: Chance für Menschen und Natur
Das Biosphärenreservat Donaudelta war als einziges Projekt in der Ukraine für die Expo 2000 registriert. Für die Naturschützer im Sapowednik ist diese internationale Anerkennung auch im Nachhinein ein wichtiger Erfolg
von KATHARINA BORN
„Das Beste, was wir haben, ist was wir nicht haben“, sagt der Weinbauer Iwan Sergejewitsch Morosow, 62, und schenkt schaumigen Rotwein aus einer Plastikflasche ein. „Was hier wächst, ist natürlich. Keine Chemie. Unsere schwarze Navaktraube hilft sogar gegen Tschernobyl. Der rote Wein spült die weißen Blutkörperchen aus dem Blut.“ Man ist stolz auf die unberührte Natur im ukrainischen Donaudelta. Und man ist stolz darauf, Teil der Expo 2000 gewesen zu sein, obwohl man nicht sicher war, was man erhoffen konnte: Kontakte zum Westen, Geldgeber oder politische Unterstützung.
Im Biosphärenreservat Donaudelta zwischen Rumänien und der Ukraine am Schwarzen Meer werden heute nicht mehr nur Eisvögel, Reiher, Pelikane und geschwätzige Kormorankolonien geschützt. Das „Gesamtsystem“ soll gefördert werden, inklusive der Menschen, deren Lebensgrundlage das Delta ist.
Während die Auflösung des Kolchossystems in der Ukraine in weiten Teilen zum völligen Stillstand der Wirtschaft geführt hat, liegt hier eine ehrgeizige Strategie auf dem Tisch. Ein Fischerei-Lizenzsystem soll zeigen, wie bei der Entwicklung ärmster Regionen Umwelt und Wirtschaft voneinander profitieren können.
Wo die Donau in das Schwarze Meer mündet, wächst aus dem „gesammelten Dreck ganz Südosteuropas“, wie es seit den Chemieunfällen in Rumänien heißt, ein Feuchtgebiet, das durch die Grenzsituation am äußersten Zipfel der Ukraine zwischen Moldawien und Rumänien einmalig ungestört geblieben ist. Bereits seit 1973 besteht dort ein Naturpark, der Sapowednik. Vor dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden die Verordnungen von rumänischen Grenztruppen durchgesetzt. Für die Weinbauern des Deltas gehört die Schutzzone längst zur alten Ordnung. „Ordnung muss sein“, sagt Iwan Sergejewitsch, „für uns und auch für die Natur.“
Inzwischen ist der Sapowednik ein Biosphärenreservat. 1994 wurde die Fläche auf 46.000 Quadratmeter verfünffacht, die Weltbank gab 1,5 Millionen Dollar zur Verbesserung des Managements und für Maßnahmen und Aufklärung. Unterstützung fand das Projekt auch bei westlichen Umweltorganisationen vor allem aus den Niederlanden. Seit Februar haben sich die Wissenschaftler des Sapowednik offiziell mit der rumänischen Seite des Deltas zusammengeschlossen, „weil manche Vögel zwar in Rumänien wohnen, aber in der Ukraine essen“.
„Früher hieß es immer nur, dies darf man nicht, das darf man nicht“, sagt Sascha Petrusenko, einer von zwölf Rangern des Reservats. „Seit wir ein Biosphärenreservat sind, gibt es nicht nur Zonen, wo man nichts darf, sondern auch Zonen, wo die Leute wohnen und wirtschaften können. Sie merken, dass es nicht nur der Natur sondern auch ihnen besser geht.“ In neu gebauten Blockhütten inmitten des Sumpfes zählen die Ranger Tag und Nacht die Vögel – wenn sie nicht gerade mit den Fischern der Nachbarinseln Navakwein trinken und ihnen den Umweltschutz erklären.
Der Zwölftausend-Seelen-Ort Wilkowo am Rande des Reservats besteht hauptsächlich aus penibel gepflegten Hütten und Gärten. Auf Stelzen gebaut, im Schilf versteckt, liegen sie in einer verträumten Landschaft aus Weinstöcken, blühenden Obstbäumen, Kanälen und Fischerbooten. Mit kleinen Aufräum- und Baumpflanzaktionen soll auch die Bevölkerung am Naturschutz beteiligt werden. Anerkennung fand der Sapowednik vor allem durch das Reinigen der Kanäle, aus denen die Bevölkerung das Trinkwasser schöpft.
Aber seit die Mittel der Weltbank aufgebraucht sind, lässt sich ohne weitreichenden Einfluss kaum noch etwas bewegen in Wilkowos alter Ordnung. Nur zögerlich haben die lokalen Machthaber der Fischereikolchose dem Sapowednik überhaupt das Recht zugestanden, auch auf dem Wasser Vorschriften zu erlassen. Zuletzt beschränkten sich die Wissenschaftler des Naturparks deshalb darauf, ein Sanatorium für Aidskranke in dem vergessenen Winkel zu verhindern, um sich bei der Bevölkerung beliebt zu machen. Cafés, Geschäfte und Kindergärten der Siedlung sind längst geschlossen, der Hafen arbeitet nur noch bedingt, die Fischverarbeitungindustrie liegt weitgehend still.
Das Wirtschaftssystem der Ukraine ist knapp ein Jahrzehnt nach der Unabhängigkeit noch immer gelähmt von der „Privatisierung der kleinen Schritte“. Obwohl seit dem 1. April formal der neue Eigentumsstatus für die über 10.000 Kolchosbetriebe der Ukraine gilt, hat sich praktisch kaum etwas verändert an der Eigenmächtigkeit der lokalen Bosse. Es fehlen Gesetze, die Bauern wie Fischern ermöglichen würden, privat zu wirtschaften, so liegen Felder brach, Verarbeitungsbetriebe stehen still, die Menschen hungern. „Was ist für uns schon der Naturpark“, sagt der Fischer Sergej, 35. „Die kümmern sich hier um ihre Wissenschaft. Und wir kümmern uns um unsere Wirtschaft.“
Sergejs Familie fischt seit fünf Generationen im Donaudelta. Die Woche über leben die Fischer auf den Sumpfinseln in Zelten, Wellblechtonnen oder zu Dutzenden in ärmlichen Lehmhütten. Für sie wird der Naturpark erst interessant, seit man dort plant, das zerrüttete Kolchossystem auszuhebeln. Denn die ehemals größte Fischverarbeitungskolchose zahlt seit drei Jahren keinen Lohn mehr.
An der staatlichen Kontrollstation, dem kleinen Türmchen, streiten Uniformierte mit zwei Fischern. Ein Scheingefecht. Nach kurzem Wortwechsel reicht der jüngere der beiden den Kontrolleuren ein halbes Dutzend Heringe herüber. Siebzig Prozent des Fangs müssten die Fischer eigentlich an die Kolchose abgeben. Benzin, Netze und die Boote aber gehen auf ihre Kosten. Das Resultat ist wilde Überfischung: Ganz Wilkowo einschließlich der Kontrolleure hat beschlossen, den Fang lieber selbst zu essen. „Wir verstecken den Fang“, sagt Sergej. „Wir klauen ihn nicht. Wir verkaufen ihn, damit wir leben können. Wenn uns die Kolchose bezahlen würde, würden wir das nicht tun.“
Wenn es nach den Naturschützern ginge, sollten die Fischer in Zukunft wie in allen anderen Donauanrainern Fanglizenzen kaufen. Der Erlös würde der maroden Stadt zu Gute kommen, und die Fischerei wäre wieder kontrollierbar. „Die Lösung des wirtschaftlichen Problems hilft bei der Lösung des Umweltproblems. Wenn der Fischer Geld für seine Arbeit bekommt, wird er auch selbst für sein Land sorgen. Wir hoffen sogar, dass eines Tages die Fischer selbst ihr Territorium schützen, und besser als unsere Inspektoren es je könnten.“ Noch wehren sich die alten Machthaber des Kolchossystems.
Aber in Kiew hat der Umweltminister die Registrierungs-Urkunde des Expo-Projekts jetzt für sein Büro rahmen lassen. Das ist zumindest ein fassbarer Erfolg der Expo: Die internationale Anerkennung bedeutet auch zu Hause mehr Unterstützung.
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