: Hausbesetzungen bleiben umsonst
Die Wohnungbaugesellschaft Friedrichshain wollte vom Ex-Hausbesetzer und PDS-Abgeordneten Freke Over 300.000 Mark für Sicherungsmaßnahmen nach der Räumung eines Hauses in Alt-Stralau kassieren. Das Gericht sah das anders
von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
Das hätte der Wohnungsbaugesellschaft Friedrichshain (WBF) gefallen: Den PDS-Abgeordneten Freke Over, der 64.300 Mark brutto im Jahr verdient, mit einer Forderung von 302.340 Mark und 68 Pfennigen in den finanziellen Ruin zu treiben. Over, der einst in einem von der WBF verwalteten Haus in Alt-Stralau wohnte, sollte diese Summe für Maßnahmen zahlen, die die WBF nach der Räumung im April 1996 ergriffen hatte, um eine erneute Besetzung zu verhindern.
Doch die Chancen, die Kosten für „massiven Wachschutz mit Hundeführern, Alarmanlagen und Schutzzäunen“ und die „Beräumung des Hausbesetzermülls“ zivilrechtlich einzuklagen, standen von vornherein schlecht. Denn Eigentümerin des Hauses war damals nicht die WBF, sondern das Land Berlin. Aus Angst vor einer politischen Auseinandersetzung hatte die WBF gar nicht versucht, sich die Ansprüche vom Land Berlin abtreten zu lassen.
Stattdessen kaprizierte sie sich auf die vermeintliche Gefahr einer Neubesetzung. Doch die „Belege“ dafür waren lächerlich: Da wurden Äußerungen Overs aufgeführt, dass er Besetzungen für ein legitimes Mittel halte und auch sein Wahlkampfspruch „Freke Over – gut besetzt“ wurde zum gefährlichen Indiz. An Over hielt sich die WBF, weil sie davon ausging, dass er als Einziger „eine gewisse Gewähr“ dafür biete, „dass die geltend gemachten Beträge fließen“.
Doch bei der gestrigen mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht in Charlottenburg ging die WBF kläglich baden. Da nützte es auch nichts, dass sie mit der Kanzlei Knauthe eine renommierte Kanzlei beauftragt hatte, zu der auch Justizministerin Däubler-Gmelin gehört, deren Mandat derzeit ruht. Richter Jensen gab den WBF-Anwälten, von denen einer einen Stoffbeutel des Deutschen Beamtenbundes mit sich führte, deutlich zu verstehen, dass die WBF die Besetzung des Hauses, das trotz entzogener Leerstandsgenehmigung jahrelang leer stand, selbst provoziert habe. „Wenn man Erfahrungen mit Besetzungen hat, muss man das Haus doch zumachen.“ Als ihn die Klägerseite fragte, „Woher nehmen Sie die Lebenserfahrung, dass ein offenes Haus besetzt wird?“, konterte er: „Die Geschichte lehrt es.“ Zudem stellte der Richter klar, dass der WBF kein Schaden entstanden sei und es zudem „sicherlich keine Anzeichen gab, das Haus neu zu besetzen“.
Ergebnis des Schlagabtausches: Die Anwälte der WBF zogen zwei ihrer Forderungen in Höhe von 188.890 Mark und 27 Pfennig und 3.139 Mark und 50 Pfennig zurück. Das Gericht lehnte am frühen Nachmittag auch die restlichen Forderungen ab. Begründung: Wenn jemanden Kosten entstanden sind, dann dem Land Berlin.
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