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Tür zu, Klappe zu, raus aus Prag

Die Behörden raten den Pragern, die Stadt zu verlassen. Wem das nicht möglich ist, solle Türen und Fenster schließen und nicht mit Demonstranten reden

aus Prag ULRIKE BRAUN

Václav Kuchar ärgert sich. Um in seine Wohnung im Prager Stadtteil Nusle zu gelangen, muss er zurzeit jedes Mal einen speziell angefertigten Schein vorlegen, der ihn berechtigt, an den strengen Polizeikontrollen vorbeizukommen. Die Geschäfte in seiner Nachbarschaft werden in den nächsten Tagen geschlossen haben, Besuch darf er keinen empfangen. Grund: Sein Zuhause liegt in unmittelbarer Nähe des Prager Kongresszentrums, in dem sich nächste Woche rund 18.000 Finanzexperten, Minister und Zentralbankgouverneure zur 55. IWF-Weltbank-Tagung treffen werden.

Schon seit Monaten herrscht im Prager Innenministerium Hysterie. Und die Behörden schüren dies nach Kräften. So hieß es in einem Flugblatt, das die Bezirksverwaltung von Prag 2 an alle Bewohner verteilen ließ, das Beste, was sie während der Tagung machen könnten, sei, die Stadt zu verlassen. Wem das nicht möglich ist, der solle, so der Ratgeber, keine Fenster öffnen und ja nicht am Fenster stehen – es könnten ja Molotowcocktails fliegen oder zum Einsatz von Tränengas kommen.

Und noch ein Rat zur Sicherheit des Bürgers: Bloß nicht mit Demonstranten diskutieren und allen Polizeianweisungen Folge leisten. Schon jeder dritte Prager hat Angst vor der IWF-Tagung. In der Stadt fürchten die Geschäfte um ihre Auslagen, nur McDonald’s will seine Türen offen lassen. Die Einzigen, die sich freuen dürfen, sind die Schüler: Sie haben während der ganzen nächsten Woche schulfrei. Bankangestellten wurde geraten, sich leger zu kleiden, denn mit Anzug und Krawatte könnte sie der „Feind“ für das halten, was sie sind. ...

Die Krankenhäuser sind vorbereitet, sie haben alle nicht dringenden Operationen für nächste Woche abgesagt. Manch einer hält das Ganze für überzogen. Man bräuchte den IWF-Weltbank-Gipfel nun wirklich nicht in ein Bürgerkriegsszenario zu wandeln, kritisierte Außenminister Jan Kaven seine Kollegen vom Innenressort.

„Die Polizei ist in Panik“, glaubt Friederike Havermann von der Initiative gegen die ökonomische Globalisierung (Inpeg), einem Dachverbandes verschiedener Anti-Globalisierungsgruppen. Sie sieht die Vorbereitungen ihrer Seite als durchaus positiv: „Ich habe das Gefühl, dass alles sehr gut organisiert abläuft. Leute aus allen Ecken der Welt kommen nach Prag, ohne zentral organisiert zu sein.“

Die Organisation ohne Zentralisierung haben die Globalisierungsgegner im Übrigen der neuen Technologie zu verdanken. Über eine professionell ausgestattete website (www.inpeg.ecn.cz) informiert die Inpeg Leute in aller Welt über die geplanten Aktionen wie Demonstrationen, den Gegengipfel und Diskussionsveranstaltungen.

Auch steht die Inpeg, deren Aktivisten alle mit Handy und Laptop ausgestattet sind, Neuankömmlingen in Prag als Anlaufpunkt zur Verfügung. In ihrer Informationsstelle in der Prager Innenstadt haben sie ein vollwertig ausgestattetes Informationszentrum eingerichtet, in dem Pressematerialien in verschiedenen Sprachen ausliegen und in dem angereiste Demonstranten praktische Tipps bekommen, wo man unterkommen kann, wo es das beste Bier und das verdaulichste Essen gibt.

Wer will, kann sich in den Inpeg-Verteiler aufnehmen lassen und wird dann per E-Mail rund um die Uhr über die Entwicklungen in Prag auf dem Laufenden gehalten. Friederike Havermann hat in der letzten Woche fast jede Minute im Infozentrum verbracht. Die Aktivistin aus Berlin war schon im letzten Jahr in Seattle dabei. Auch dort habe die Polizei die Demonstranten provoziert und friedliche Sitzblockaden mit der Hilfe von Pfeffer- und Tränengas aufgelöst.

In Prag stehen 11.000 Polizisten und 1.600 Soldaten mit Schlagstöcken und Tränengas bereit, um sich den Globalisierungsgegnern entgegenzustellen. Ob sie dem psychologischen Druck standhalten oder nicht doch in bestimmten Situationen überreagieren werden, so dass die Sache eskalieren könnte, ist zweifelhaft.

„Bei einer Street-Party im April in Prag waren die Polizisten regelrecht überrascht von unserem friedlichen Verhalten“, erinnert sich Friederike Havermann. Dennoch hätten sie, wohl einfach des Prinzips wegen, über 20 Leute verhaftet, von denen allerdings nur vier Demonstranten und die Rest ganz normale Touristen waren.

Inzwischen haben die Einsatztruppen aber einige Manöver absolviert, in denen sie sich in Straßenschlachten mit Demonstranten geübt haben. Auch haben sie sich vom FBI beraten lassen, wie man den Demonstranten am besten begegnet. Die wollen sich am nächsten Dienstag vor dem Kongresszentrum niederlassen. Die Inpeg plant, am Hauptsitzungstag, den 26. September, den Sitzungsort der Banker so zu blockieren, dass sie nicht mehr herauskommen.

Nicht hereingekommen sind wegen des nahenden IWF-Weltbank-Gipfels nach Angaben der tschechischen Grenzpolizei seit dem 8. September mehrere hundert potentielle Protestierer aus dem Ausland. Ihnen wurde die Einreise verweigert. Ein Fahrrad-Konvoi mit etwa 70 Jugendlichen aus Deutschland und den USA wurde gestern am Grenzübergang Cinovec aufgehalten, als die Grenzer einer Teilnehmerin die Einreise verweigerten.

Die Presse wurde indes vom Innenministerium darüber informiert, wie sie sich zu verhalten habe. Rote Westchen mit einer Nummer und dem Aufdruck „Press“ wurden vom Ministerium an die Journalisten verteilt – zu einer Kaution von 100 Kronen (etwa 5 Mark), denn die Behörde will die Westen wiederhaben.

Den Pressevertretern wurde dringendst geraten, diese Kittel auch zu tragen, damit die Polizei die schreibende und fotografierende von der demonstrierenden Zunft unterscheiden könne. Sonst, so ein Sprecher des Innenministeriums, könnte es passieren, dass auch die Presse eins auf die Nase bekommt.

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