: Zoom auf den Angeklagten, Schnitt auf den Richter
Der Nachrichtensender n-tv will auch in deutschen Gerichtssälen filmen und klagt darum heute vorm Bundesverfassungsgericht. Mit guten Chancen
„Menschen und Paragraphen – Originalaufnahmen aus Berliner Gerichtssälen“. Noch in den 50er-Jahren gab es im deutschen Fernsehen derartige Gerichtsberichte zu sehen. Erst seit 1964 sind Filmaufnahmen während der Verhandlung verboten. Der private Nachrichtensender n-tv sieht hierin allerdings eine unzulässige Beschränkung der Rundfunkfreiheit. Heute befasst sich das Bundesverfassungsgericht mit seiner Klage.
„Öffentlichkeit heißt im Jahr 2000 auch Fernsehöffentlichkeit“, betont Karl-Ulrich Kuhlo, der n-tv-Aufsichtsratsvorsitzende. Er sieht nicht ein, warum zwar jeder Bürger Zutritt zum Gerichtssaal hat, die Kameras seines Senders jedoch draußen bleiben müssen. Kuhlo glaubt sogar, dass das Fernsehen objektiver berichten könne als die gedruckte Presse: „In den meinungsmachenden Blättern sind Vorverurteilungen doch gang und gäbe. Ein fernsehöffentliches Verfahren könnte dies verhindern.“ Außerdem, so ein weiteres Argument von n-tv, wolle man der Gesellschaft „Rechtskenntnisse und Rechtsverständnis“ vermitteln.
Das sieht man beim Deutschen Richterbund allerdings anders. Erwartet wird eine reine Sensationsberichterstattung, bei der Fälle wie Kindesmissbrauch und Vergewaltigung im Mittelpunkt stehen. Das Verbot von Filmaufnahmen im Gerichtssaal wird daher für „unerlässlich“ gehalten, heißt es in einer Stellungnahme des Richterbundes. Es schütze die Menschenwürde der Verfahrensbeteiligten und sichere die Wahrheitsfindung.
Die Richter befürchten, dass der Angeklagte im Fernsehen an den Pranger gestellt und seine Rückkehr in die Gesellschaft erschwert würde – auch dann, wenn am Ende des Verfahrens ein Freispruch steht. Von der Kamera im Gerichtssaal erwarten die Richter einen negativen Einfluss auf alle Prozessbeteiligten. Das Gericht würde durch die „Studioatmosphäre“ gestört, Zeugen seien nicht mehr unbefangen und ein Opfer, das sich etwa bei einem Betrug übertöpeln ließ, werde vor den Kameras der Lächerlichkeit preisgegeben.
Viele dieser Argumente sind allerdings nicht sehr fernsehspezifisch. Und es lässt sich durchaus fragen, warum ein Reporter der Bild-Zeitung im Gerichtssaal weniger „gefährlich“ sein soll als die Kameras von n-tv. Immerhin werden ja auch heute schon Strafprozesse wie der von Monika Weimar/Böttcher von den Medien intensiv begleitet. Es könnte also durchaus sein, dass das Bundesverfassungsgericht eine gewisse Lockerung des Filmverbots anordnet. So hat n-tv etwa angeboten, die Kameras stets auszuschalten, wenn Verfahrensbeteiligte dies wünschen. Dies könnte allerdings dazu führen, dass die Senderechte am Ende wie im Fußball versteigert werden.
Auch die beschränkte Zulassung von Filmaufnahmen bei der Urteilsbegründung hat Nachteile. Gerade hier sucht das Gericht noch einmal das persönliche und pädagogische Gespräch mit dem Angeklagten. Dies könnte aber behindert sein, wenn die Richter dabei zu sehr ans Fernsehpublikum denken. Denkbar ist schließlich, dass das Fernsehen nur in bestimmten Justizbereichen zugelassen wird, etwa bei den Verwaltungsgerichten.
Um Karlsruhe in diese Richtung zu lenken, hat n-tv seiner ersten Verfassungsbeschwerde (dort ging es um den Strafprozess gegen Egon Krenz wegen der Mauertoten) eine zweite Klage folgen lassen. Hier wollte der Nachrichtensender ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts dokumentieren, das im April 1999 über die aktuelle Kruzifix-Regelung für bayerische Schulen zu befinden hatte. Sollte es tatsächlich zu einer Liberalisierung kommen, stünden die Fernsehsender allerdings nicht gerade Schlange. Außer n-tv hat noch niemand konkret Interesse bekundet. RTL II hat das Verfahren in Karlsruhe erst gar nicht im Blick: „Gerichtsübertragungen sind für unsere Zielgruppe nicht interessant“, erklärt Pressesprecher Matthias Trenkle.
Auch die öffentlich-rechtlichen Sender halten sich bedeckt. „Wir haben n-tv in Karlsruhe nicht unterstützt“, betont SWR-Justitiar Hermann Eicher. In den USA dagegen gibt es mit „Court-TV“ sogar einen spezialisierten Sender, der etwa das Gerichtsdrama um den Ex-Football-Star O. J. Simpson, der seine Frau umgebracht haben sollte, ausführlich dokumentierte.
CHRISTIAN RATH
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