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Aus dem gleichen Schrot und Blech

Automobilliebe ist schöner als Sex: Dominic Sena erhebt in seinem Film „Nur noch 60 Sekunden“ den Karossenklau zu einer noblen Sache. Der Plot um männliche Allmachtsgefühle ist gnadenlos konventionell – aber immerhin wird dabei eine Menge Holzspielzeug, als Inbegriff des Bösen, zertrümmert

von DIEDRICH DIEDERICHSEN

Autofahren ist wie Sex. Mit dem Zaunpfahl dieser weder neuen noch originellen und vor allem zutiefst unplausiblen Idee wird in „Nur noch 60 Sekunden“ so lange hartnäckig gewunken und gewedelt, bis sich endlich jemand traut, sie auszusprechen. Die eine Frau nämlich. Angelina Jolie ist die einzige menschliche Trägerin eines weiblichen Vornamens, die anderen sind Autos. Ihrem Ex, dem legendären besten Autodieb aller Zeiten, Nicolas Cage, stellt sie schließlich die allerdings im Trailer schon verbratene Frage: „Was ist besser – Sex oder Autos klauen?“ Cage, der alte Dialektiker, denkt einen Moment nach, dann dämmert die Synthese und hellt seine Züge auf: „Sex beim Autoklauen!“

Dass eine irgendwie regredierte Männersexualität, je nach Auslegung, sich in Autoliebhaberei verwirklicht oder beim Autowaschen irgendwas sublimiert, ist natürlich auch nicht neu. Hier wird das mit der handelsüblichen Ironie vorgetragen, die von Affirmation nicht mehr zu unterscheiden ist. Aber trotzdem versteht man diesen Allgemeinplatz anschließend etwas besser: Es geht wohl darum, dass zum Sex ein Objekt gehört, das nicht ganz tot ist, das sich bewegt, möglichst schnell und kraftvoll und unter kehligem Geräusch. Und dieses Objekt soll sogar manchmal Subjekt werden und spinnen, Macken haben, ja sich verweigern. Sie springt heute einfach nicht an. Dann aber zeigt sich der Vorteil des Autos: Man öffnet die Haube und tauscht ein paar Teile aus, ölt und schraubt und die Alte ist wieder wie neu.

Der Plot um dieses wunderbare Allmachtsgefühl des ansonsten überall gesellschaftlich abgemeldeten Mechaniker-Mannes ist so konventionell, dass man ihm mit einem Minimum an Hirnaktivität folgen kann. Ein Mann war der Beste. Er hatte alle Autos geklaut bis auf eines, das er Eleanor nennt. Dann hat er seiner Mutter versprochen, sich vom Klauen zurückzuziehen. Nun gerät sein Bruder in die Kacke. Tod durch Italiener droht. Und da er der Mutter auch versprochen hatte, den Bruder zu schützen, dies aber nur möglich ist, wenn er 50 Autos für die Italiener klaut, hebt das eine Mutterversprechen das andere auf. Und dann gibt es noch einen Bullen, seinen alten Gegenspieler, hart, aber herzlich. Aus dem gleichen Schrot und Blech. Liest auch die ADAC Motorwelt. Und wie immer in solchen Filmen hat das Über-Ich eine dunkle Hautfarbe. Samuel L. Jackson nobilitiert ja auch jeden Rollenschrott. In gewissen Grenzen.

Der Rest ist Autoklauen. Und da wurden weder Kosten noch Mühen gescheut. Robert Duvall als eine Art Guru der Bewegung stellt seine Museumsgarage als Räuberhöhle zur Verfügung – ein paar Winke an kalifornische Car-Culture-Klassiker sind zu erkennen: die tiefer gelegten Low-Rider der Chicano-Kultur und die kunstvollen Besprühungen à la Big Daddy Roth. Doch wird das nie zu speziell. Im Wesentlichen geht es um deutsche und italienische Sportwagen, von denen jeder Autofahrer und Hundehalter träumt. Maseratis, falsch ausgesprochene Lamborghinis und die üblichen bayerischen und schwäbischen Unansehnlichkeiten. Trotzdem ist es dann richtig toll, wie all diese Blech- und Chromladys aufgedonnert und zum Glänzen gebracht werden, gewienert und geschrubbt unter Einsatz sämtlicher Waschanlagen von L. A. County, um dann in den nun wirklich schön geschnittenen und rasant sich zu orientierungsverlorener Rammdösigkeit auftürmenden Verfolgungs- und Kollisionsszenen zerdeppert und zerseidelt zu werden. Ein komischer Timecode, der dabei eingeblendet wird, soll Spannung erzeugen.

Irrerweise ist in Dominic Senas Film jede Topographie und urbane Kohärenz völlig außer Kraft gesetzt worden. Auch wer noch nie in Los Angeles war, wird nicht glauben können, dass eine Brücke, die eben noch an Ölanlagen und Industriegebieten vorbeiführte, direkt und ohne Zeitverlust auf dem eingeblendeten Countdown mitten ins belebte Herz von Downtown führt.

Das Schönste an dem Film ist der Versuch, die Autofrisiererei und Klauerei, die ganze retardierte Männlichkeit ganz ironiefrei zu einer noblen Sache zu erklären. Dazu bedarf es klarer Zuordnungen in der Form eines Chiasmus: Der böse Italiener ist erkennbar böse. Die guten Autodiebe sollen lieb und gut sein. Um das zu erhärten, wird nun der böse Italiener zum Liebhaber von Holz erklärt, zum Conaisseur delikater Drechslerarbeiten und ingeniöser Intarsien. Die darf Cage am Ende dem verdienten Ende allen Holzspielzeugs zuführen und gnadenlos kaputtmachen. Und wenn Holz zu den Bösen gehört, wird der Blechfreund auf der anderen Seite automatisch gut. Und unter dieser, nur unter dieser Bedingung ist auch dieser Rezensent bereit, sich auf die Seite des Blechs zu schlagen: in der Liebe und im Kampf gegen die Ideologie des Holzes ist ihm jede Verkehrsübertretung erlaubt.

„Nur noch 60 Sekunden“. Regie: Dominic Sena. Mit Nicolas Cage, Angelina Jolie, Samuel L. Jackson u. a. USA 2000, 118 Min.

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