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Der Zwang zum Kompromiss

Krieg und Gewalt gingen im Nahen Osten wiederholt einem Durchbruch bei Verhandlungen voraus. Es könnte auch jetzt so kommen

von GEORG BALTISSEN

Es blieb dem Friedensnobelpreisträger und Elder Statesman Schimon Peres vorbehalten, die Wirkung der blutigen Unruhen der vergangenen fünf Tage in einem Satz auf den Punkt zu bringen. „Was wir derzeit erleben, ist die glorreiche Alternative zum Frieden.“ Und das meinte Peres nicht nur zynisch.

Dabei hatte noch zu Beginn der vergangenen Woche alles so ausgesehen, als seien beide Parteien trotz des Scheiterns von Camp David wieder auf versöhnlichem Wege. Israels Ministerpräsident Ehud Barak hatte Palästinenser-Chef Jassir Arafat gar zu einer heimischen Gartenparty eingeladen, auf der man sich mit Smalltalk näher kam. Nur drei Tage später aber brachen die schwersten und blutigsten Unruhen seit 1996 aus, als Friedensgegner Benjamin Netanjahu den Tunnel unter dem Tempelberg hatte öffnen lassen. Und wieder markiert ein Streit um den Tempelberg den Anlass zum blutigen Protest mit 50 Toten und 1.400 Verletzten. Zwar mag ein innerparteilicher Führungskampf im Likud-Block Hauptgrund für den Besuch des Opppositionsführers Ariel Scharon gewesen sein. Doch sicher war sich Scharon bewusst, dass er mit der Geste des demonstrativen Besitzanspruchs auf den Tempelberg einen Flächenbrand auslösen würde.

Jetzt haben die Gegner in den Kämpfen – und Partner im nahöstlichen Friedensprozess – einen fragilen Waffenstillstand geschlossen. Wenn Arafat und Barak sich heute in Paris unter Vermittlung Madeleine Albrights zum Gespräch treffen, dann werden sie darüber reden müssen, ob und wie in Zukunft derartige Tragödien und Provokationen vermieden werden können. Und das eben vor allem dann, wenn die Verhandlungen über Jerusalem oder über die Rückkehr palästinensischer Flüchtlingen festgefahren sind.

Historisch waren Kriege oder Gewaltausbrüche im Nahen Osten immer wieder ein Motor der Verhandlungen, oft gar Voraussetzung für einen Durchbruch zum Frieden. Der Oktoberkrieg von 1973 legte die Grundlage für den israelisch-ägyptischen Friedensvertrag von 1978. Die Intifada und der Golfkrieg gegen Irak waren der Auslöser für die Madrider Friedensverhandlungen im Oktober 1991 und das Oslo-Abkommen von 1993. Und selbst die blutigsten Terroranschläge der islamistischen Hamas-Truppe in den Jahren 1995/96 haben nur dazu geführt, dass die Verhandlungen zuerst für zwei Wochen, dann schließlich nur noch für einen Tag unterbrochen wurden.

Auch der jüngste Gewaltausbruch könnte die israelischen und palästinensischen Unterhändler dazu zwingen, den Kompromiss mit aller Macht zu suchen und zu vereinbaren. Denn die Alternative war in den letzten Tagen klipp und klar zu verfolgen: Ein Bürgerkrieg, der die wahllose und blutige Vernichtung des ethnischen, nationalen oder religiösen Gegenübers zur Konsequenz hat.

Selbst wenn man unterstellt, dass der jüngste Ausbruch der Gewalt Arafat nicht ungelegen kommt, weil er suggeriert, dass Arafat die Kompromissfähigkeit der Palästinenser ausgereizt hat, ist doch eines unbestreitbar. Die Steilvorlage dazu hat Scharon geliefert. Und die israelische Regierung hat ihn gewähren lassen. Israels Militärs hatten seit Wochen vor jeder Provokation gewarnt. Der Chef der linksliberalen Meretz-Partei, Yossi Sarid, verglich Scharon jetzt mit Kaiser Nero, „der sich amüsiert, während er Rom in Brand steckt“.

Der israelisch-palästinensische Konflikt ist von seiner Natur her ein politischer Konflikt, ein Kampf ums Land. Israelis und Palästinenser wissen, dass sie eine Alternative zum Zusammenleben auf diesem kleinen Fleckchen Land nicht haben. Die rasche Gesprächsbereitschaft auf höchster Ebene beweist dies. Die Frage lautet deshalb nicht, ob ein Frieden geschlossen werden soll. Die Frage lautet: Welchen Preis wird dieser Frieden fordern, von Palästinensern und Israelis? Die blutige Konfrontation der vergangenen Tage gibt Arafat wie Barak Raum für neue politische Manöver. Die dringende Notwendigkeit, auch schmerzliche Kompromisse einzugehen, steht nicht nur Israelis und Palästinensern, sondern der ganzen Welt vor Augen. Barak hat mit seiner Gesprächsbereitschaft über die Zukunft Jerusalems den ersten Schritt getan. Jetzt kann Arafat vielleicht den zweiten tun, weil er einen Kompromiss eingehen kann, der unter „Blut und Feuer“ geboren wurde.

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