Ein sanfter Ruf nach innen

■ Sehen, Riechen, Fühlen, Hören und Schmecken als Teil der Therapie / Für Wachkoma-Patienten im Rehazentrum Friedehorst gibt es jetzt in Bremen einen „Sinnesgarten“

Eine grüne Wiese, Beete mit duftenen Blumen, Bäume, durch deren Zweige die Sonne scheint, vielleicht sogar ein plätschernder Bach: Etwa so stellt sich der medizinische Laie einen „Sinnesgarten“ für Wachkoma-Patienten vor. Doch das Gelände, das Sozialsenatorin Hilde Adolf (SPD) gestern im Reha-Zentrum Friedehorst einweihte, sah ganz anders aus, als erwartet.

Schließlich sind die Bewohner der Einrichtung im Bremer Norden unfähig, sich in irgend einer Form selbst zu bewegen. Sie sind in der Lage, zu atmen und zu schlucken – mehr nicht. In welchem Zustand sich ihr Bewusstsein befindet, ist immer noch ein Rätsel. Nach schweren Schädel- und Hirnverletzungen ins Wachkoma gefallen und komplett abhängig von der Hilfe anderer, müssen sie im Rollstuhl sitzen. Da wäre ein Rasen als Untergrund eines therapeutischen Gartens einfach unpraktisch.

Also haben die Planer – Landschaftsarchitekten, Angehörigen und Stationsleiter – kleine, glatte Steinplatten verlegen lassen. Die Pflanzen wachsen nicht unten auf der Erde, sondern in einem Hochbeet. Die Bergenien, der Wollziest und all die anderen Gewächse befinden sich damit in Rollstuhlhöhe, zum Greifen nah.

Und sie haben einiges zu bieten: Pelzige, wollige, weiche, harte, ledrige, spitze Blätter. Einige sind klitzeklein, wieder andere mit einer Hand gar nicht faßbar. Mit Hilfe ihres Begleiters können die Patienten die verschiedenen Blätter berühren. Durch das Sehen, Abtasten und Riechen sollen mehrere Sinne gleichzeitig gereizt werden. Auf diesem Weg ist es den Wachkomapatienten möglich, die Welt überhaupt ansatzweise wieder wahrzunehmen – so die Hoffnung ihrer Therapeuten.

„Früher war das hier ein toter Bereich, nur Rasen“, beschreibt der Stationsleiter Detlev Heilmann den alten Innenhof von Haus 12. Dann kam man auf die Idee, einen Sinnesgarten einzurichten. „Wir machten uns Gedanken, wie wir diese Fläche sinnvoll gestalten können. Deshalb haben wir Elemente aus dem Blindengarten übernommen. Die Situation unserer Patienten ist jedoch eine ganz andere, sie müssen über mehrere Sinne gleichzeitig angesprochen werden um auch wirklich etwas wahrzunehmen.“

So soll im Kräuterbeet nebenan vor allem der Geruchssinn gereizt werden: Dort duftet es nach Oregano, Thymian, Kamille und Melisse und vielem anderen. Gerade diese Geruchswelt soll den Patienten dabei helfen, die kleine Tür zu ihrem Langzeitgedächnis aufzustoßen. „Der Geruch ist der älteste und damit einer der ausgeprägtesten Sinne“, so Hannelora Schwab, deren Lebensgefährte im Haus 12 betreut wird. „Vielen sind diese Gerüche und Düfte vertraut. Das bewirkt etwas bei ihnen.“ Erinnerungen werden aufgerufen und das Gehirn beginnt in winzigen Schritten, die Umgebung wahrzunehmen.

Auch das „Beerenbeet“ – mit Stachel-, Brom- und Heidelbeeren – soll alte Erinnerungen wecken. Dort können die Patienten riechen, fühlen – und vielleicht sogar schmecken. Auf die visuelle Stimulation der Sinnesgarten-Besucher setzt Landschafts-Architekt Stef Schuster dagegen ganz bewusst im „Kontrastbeet“. Hier wurden großflächig bunte Blumen gepflanzt. Zunächst soll es hier blau und weiß blühen.

„Der Garten ist aber nicht nur für Patienten. Auch Angehörige oder Mitarbeiter können sich hier entspannen“, erklärt Schuster. Jetzt fehlt nur noch die Geräuschkulisse als Ergänzung, auf die Brigitte Vollheim, Angehörige eines Komapatienten, hofft. „Leider fehlt das Geld noch, aber wenn wir einen Spender finden, kommt ein Plätschern dazu.“ Der Anschluß für einen Springbrunnen existiert bereits. Christian H. Schuster