: Perverse Schnellschüsse
In den deutschen Medien sind bis heute AusländerInnen so gut wie nicht gefragt. Statt auf deren Kompetenz verlässt man sich lieber auf die „deutschen Experten“
Hanns Joachim Friedrichs sagte einmal, dass er von der BBC weggegangen sei, weil er wusste, als Ausländer könne er dort nicht weiter kommen. Er war voreilig mit seinem Urteil.
Heute gibt es nicht nur bei der BBC, sondern auch bei den englischen Fernsehsendern ITV und Channel Four NachrichtensprecherInnen und ModeratorInnen indischer, afrikanischer und chinesischer Abstammung. Nicht nur das – sie haben sogar AuslandskorrespondentInnen, die AusländerInnen sind! Und sie müssen nicht Englisch mit Oxford-Akzent sprechen.
In Deutschland sind fast 35 Jahre vergangen, seitdem die ersten Gastarbeiter gekommen sind. Aber immer noch gibt es keinen ausländischen Sprecher und Sprecherinnen in den zentralen Nachrichtensendungen des deutschen Fernsehens „heute“ und „Tagesschau“. Blonde, blauäugige Mädels wie Dagmar Berghoff, Eva Herman, Petra Gerster und diverse Saubermänner werden bevorzugt. Ein farbiger Ausländer als Auslandskorrespondent wäre undenkbar.
Dass sich diese Einstellung auch in der ARD hartnäckig hält, ist nichts Neues. Während der Golfkrise etwa brachten ZDF und ARD ständig Sondersendungen. Bei einer Sendung des ZDF trat dabei der libanesische Journalist Elias auf, und gerade seine Berichte enthielten in dieser Zeit viel Erhellendes über den arabischen Standpunkt. In der ARD trat hingegen ein deutscher Kollege sozusagen als Experte auf. Besonders interessant ist nun die interne Beurteilung der beiden öffentlich-rechtlichen Programme seitens der ARD: Danach hatte das ZDF zwar eine „emotionale“, aber die ARD durch den deutschen Vertreter die „inhaltlich stärkere“ Komponente bewiesen. Also, Araber sind gefühlsmäßig gut, aber die aufklärerischen, inhaltlich wichtigen Standpunkte werden von den Deutschen eingebracht. Brauche ich auszusprechen, was für ein Vorurteil sich hier perpetuiert? Die allgemeine Haltung ist, dass AusländerInnen unzuverlässig und zu emotional sind, vor allem aber nicht objektiv sein können.
Bevor unsere Medienmacher gegen Rechtsextremismus und Rassismus antreten, wäre es an der Zeit, das eigene Haus in Ordnung zu bringen. Es ist skandalös, dass Navina Sundaram, die 25 Jahre in der Weltspiegel-Redaktion des NDR tätig war, hart kämpfen musste, um ein einziges Jahr aus ihrer Heimat Indien berichten zu dürfen. Als sie zurückkam, empfing sie der im Dienst ergraute Direktor mit den Worten „Du hast uns Indien für das ganze Jahr erfolgreich verschwiegen, hahaha.“ In Wirklichkeit hatte sie natürlich regelmäßig über Indien berichtet, aber eben in ungewohnter Weise. Offensichtlich bot sie nicht die üblichen Klischees an. Weitere sachliche Kritik wie „Sie kann ja jetzt nichts mehr, sie ist über 50, es gibt kaum noch etwas Knackiges beim NDR“ und „Sie kann mit einem Handy nicht umgehen, und ihre Aufmachung!“ rundet das Bild ab. So viel nur zum Umgang mit einer farbigen Ausländerin und einer Frau.
Gegenbeispiel. Die WDR – Sendung von Hermann Feldhoff mit dem Titel „Der indische Traum, das indische Trauma. Religionskrieg zwischen Hindus und Moslems“, bei der es um die Zerstörung einer Moschee durch hinduistische Extremisten ging. Abgesehen von einer Fülle faktischer Fehler wurden die Interviews in dieser Sendung verfälscht: So wurde der Junge Sanjay befragt und behauptet, er sei bei der Zerstörung der Moschee dabei gewesen, obwohl jeder, der Hindi versteht, hören konnte, dass der Junge genau das Gegenteil gesagt hatte. Kurze Zeit später wurde eine muslimische Frau interviewt, und auch hier stimmte die Übersetzung nicht mit den ursprünglichen Aussagen überein. Zudem wurden ahnungslose Inder vor die Kamera gestellt und bekamen irgendwelche reaktionäre Aussagen in den Mund gelegt. Der Beitrag endete mit: „Ein Kenner des Landes hat einmal gesagt: In Indien rächt sich immer irgendwer für irgendwas an irgendwem.“ Feldhoffs Kommentar zu meiner Kritik: „Es war nun mal ein schneller Schuss.“ Er darf noch heute für die ARD berichten, Navina Sundaram hingegen stellt derzeit im NDR nachmittags die neuesten Haushaltsgeräte vor.
AusländerInnen sind nur erwünscht für Unterhaltungssendungen, wo sie nicht viel anrichten können. Viva und MTV haben einige farbige ModeratorInnen, da die weißen Programmmacher meinen, dass sie zum Musikstil passen. Außerdem bietet man dadurch den deutschen Zuschauern etwas Exotisches.
Dies ist übrigens nicht neu. Vor dem Fernsehzeitalter gingen die Deutschen in den Zoo, um Exotisches zu erleben. Von 1874 bis 1931 konnten die Hamburger in Hagenbecks Tierpark Menschen aus fremden Ländern bewundern. Sie lebten mit Tieren hinter Gittern und wurden dem Publikum für ein Eintrittsgeld vorgeführt. Ein Afrikaner, den die Deutschen Gottlob Freimann nannten, musste, um recht wild zu erscheinen, lebendige Tauben zerreißen und rohes Fleisch essen oder vor einem Ochsenkopf niederknien, ihn anbeten und mit einer Keule herumtoben. Damit dies alles, was gegen seine Natur war, ihm nicht schade und er dabei guten Mut behielt, bekam er Branntwein im Überfluss und lebte so im Rausch und Elend wie ein Tier dahin.
Die Gottlob Freimanns bei Viva und MTV müssen nicht mit einer Keule herumtoben. Sie müssen nur Geräusche wie „Wow“ und „Whuuuu“ von sich geben und herumhüpfen, als hätten sie Ameisen in der Hose. Wenn sie auch noch Worte wie cool und geil beherrschen, werden sie in der Musikszene als große Talente gehandelt. Mo Asumang, die „Liebe Sünde“ (Pro 7) moderiert, erfüllt die deutschen Männerfantasien vom dunkelhäutigen, sexuellen Wesen. Mal empfiehlt sie jungen Paaren Unterwassersex, mal fragt sie die Hausfrau Petra P., ob die Länge eine Rolle spiele.
Die AusländerInnen, die keine Unterhaltungssendungen machen wollen, müssen sich mit der Rolle des Fachkulis abfinden: Sie fliegen mit dem großen deutschen Journalisten in ihr Heimatland, suchen für ihn Drehorte und organisieren Interviewpartner; zudem fungieren sie als Dolmetscher und vermitteln das nötige Fachwissen. Der große deutsche Journalist dreht dann seinen Film, erntet die Lorbeeren und gilt auch noch als Experte für das jeweilige Thema.
Aber das ist noch nicht alles: Vor einiger Zeit veröffentlichte ich mein Buch „Organhandel: Ersatzteillager aus der Dritten Welt“. Danach wurden mir von deutschen Redaktionen täglich die makabersten Projektvorschläge angeboten. Ohne Ausnahme wollte man dabei sein, wenn ein nierenkranker Deutscher nach Indien fliegt und sich die Niere eines armen Inders, in einer illegalen Klinik, transplantieren lässt. Während die Privaten sogar alles finanzieren, zeigten sich die Öffentlich-Rechtlichen merkwürdige moralische Bedenken: Sie wollten gerne alles filmen, aber die Transplantation zu bezahlen wäre ihnen doch zu weit gegangen.
Was mir der Privatsender „Pro 7“ einmal anbot, übersteigt allerdings jede Vorstellung von Moral. In Indien sollte der Beitrag „Mädchen unerwünscht“, gedreht werden; mein Vertrag war eine Zumutung – Punkt 13 lautete: „Herr Raman organisiert den Kontakt zu den Eltern, die ihr Kind ausgesetzt haben, eventuell sogar zu Eltern, die ihr Kind umgebracht haben.“ Meine ironische Bemerkung, warum nicht filmen, wenn ein Kind umgebracht würde, wurde missverstanden. Das wäre sensationell, meinte die Redaktion.
Dies erinnert mich an eine ähnliche Geschichte. In Mumbai [vorm. Bombay] traf ich einen Fotografen, der für diverse deutsche Illustrierten arbeitete. Er war fasziniert von Indien, besonders betroffen machten ihn die bettelnden, verstümmelten Kinder. Laut seiner Information würden diese Kinder an einem Ort am Stadtrand von Mumbai absichtlich verstümmelt. Dort wollte er fotografieren, um die Grausamkeiten in der Welt zu verbreiten. Als ich ihm sagte, so einen Ort gebe es nicht, machte er mir ein Angebot. Wenn Eltern bereit wären, ihr Kind vor der Kamera verstümmeln zu lassen, würde er 500 Dollar dafür zahlen. Wenn dies nicht möglich wäre, „sollte man versuchen, es irgendwie nachzustellen“.
In 20 Jahren deutscher Medienarbeit habe ich fast nie ein Angebot bekommen, wo Indien positiv dargestellt werden sollte. Es waren immer die gleichen Themen: Witwenverbrennung, Mitgift- und Mädchenmorde, Organhandel, Korruption, Armut und Hunger, Kinderarbeit, Bevölkerungsexplosion usw.
Als das Thema noch aktuell war, bot ich diversen Sendern einen Beitrag über indische Computerexperten an. Mein Angebot wurde überall abgelehnt. In ganzen Land wurde das Thema heiß diskutiert, aber die Medienmacher meinten, dass die Deutschen sich nicht für die Menschen interessierten, die ein Teil ihrer Gesellschaft werden sollten. ASHWIN RAMAN
Hinweise:BBC, ITV und Channel Four haben seit Jahren AuslandskorrespondentInnen die sogar AusländerInnen sindAusländer sind bei uns im TV nur erwünscht, wenn sie Wow und Whuu von sich geben und herumhüpfen
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