Es hilft nichts, zum hundertsten Male mehr Jugendarbeit zu fordern, wie es Renate Künast gerade getan hat. An Menschenrechten orientierte Jugendarbeit nützt nichts, wenn sie nicht in die Kommune eingebunden ist und von Jugendhilfeausschuss, Eltern und Lehrern unterstützt wird. Dazu gehört Mut, von allen Seiten.
INTERVIEW: NICOLE MASCHLER
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