piwik no script img

„Dieses Noch-Krasser“

Stefan Kretzschmar, der in der Nationalmannschaft links außen spielt und beim 24:24 gegen Südkorea vier Tore warf, über sein Image, die Schönheiten der DDR und den Kampf gegen rechts

Interview SVEN RECKER

Stefan Kretschmar wird verkannt als Handball-Punk. Im Grunde schreckt er nur Schwiegermütteroder die Bild-Zeitung, die im Magdeburger Flügelspieler die deutsche Antwort auf „Rüpel-Rodman“ erkannt haben will. Was dennoch Bestand hat: „Das Jetzt-Kämpfen-wir-gegen-den-Klassenfeind “, so Kretzschmar.

taz: Herr Kretzschmar, im Fußball sagt man, Torhüter und Linksaußen sind verrückt. Auch im Handball?

Stefan Kretzschmar: Als Torhüter musst du auch im Handball ein Rad abhaben. Auf dem Feld gibt es aber kaum so richtige Vollidioten.

Und der Linksaußen Kretzschmar? Ein Mitspieler hat mal über Sie gesagt: „Der hat für mich einen Totalschaden.“

Das denkt sicherlich nicht nur einer.

Mit Recht?

Das ist eine Frage des Blickwinkels. Die meisten sind aus ihrem normalen Leben noch nie rausgekommen. Die hören dann die Gerüchte, diesen Schwachsinn, der über mich geredet wird.

Aber nach dem Milchschnitten-Image der Ullrichs, Schmitts & Co funktionieren Sie ja nun wirklich nicht?

Darauf hatte ich nie Bock. Als ich noch ein Niemand war, wollte man mich zwingen, so zu sein wie die anderen. Ich sollte mir zum Beispiel die Haare abschneiden. Aber das hätte überhaupt nicht zu mir gepasst. Ich habe mein Ding doch nicht mit Kalkül durchgezogen.

Ihr Ding?

Meine Jetzt-erst-recht-Haltung, dieses Noch-Krasser oder das Jetzt-Kämpfen-wir-gegen-den-Klassenfeind. Das ist doch nicht nur Attitüde.

Sondern?

Es ist ehrlich, ich hätte mich anders nicht wohl gefühlt. Wenn ich mich damals angepasst hätte, dann hätten mich meine Freunde, meine Szene doch ausgelacht. Die waren mir zehnmal wichtiger, als den schnellstmöglichen Erfolg zu haben.

Und das sollen wir Ihnen glauben?

Ja, wenn die Harmonie in meinem Umfeld nicht stimmt, dann läuft es auch im Handball ziemlich scheiße.

Überhaupt fragt man sich, wieso einer wie Sie gerade Handball spielt? Im Trend liegt der Sport ja nicht.

Mir egal, ich liebe Handball. Es ist ein Teamsport, ein harter Sport. Meine Eltern haben ihn bis zur Perfektion ausgeübt, das war für mich immer eine Riesenmotivation.

Der „Spiegel hat über Sie geschrieben, Sie seien so ostdeutsch wie Rotkäppchensekt.

Die schreiben ja auch sonst viel Müll. Ich habe da sehr, sehr gerne gelebt.

Man fragt sich nur: Warum eigentlich?

Du hast dich auf die wesentlichen Sachen des Lebens konzentriert. Alle haben dasselbe verdient, und es gab nix zu kaufen. Wozu also Materialismus. Insofern gab es nur die Kumpels, Freunde, Sex und Sport.

Und dann waren Sie mit Ihrer Show Sushi auf MTV Teil der materialistischen Scheinwelt.

Finde ich nicht. Ich wollte provozieren. Entweder hassen mich die Leute, oder sie lieben mich.

Was macht Sie denn liebenswert?

Viele nehmen sich meine Anti-Stellung zum Vorbild, viele meine Jetzt-erst-recht-Haltung. So ist für jeden ab und zu was dabei, außer für die Schwiegermutter, für die nicht.

Die verschrecken Sie eher mit Sätzen wie: „In puncto Leben lasse ich nichts aus.“

Das gilt noch immer. Ich habe bisher nichts ausgelassen, was ich für würdig hielt.

Was war unwürdig?

Drogen.

Und was ist mit Ihren früheren Ausflügen in die Coffee- Shops von Amsterdam?

Gras, das ist keine Droge für mich. Das ist zwar verboten. Aber das ist doch total lächerlich.

Sie sind ein bekennender Kiffer?

Nein, es steht auf der Dopingliste. Und da man es drei Wochen im Körper nachweisen kann, ist es für mich tabu.

Auch außerhalb des Handballfeldes gelten Sie als Linksaußen!

Das ging mit der Musik los.

Mit welcher Musik?

The Cure und Sisters of Mercy. Und dann kam das Äußere dazu, und auf einmal warst du dann links. Wenn du so aussahst, dann musstest du einfach politisch motiviert sein, egal ob das so war oder nicht.

Waren Sie politisch?

Weniger. Ich bin zwar eine Zeit lang in Berlin-Friedrichshain in den besetzten Häusern der Mainzer Straße abgehangen, aber das war einfach vom Gefühl her geil. Aber Politik, das war eigentlich nie so richtig ein Thema.

Bis Skinheads vor Ihren Augen einen Freund zu Tode geprügelt haben.

Da sind die Probleme mit den Nazis, die du zwangsläufig hast, wenn du so aussiehst wie ich.

Sechs Jahre nach Friedrichshain ist in Magdeburg Ihr Briefkasten in die Luft geflogen.

Ich habe Respekt – nein, Respekt ist das falsche Wort. Ja, manchmal vielleicht auch einfach Angst, Scheiß-Gefühle meiner Frau wegen ...

... die aus Kuba stammt. Im Sommer ist Ihre Tochter auf die Welt gekommen. Haben Sie schon einmal daran gedacht, aus Magdeburg wegzuziehen?

Nein, Rechtsradikalismus, den gibt es überall.

Viele Prominente beziehen momentan Stellung gegen rechts. Sie nicht.

Weil mich das nervt. Das ist alles seit Jahren bekannt, und keine Sau hat es großartig interessiert. Und auf einmal mischen sich Leute ein, die sich noch nie mit dem Thema beschäftigt haben.

Immer noch besser, als weiterhin alles unter den Teppich zu kehren.

Natürlich ist alles, was dagegen gemacht wird, okay. Aber diese populistische Schiene geht mir wahnsinnig auf den Zeiger.

Wieso?

Weil es typisch für dieses Land ist. Nach dem Motto: So, jetzt finden wir es alle schlimm, dann machen wir auch alle mit. Das ist doch eine Scheiß-Alibi-Aktion. Man sollte fast schon wieder Kontra geben.

Als Anwalt der Rechten?

Sicher nicht. Aber viele von denen wissen doch gar nicht, was sie da machen. Die haben noch nicht einmal eine Ahnung, was sie für Aufnäher auf der Jacke tragen.

Sie tragen in Sydney den Adler auf ihrem Trikot, werden stramm stehen, wenn die Nationalhymne ertönt?

Alles egal. Für die deutsche Nationalmannschaft zu spielen ehrt mich einfach. Nicht aus übertriebenem Nationalstolz. Aber zu den Besten deines Landes zu gehören, das macht dich einfach geil.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen