: DDR-Justiz nur bedingt schuldfähig
Das Bundesverfassungsgericht zeigt Milde und gibt den Klagen von zwei ehemaligen DDR-StrafrichterInnen statt: Ihre damaligen Urteile gegen ausreisewillige DDR-BürgerInnen verhindern heute nicht die Zulassung als Rechtsanwalt oder NotarIn
aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH
Ehemalige DDR-StrafrichterInnen, die seinerzeit nicht übermäßig hart geurteilt haben, darf heute die Zulassung als RechtsanwältIn oder NotarIn nicht verweigert werden. Dies entschied in einem jetzt bekannt gemachten Beschluss das Bundesverfassungsgericht. Entgegenstehende Entscheidungen des Bundesgerichtshofes (BGH) wurden aufgehoben, weil sie das Grundrecht auf Berufsfreiheit verletzten. Konkret ging es um eine ehemalige Richterin aus Sachsen, die heute als Notarin arbeitet, und einen Exrichter aus Sachsen-Anhalt, der Anwalt werden wollte. In beiden Fällen kam nach der Wende eine Übernahme in den Justizdienst nicht in Frage, weil die DDR-JuristInnen an Strafurteilen gegen Ausreisewillige mitgewirkt hatten.
Der BGH hielt beide nicht einmal für „würdig“, als Anwalt oder Notarin tätig zu werden. Ihre Urteile hätten „gegen die Grundsätze der Rechtstaatlichkeit und der Menschlichkeit“ verstoßen. Dies sah das Bundesverfassungsgericht in beiden Fällen anders. Zu beachten sei, dass RichterInnen zu DDR-Zeiten nicht unabhängig, sondern „in hohem Maße vom Wohlwollen der Parteiführung abhängig“ gewesen seien. DDR-RichterInnen dürften deshalb auch nur bedingt an bundesrepublikanischen Maßstäben der Rechtsstaatlichkeit gemessen werden. Ausdrücklich verweist Karlsruhe darauf, dass es in der DDR kein Verhältnismäßigkeitsprinzip gegeben habe.
Auch die einstige Verhängung von Haftstrafen gegen Ausreisewillige könne eine Anwaltszulassung nicht automatisch verhindern. Die Ausreisefreiheit sei kein allgemein verbürgtes Menschenrecht und auch im Grundgesetz nicht explizit verankert. Im Übrigen hätten die Richter davon ausgehen können, dass 90 bis 95 Prozent der entsprechend Verurteilten später von der Bundesrepublik freigekauft worden seien. Erforderlich sei deshalb eine Prüfung der individuellen Schuld ehemaliger DDR-RichterInnen, stellte das Bundesverfassungsgericht fest.
Auch hier konnten die Richter nichts erkennen, was gegen eine Anwalts- oder Notarszulassung der KlägerInnen sprach. Die Richterin habe „nach DDR-Maßstäben eher milde“ geurteilt, und ihr ehemaliger Kollege war als damaliger Senatsjüngster besonders stark in die Hierarchie eingebunden. Beiden RichterInnen könnte deshalb nur vorgeworfen werden, dass sie nicht Widerstand gegen die bestehenden Strukturen geleistet haben, das aber sei „kein schwerer Schuldvorwurf“, so Karlsruhe.
Die Exrichterin hatte bereits seit 1990 als Notarin gearbeitet und musste die Tätigkeit zwischenzeitlich nicht einmal unterbrechen, da ihr einstweiliger Rechtsschutz gewährt worden war. Auch der ehemalige Richter hat im September doch noch eine Anwaltszulassung erhalten. Karlsruhe wollte den Fall aber entscheiden, da der Kläger ein „fortbestehendes Interesse“ an seiner Rehabilitation habe.
Eine dritte Verfassungsbeschwerde blieb gestern allerdings erfolglos. Hier hatte eine ehemalige Staatsanwältin geklagt, die zwischenzeitlich wegen Rechtsbeugung zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden war. In derartig schweren Fällen sei die Verweigerung der Anwaltszulassung nicht zu beanstanden, entschied Karlsruhe.
Damit wird die Linie der bisherigen Karlsruher Rechtsprechung zur Anwaltszulassung fortgeschrieben. Schon 1997 waren zwei überdurchschnittlich belastete DDR-Richter mit ihren Verfassungsbeschwerden gescheitert.
Az. BvR 661/96, 514/97, 2069/98
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen