: „Ali spannt ein bisschen aus“
Ali, Fatmas Mann, ist abhängig. Und wer abhängig ist, schadet dem guten Ruf der Familie. Also muss er in die Türkei – denn was sollen sonst die Nachbarn hier denken?
aus Berlin HEIKE HAARHOFF
Die Welt besteht aus zwei Gruppen von Menschen: die, die clean sind, und die, die drauf sind. Frauen und Männer also. Wobei auch Männer zuweilen clean sind. Aber die fallen ihr nicht auf. Ihr Auge ist geschult, diejenigen zu erkennen, die aussehen wie Ali, ihr Ehemann. Oder wie der Sohn der Frau rechts neben ihr am Tisch. Oder wie der Bruder der Rothaarigen links von ihr. Männer, die der Anlass ihrer monatlichen Treffen sind. Männer, die besser außer Landes wären. Wenigstens zeitweilig. Bis sie vom Heroin runter und gewillt sind, in Deutschland ein Leben ohne Drogen zu führen. Darüber besteht Einigkeit, hier, in kleiner Frauenrunde am Fenstertisch eines türkischen Cafés in Berlin-Kreuzberg.
Sie hat mir mit Scheidung gedroht, wenn ich es nicht mache. Da habe ich mir das Flugticket besorgt. Für die ersten beiden Tage hatte ich mir heimlich was mitgenommen, ich dachte, du kannst ja schlecht bei deinem Onkel in der Türkei ankommen, den du seit Jahren nicht gesehen hast, und schon bei der Ankunft geht es dir schlecht. Ich wollte ihn nicht schockieren. Er wusste doch von nichts und sollte auch nichts merken.
Man müsse sich das Elend draußen vor der Scheibe nur ansehen, sagt drinnen im Café Alis Frau Fatma Isik (Name von der Redaktion geändert), „um zu begreifen, dass wir selbst tätig werden mussten“. Seit Fatma Isik von der Sucht ihres Mannes weiß, seit sechs Jahren, ist sie selbst Expertin in Sachen Drogen geworden: „Wie ein Leibwächter“ hat sie ihm nachgespürt, sie kennt alle einschlägigen Plätze, U-BahnSchächte und Parkanlagen.
Noch besser aber kennt sie diejenigen, die sie verantwortlich macht – für die Tage, an denen Ali ihr Portemonnaie plündert, und für die Nächte, in denen er nicht nach Hause kommt. „Ich habe mehrmals die Polizei angerufen, ich habe die Dealer genau beschrieben, aber nichts ist passiert. Sie sind immer noch alle auf freiem Fuß.“
Ich weiß nicht, ob du schon mal in einem kleinen Dorf in der Türkei warst. Du kannst da eigentlich nichts machen, weil es nichts zu machen gibt, und wenn du doch etwas machst, dann wissen es sofort alle. Mein Onkel hat nicht viel gefragt, ich glaube, er dachte, ich brauche einfach ein bisschen Erholung.
Viel härter müsse und könne der deutsche Staat durchgreifen, beklagen Fatma Isik und die Mutter des Fixers und die Rothaarige am Tisch mit dem abhängigen Bruder. Alle Dealer einknasten am besten. Oder außer Landes schaffen. Sie reden sich in Rage, eine gute Methode, nicht zu verzweifeln an denen, über die sie zwar in der Selbsthilfegruppe, nicht aber in der eigenen Familie sprechen können: „Wenn herauskommt, dass unsere Kinder krank sind, dann wird das immer noch als Schande empfunden.“
In der Türkei, aus der die Frauen kommen, würden Drogenhandel und selbst Drogenkonsum drakonisch bestraft. „Dort laufen keine Dealer auf der Straße herum.“ Eine Heilungschance für ihre Männer, glauben die Frauen, und schicken sie fort, für Wochen oder auch für Monate: Wo kein Angebot, da auch keine Verführung. Und für sie selbst die Möglichkeit, auf die Fragen nach dem Was-ist-eigentlich-los von Familie und Freundeskreis in Berlin elegant zu erwidern: „Ali spannt ein bisschen aus bei Verwandten in der Türkei.“
Es hat mich beruhigt, dass hier nicht an Heroin zu kommen ist, und falls doch, dann wäre immer noch die Familie davor. Sie spielt eine wichtige Rolle in der Türkei. Sie engt dich ein, aber sie schützt dich auch. Ich dachte, dass ich es so schaffe, ich wollte ja auch aufhören. Aber diese Schmerzen! Die ersten drei Tage sind die Hölle. Schmerzen und Durchfall ohne Ende. Zu meinem Onkel habe ich gesagt, das muss am Klima liegen. Ich weiß nicht, ob er mir das geglaubt hat.
Die Rothaarige arrangierte den Aufenthalt ihres Bruders in der Türkei so, dass er dort gleich zum Wehrdienst eingezogen wurde. Das strenge Militärregime erschien ihr wirksamer als das Drogenhilfesystem Deutschlands, das psychologische Therapie und soziale Beratung anbietet. Ihren Bruder hatte all das nicht von der Nadel weggebracht.
Der türkische Wehrdienst tat das übrigens auch nicht, denn er heilte nur vorübergehend und unter großem Leiden die körperliche Abhängigkeit, nicht aber ihre Ursachen. Doch den Versuch war es wert, sagt die Schwester.
Ich habe wirklich versucht, mich nicht gehen zu lassen, nicht vor meinem Onkel. In diesen türkischen Familienkreisen gibt es das nicht, dass jemand abhängig ist. Aber die Phase, wo du tagelang nicht schlafen kannst, sie ist nicht auszuhalten. Damit ich wenigstens ein bisschen schlafen konnte, habe ich Raki getrunken, ich war ständig betrunken. Meinem Onkel war es peinlich, er musste nun der Familie sagen, ich hätte ein Alkoholproblem.
„Je länger die Abhängigkeit ihrer Kinder dauert und je größer die Scheu der Angehörigen ist, der Ehre wegen oder aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse eine Drogenberatungsstelle aufzusuchen, desto stärker wächst das Misstrauen von Migranten gegenüber Therapieangeboten in Deutschland.“ Der so doziert, heißt Orhan Akbiyik und weiß, wovon er spricht: Der Drogensozialarbeiter, selbst türkischer Herkunft, betreut vor allem MigrantInnen und deren Familien in der Berliner Beratungsstelle „Haltestelle“.
Er rechnet ihnen anhand von Erfahrungswerten vor, dass der Nutzen eines Aufenthalts in ihrem Geburtsland bei mickrigen zwei bis fünf Prozent liegt, was die Heilungserfolge angeht. Und so gut die Initiative gemeint sei und so sinnvoll das kurzzeitige Herausreißen aus Alltag und sozialem Umfeld sein könne: „Was wir brauchen, ist anschließend eine Therapie, die den Abhängigen eine Lebensperspektive ohne Drogen bietet, egal ob in der Türkei oder in Deutschland.“
Nach drei Wochen bin ich nach Hause zurückgeflogen. Es ging mir gut, es war ja mein erster Entzug. Für mich war klar, ich bin geheilt. Dass ich ohne Drogen auskam, wenn ich wollte, das hatte ich ja bewiesen. Noch im Landeanflug auf Tegel habe ich überlegt, wie organisierst du’s dir am besten? Ich bin dann erst gar nicht nach Hause gegangen, sondern direkt zu meinem Dealer.
Doch wer einen Drogenabhängigen in der Familie hat, den interessieren Statistiken und die Vorteile von Fixerstuben und liberaler Drogenpolitik wenig. Den interessiert der Einzelfall. „In diesem Land muss politisch etwas passieren“, sagt Fatma Isik.
Nachgezählt hab ich es nicht, wahrscheinlich war ich vier-, fünfmal in der Türkei, immer in der Hoffnung, diesmal würde es klappen. Tat es aber nicht. Ich habe schließlich acht Monate in Berlin eine Therapie gemacht, mit lauter Ex-Usern. Die verstanden dich, wenn du erzähltest, du hast letzte Nacht geträumt, du hättest was genommen.
In diesem Land passiert politisch etwas, wenn auch schleichend und bislang als Position einer Minderheit. Beispielsweise in Hannover, keine zwei Zugstunden von den Isiks entfernt. Veli Yildirim, Landesvorsitzender der türkischen Sozialdemokraten in Niedersachsen und Mitglied im Ausländerbeirat der Stadt Hannover, will seine Forderung, türkische Junkies zum kalten Entzug in die Türkei zu schicken und türkische Drogenbosse nach ihrer Verurteilung in türkische Gefängnisse, zum Wahlkampfthema der Kommunalwahl in Hannover im kommenden Frühjahr machen.
Jeder ausländische Dealer schade dem Ansehen aller nicht kriminellen Ausländer in Deutschland, und er könne das beurteilen: „Ich bin selbst Ausländer“, sagt Yildirim (37) und fügt ungefragt hinzu: „Keiner kann mir Rassismus vorwerfen.“ So, als sei der eine Frage der Nationalität.
Abgesehen von zwei, drei Rückfällen bin ich dank der Therapie seit drei Jahren clean. Aber ich weiß, dass ich niemals zu 100 Prozent werde sagen können, ich mache es nie wieder.
Innerhalb der SPD in Hannover wird Veli Yildirims Forderung nicht zum Tabubruch erklärt, sondern zur Einzelmeinung. Der gesundheitspolitische Sprecher der Ratsfraktion beteuert, von derlei Wahlkampfthemen nichts zu wissen; Yildirim habe es wohl vorgezogen, sie statt der eigenen Partei erst der Presse vorzustellen.
Der Sozialdezernent warnt vor „Sonderrechten“ und plädiert dafür, sich mit Kranken wie Tätern am Ort des Geschehens auseinanderzusetzen, also in Deutschland. Der Ausländerbeirat schimpft, man habe Yildirim wegen seiner „Alleingänge“ bereits aus dem Vorstand abgewählt; was er fordere, widerspreche jedem Gedanken von Integration. Der versammelte Drogensozialarbeitersachverstand warnt: Abschreckung hat noch nie zum Erfolg geführt. Alis Frau sagt: „Wenn er rückfällig wird, geht er erst mal in die Türkei.“
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