: „Verbot ist die schärfste Waffe“
Interview CHRISTIAN RATH
taz: Herr Grimm, demnächst entscheidet die Bundesregierung, ob sie beim Bundesverfassungsgericht ein Verbot der NPD beantragt. Wäre ein derartiger Verbotsantrag Ihrer Ansicht nach aussichtsreich?
Grimm: Ein Verbot setzt voraus, das die Partei darauf aus ist, die freiheitlich demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Das ist scharf davon zu unterscheiden, ob sie Ziele verfolgt, die den vorherrschenden politischen Strömungen widersprechen, ohne dabei die Grundordnung in Frage zu stellen. Über die Vorzugswürdigkeit politischer Programme entscheidet der Wähler, nicht das Bundesverfassungsgericht. Die Erfolgsaussichten eines Verbotsantrages hängen davon ab, ob ausreichende Beweise zur Verfügung stehen, dass die Partei die verfassungsrechtliche Grundordnung bekämpft, nicht nur eine bestimmte Politik oder einzelne Verfassungsbestimmungen.
Bisher wurden erst zwei Parteien verboten – 1952 die rechtsextreme SRP und 1956 die KPD. Haben sich die Maßstäbe seitdem verändert?
Nein. Das Bundesverfassungsgericht hat damals den vom Grundgesetz aufgestellten Maßstab der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“ näher erläutert. An diesem Maßstab hat sich in der Zwischenzeit nichts geändert.
Im Grundgesetz wird auch auf das Verhalten der Anhänger einer Partei abgestellt. Gerade NPD-Mitglieder waren häufig in ausländerfeindliche Angriffe verwickelt. Kann dies der Partei zugerechnet werden, auch wenn diese sich explizit distanziert?
Ausschlaggebend sind in der Tat nicht allein die proklamierten Ziele einer Partei, sondern auch die Verhaltensweisen ihrer Anhänger. Denn in Programmen kann man die wahren Absichten verschleiern. Das Verhalten der Anhänger muss freilich der Partei zurechenbar und für ihre Bestebungen charakteristisch sein. Vereinzelte Reden und Taten von Mitgliedern genügen dafür nicht. Es spielt auch eine Rolle, wie sich die Partei zu solchen Mitgliedern stellt, ob sie ein entsprechendes Verhalten zum Beispiel parteidisziplinär ahndet. Allerdings muss man hinter die Fassade schauen: Ist die Distanzierung ernst gemeint oder im Blick auf einen drohenden Verbotsantrag nur vorgespiegelt?
Muss die Bundesregierung einen Verbotsantrag stellen, wenn die Voraussetzungen vorliegen?
Nein, das Grundgesetz gibt ihr die Befugnis, einen solchen Antrag zu stellen, begründet aber keine Pflicht.
Warum?
Das Parteiverbot dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Wenn diese Ordnung nach der Einschätzung der Antragsberechtigten [Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat, d. Red.] nicht ernst gefährdet ist oder wenn sie andere Mittel als das Parteiverbot für geeigneter halten, sollen sie nicht gezwungen sein, sogleich zur schärfsten Waffe zu greifen. Es ist der Erwägung wert, ob ein Verbot die Sympathisanten der Partei eher vermehren als vermindern würde, oder ob die Partei im Untergrund ihre Ziele womöglich wirksamer verfolgen könnte als vorher.
Ein Verbotsverfahren könnte Karlsruhe so stark beanspruchen, dass damit auch der Schutz von Grundrechten und Verfassungsordnung über Monate hinweg behindert wäre.
Ein derartiges Verfahren würde in der Tat die Arbeitskapazität des Gerichts stark binden. Indes gehören Parteiverbotsverfahren zu den Aufgaben des Bundesverfassungsgerichts, und wenn die Bundesregierung meint, den Antrag stellen zu müssen, kann es auf die Belastung nicht ankommen.
Wie schnell wäre mit einer Entscheidung aus Karlsruhe zu rechnen?
Das lässt sich kaum voraussagen. Es gibt keine Fristen, wohl aber Tausende anhängiger Verfahren, darunter einige, die sicher nicht weniger gewichtig sind.
Karlsruhe hat einige Male behördliche Verbote von rechtsradikalen Demonstrationen aufgehoben. Sehen Sie darin eine neue Linie?
Nein. Es sind die seit langem anerkannten Maßstäbe zur Geltung gebracht worden. Und es ist auch keineswegs das erste Mal, dass die NPD in Demonstrationssachen vor dem Bundesverfassungsgericht Recht bekommen hat. Wenn sich die Fälle in jüngster Zeit gemehrt haben, hängt das wohl damit zusammen, dass in dem angespannten Klima der letzten Monate die Maßstäbe, die Artikel 8 des Grundgesetzes [Garantie der Demonstrationsfreiheit, d. Red.] setzt, nicht überall genügend beachtet worden sind.
Deutsche Juristen schützen also die Faschisten?
Deutsche Juristen schützen die Grundrechte, und diese stehen allen zu, solange sie nicht verwirkt sind und die Aktionen sich in den gesetzlich gezogenen Grenzen des Demonstrationsrechtes halten. Die Vertreter unorthodoxer und irritierender Auffassungen haben diesen Schutz besonders nötig.
Und wenn die Äußerungen sozusagen „geistige Brandsätze“ sind?
Mit der Rückführung von Aktionen auf Äußerungen, die selbst keinen Aufforderungscharakter hatten, sollte man sehr vorsichtig sein. Die Demonstrationsfreiheit ist wie die Meinungsfreiheit ein hohes demokratisches Rechtsgut. Das ändert aber nichts daran, dass Demonstrationen, die andere Rechtsgüter gefährden, untersagt, mit Auflagen versehen oder aufgelöst werden können. Die Gefahr muss allerdings von der Demonstration, nicht von Gegenaktionen ausgehen, auch muss die Gefährdung schwerer wiegen als die Beschneidung des Grundrechts, und sie muss akut sein.
Wie sieht es mit der Meinungsfreiheit bei Aussagen zur deutschen Vergangenheit aus? Viele sagen ja: „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen.“
Auch zur NS-Vergangenheit darf man verschiedene Auffassungen haben. Das garantiert das Grundrecht der Meinungsfreiheit. Etwas anderes ist es, ob man mit seinen Äußerungen die Wiederkehr dieses System betreibt. Wer Hitler den Autobahnbau zugute hält, ist kein Fall für den Strafrichter, wer die Rassengesetze propagiert, schon.
Obwohl solche Aussagen in vielen Demokratien, wie etwa den USA, nicht geahndet würden ...
Die USA gehen im Schutz der Meinungsfreiheit weiter als wir. Sie haben allerdings auch die historische Erfahrung, die hinter uns liegt, nicht gemacht. Die deutschen Gesetze, die das Propagieren oder Verherrlichen des Nationalsozialismus verbieten, sind Ausdruck einer Grundentscheidung des „Nie wieder“.
... und der Angst ums deutsche Image im Ausland ...
Natürlich muss sich die Bundesregierung um das Ansehen Deutschlands im Ausland kümmern. Aber für Grundrechtsbeschränkungen ist Imagepflege ein schwacher Grund. Das „Image“ Deutschlands beruht nicht zuletzt auf seiner hohen Grundrechtskultur.
Ein Gesetz, das außenpolitisch motivierte Demonstrationsverbote an Orten wie dem Brandenburger Tor zulässt, wäre also verfassungswidrig?
Generelle Demonstrationsverbote für bestimmte Orte sind verfassungsrechtlich fragwürdig. Zur Demonstrationsfreiheit gehört auch die Wahl des Ortes, von dem man sich für sein Anliegen die größte Wirkung verspricht. Für ein Verbot muss es deswegen schwerwiegende Gründe geben. Ob solche für ein generelles Verbot an bestimmten öffentlichen Plätzen zu finden wären, bezweifele ich. Es müsste dann ja begründbar sein, dass jegliche Demonstration an diesem Ort – auch die von Kirchen und Gewerkschaften – der Bundesrepublik schweren Schaden zufügen würde.
Gehören Rechtsradikale in einer multikulturellen Gesellschaft inzwischen einfach dazu?
Sie sind kein notwendiger Bestandteil. Aber wenn sie schon einmal da sind, kommen sie auch in den Genuss der rechtsstaatlichen Sicherungen. Der Rechtsstaat muss sich an seinen Gegnern bewähren.
Zitat:
ZUR MEINUNGSFREIHEIT:„Vertreter irritierender Auffassungen haben diesen Schutz nötig“
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