: Verstecken in der Kirche oder heiraten
■ Seit zwei Wochen ist der kurdische Schüler Hasan S. aus Delmenhorst in der Bremer Friedensgemeinde im Kirchenasyl
Das ist die Geschichte von Hasan. Eine Geschichte von Sonne, die durchs Fenster scheint. Von frisch gewischten, noch feuchten Fluren, auf denen Schuhe verschmierte Konturen hinterlassen. Von Kindern mit blauen und rosa Anoraks, die sich vor den Fenstern Sand zuwerfen, der noch in der Luft verweht. Und davon, dass all die Idylle in der Friedensgemeinde in der Humboldtstraße für Hasan nur vorübergehend Platz hat. Seit zwei Wochen lebt er hier im Kirchenasyl. 18 Jahre ist er alt, seit vier Jahren in Deutschland, zwei Jahre Hauptschule in Delmenhorst, das dritte zwangsweise abgebrochen, Berufswunsch: Automechaniker. In Deutschland. Wenn es nach der Stadtverwaltung Delmenhorst ginge, wäre er längst nicht mehr hier, sondern seit Mitte August wieder in der Türkei, aus deren Osten er 1996 nach Bremen kam.
Zwölf Häuser hatte sein Dorf, als Hasan es 1996 verließ. Hasan ist Kurde und Alewit – Angehöriger jener liberalen Richtung innerhalb der Muslime. Er erzählt von Schlägen, die er von Polizisten und von Lehrern bekommen hat, von der Verhaftung seines neunjährigen Bruders, von den Büchern seines Vaters, die sie immer verstecken mussten, vom Vater und seinen Freunden, die „über Politik geredet“ haben, von einem Verwandten, den Elektroschocks der Militärs unfruchtbar gemacht haben. Hier könnten Männer damit leben. In der Welt, aus der Hasan kommt, sind die Erwachsenen auf die Hilfe ihrer Kinder angewiesen. „So ist das.“
Der Grund dafür, warum Hasan abgeschoben werden soll: Es gebe keinen Grund dagegen – so die Argumentation der Delmenhorster Behörde. Mit 14, als Hasan Ostanatolien verließ, wird erklärt, habe ihm keine Gefahr gedroht. Hasans Unterstützer halten dagegen, inzwischen gebe es mehr als genug Gründe dafür, dass Hasan im Fall einer Rückehr sofort verhaftet würde. Er hat den Kriegsdienst verweigert, über ihn und sein Schicksal wurde mehrfach berichtet, auch in türkischen Zeitungen. „Nachfluchtgründe“ heißt das im Juristendeutsch – Gründe für ein Asyl, die erst nach der Flucht entstanden sind. Viele Leute haben sich für Hasans Bleiben eingesetzt. Darunter die Namen von Günter Grass, Angelika Beer, Günter Wallraff. Seine Klasse in Delmenhorst hat an die Stadtverwaltung geschrieben. „Wir kämpfen weiter, wir haben viele Fragen“, den Brief kann Hasan auswendig aufsagen. Aber: „Das interessiert nicht. So ist das.“ In Delmenhorst lebte er bei seinem Onkel. Dreimal war die Polizei da, ihn zu holen. „Ich komme mir vor, als hätte ich einen Mann getötet oder was geklaut“, sagt Hasan. 40 Tage war er abgetaucht und versteckte sich in einem Keller.
Hasan erzählt viel von seinem Dorf. Guckt aus dem Fenster in den Garten der Friedensgemeinde, sieht einem Trupp Arbeiter zu, die auf dem Spielplatz Throne für Kinder bauen. Erzählt von den Schafen, die er frühmorgens in die Berge trieb. „Da brauchen Sie drei Stunden, wir fünf Minuten.“ Davon, wie ihm einmal dort oben Soldaten begegneten, ihm den Gewehrkolben in den Rücken rammten, ihn ohne Schafe wieder ins Tal schickten, ihn noch mal ins Gesicht schlugen. Wie ihm seine Tante das Blut aus dem Gesicht wusch und sagte: „Sag' nichts zu deiner Familie“. Ein leises Klingeln an Hasans Bein. Aus der Tasche am Oberschenkel zieht er ein Handy, spricht in seiner Muttersprache. „Mein Onkel.“ 23 Schafe waren es. Hasan guckt aus dem Fenster. Eine Träne tropft auf seine Hose, noch eine.
Pastor Bernd Klingbeil-Jahr spricht von einer „profunden Anfrage an die Demokratie“, von einer „Herausforderung“ angesichts neo-nazistischen Terrors, von den „Fensterreden“ des Sommers, davon zu handeln, nicht nur zu reden.
„Ich finde für dich ein Mädchen, du kannst heiraten“, hat sein Onkel zu ihm gesagt. Hasan muss grinsen. Heiratsanträge bekommt er viele. Darunter auch von Nadine, 17 Jahre, aus Delmenhorst. „Ich bin 18 Jahre“, sagt Hasan, „wenn ich heirate, glaube ich nicht, dass ich das halten kann. Das ist nicht für ein oder zehn Jahre. Das ist für immer. So ist das.“ Also Nadine. „Nadine, guck mal“, hat er zu ihr gesagt, „das geht nicht. Ich schaff' das nicht.“ Und: „Ich bin stolz auf dich.“
Ende November, Anfang Dezember ist Hasans Gerichtstermin. Die Chancen sind schwer einzuschätzen. Es gebe Fälle, referiert Bernd Klingbeil-Jahr, da zählten die „Nachfluchtgründe“. Bei anderen nicht. Bis zu diesem Tag bleibt Hasan in der Friedensgemeinde. Verbringt seine Tage auf den langen Fluren des Gemeindehauses, in dem sonnengelb gestrichenen Internetraum, in seinem Zimmer mit dem schmalen Gästebett, den Cola-Dosen im Regal und den Schulbüchern auf dem Tisch, auf dem Rasen im Innenhof des quadratischen Baus. Er hat Schlüssel für alle Räume. Auch zum Kircheninnenraum, für den Ernstfall. Der bietet ihm zwar keinen rechtlichen Schutz, aber – damit rechnet Klingbeil-Jahr – flößt denen Respekt und Zurückhaltung ein, die Hasan abholen wollen. Den ersten Versuch gab es Ende vergangener Woche bereits. So ist das. Susanne Gieffers
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