: Der erste Zacken aus der Krone
Seit fünf Monaten ist Christoph Stölzl Kultursenator in Berlin. Mit dem Weggang Daniel Barenboims hat er seine erste Schlacht verloren, konnte aber die Landestheater von einer Fünf-Prozent-Sparauflage befreien. Bei allem ökonomischen Druck fehlt es weiter an einem Verständnis für Kultur von unten
von KATRIN BETTINA MÜLLER
Wer die größten Finanzprobleme hat, bestimmt zur Zeit die wichtigsten Themen in der Berliner Kulturpolitik. Opern und Orchester machen mit ihren Forderungen Druck und drohen der Stadt mit Entzug des Weltklasse-Niveaus. Dabei gehen die repräsentativen Hochburgen mit einem Ruhm hausieren, der oft noch aus der Zeit vor der Wende stammt, als beide Halbstädte mit Kultur politische Bedeutungslosigkeit kompensierten. Dass Berlins Attraktivität aber längst aus einem Nebeneinander verschiedener Schauplätze und Szenen besteht, scheint ihnen ebenso entgangen zu sein wie den politischen Entscheidungsträgern.
Wer noch an Genies und rettende Lichtgestalten glaubt, die mit ihrer Aura für mangelnde Programmideen entschädigen, für den hat Berlins Kultursenator Christoph Stölzl diese Woche eine Schlacht verloren. Es ist ihm nicht gelungen, Daniel Barenboim als künstlerischen Leiter der Staatsoper Unter den Linden zu halten. Zehn Millionen mehr für die Staatskapelle war dessen Bedingung. So sehr sein Abschied nun offiziell beweint wird, könnte sich doch mit der Neubesetzung die Chance öffnen, kräftiger an einer Strukturreform der Opernhäuser zu arbeiten, als es unter den bisherigen Hausherren möglich war. Gefordert wird sie seit langem, um Doppelungen im Repertoire und gemeinsame Schließtage zu vermeiden. In einem Strukturpapier, das Stölzl bald nach Beginn seiner Amtszeit vorlegte, war zudem das Einsparungspotenzial einer gemeinsamen Geschäftsführung oder Nutzung von Werkstätten und Chören ein Argument für die Fusion. Nur an einem Konzept, das die tragfähige Teamkonstruktion vorbereitet, fehlt es bisher.
Barenboim geht, Simon Rattle kommt als Chefdirigent des Philharmonischen Orchesters. Das hätte der Senator gern in die finanzielle Verantwortung des Bundes übergeben, die Musiker selbst konnten sich durchaus mit nationalem Status anfreunden, allein die Berliner und ganz besonders ihr Bürgermeister wollten das weltbekannte Schmuckstück nicht hergeben. Rattle verspricht die Philharmonie vom bloßen Abendprogramm in ein offenes Musikhaus zu verwandeln. Das klingt nach der kreativen Geschäftstüchtigkeit, dem neuen Leitbild der Kulturpolitik: Räume nutzen, sponsorenfreundlich handeln - Leben in die Bude. Tja, und dafür braucht Rattle erst einmal 6,4 Millionen Mark mehr. So bringen die Maestros dem Senator Probleme. Bis hin zu Musiktheatern, die wie die Berliner Kammeroper, die Zeitgenössische Oper und die Neuköllner Oper weit außerhalb der Institutionen die klassische Gattung einem ganz neuen Publikum erschlossen haben, reichte der Blick dabei selten. Die Rangordnung der Finanzprobleme zementiert ein Kulturverständnis, in dem hoch bezahlte Künstler selbstverständlich die besten sind.
Seit dem Rücktritt von Christa Thoben hat sich die Not des Berliner Kulturhaushalts nicht entspannt. Allein, Stölzl wurden Defizite bisher weniger als seiner Vorgängerin als Versagen angelastet. Abwehren konnte er den Schlag, dass die Förderung der städtischen Bühnen, wie aller anderen landeseigenen Einrichtungen auch, um fünf Prozent gekürzt wird. Allerdings muss er die Einsparsumme von 17,6 Millionen dennoch aus dem Volumen seines Haushalts für Wissenschaft, Forschung und Kultur aufbringen. So ist zu befürchten, dass dieses neue Defizit nach unten durchgereicht wird – bis zur Kulturszene ohne Lobby.
Ein weiterer schleichender Verlust zeichnete sich in der Sommerpause ab. Die Lotto-Stiftung, die seit Jahrzehnten als Schattenhaushalt genutzt wird, konnte bei Kulturprojekten oft als größter Sponsor und Retter in der Not auftreten. Doch ihr Etat wird ab 2001 zu 50 Prozent in den Haushalt eingebunden, so dass der stille Fingerzeig der Politiker – „Versuchs doch mal bei Lotto“ – kaum noch weiterhilft.
Ein Konzept, das schon von Christa Thoben für notwendig gehalten wurde, konnte Stölzl inzwischen auf den Weg bringen: Die Schaffung eines Strukturfonds, aus dem Abfindungen an jene 180 Mitarbeiter gezahlt werden können, die im Personal der Theater abgebaut werden. Der Personalabbau ist eine verzweifelte Antwort auf die Finanzkrise der Theater, deren Etats schon jetzt neben den Personalkosten kaum noch Produktionsmittel beinhalten und keine Tariferhöhungen verkraften.
Das Problem, mit den öffentlichen Haushalten nicht mehr die Tarife im öffentlichen Dienst zahlen zu können, kann nicht von der Kulturpolitik allein gelöst werden. Es schlummert wie Zündstoff unter der Decke des sozialen Friedens von Berlin, besonders behütet vom Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen. Seine Glaubwürdigkeit steht auf dem Spiel, kommt es zu betriebsbedingten Kündigungen, die zu verhindern zu seinen Wahlversprechen gehört. Argwöhnisch stehen schon die Gewerkschafter auf der Matte mit dem berechtigten Verdacht, dass es eher Hausmeistern und Garderobieren an den Kragen geht als den gut ausgestatteten Posten. Einige gut bezahlte Orchestermusiker wollen keinesfalls, dass ihre Nebeneinnahmen durch Tourneen und Plattenverträge etwa genauer betrachtet und als Teil der Diskussion ins Spiel gebracht werden.
Not macht nicht erfinderisch. Nach Ideen, die über Verwaltung des Mangels und Bestandsbewahrung hinausgehen, sieht das alles nicht aus. Von Stölzl wird zurzeit auch nicht mehr erwartet, nach dem peinlich schnellen Verheizen seiner Vorgängerin.
Hinweis:Kreative Geschäftstüchtig-keit wurde zum Leitbild der Kulturpolitik erhoben: Räume nutzen, sponsoren-freundlich handeln – Leben in die Bude
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen