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Die Geschichte vom Wasserfahrer

von THORSTEN DENKLER und REINER METZGER

Es ist nur ein Surren, kaum vernehmlich, aber doch durchdringend. Menschen in Anzug und Krawatte schauen sich um. Der Vorstandsvorsitzende der DaimlerChrysler AG, Jürgen Schrempp, beendet gerade seine Rede im lichten Atrium der Berliner Konzern-Repräsentanz. Jetzt darf Necar kommen. Genauer: der Necar 5. Das erste alltagstaugliche Wasserstoffauto der Welt, wie Schrempp das Konzept-Auto auf der Basis der Mercedes-A-Klasse nennt. Ein „Quantensprung in der Automobiltechnik“, wird Bundeskanzler Gerhard Schröder wenig später bei der Necar-Vorstellung sagen.

Die Reifen quietschen auf dem blanken Steinboden des Atriums. Dann rauscht er an den 40, 50 Reihen geladener Gäste vorbei auf die Bühne. Applaus. DaimlerChrysler feiert sich und seine Weltpremiere.

Der Konzern hat mit dem gestrigen Tag die Pilotphase in der Entwicklung der Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Technologie hinter sich gelassen. Jetzt soll die Technik marktreif gemacht werden. 2004 spätestens will DaimlerChrysler-Chef Schrempp die ersten Serienautos fahren sehen. Zunächst allerdings nur in den Ballungsräumen der westlichen Industriestaaten. Nur hier werden sich einige wenige das Auto leisten können. Und nur hier lohnt sich der Betrieb erster Methanoltankstellen. Wenn die Minrealölkonzerne nicht mitmachen, will Daimler Chrysler zur Not ein eigenes Netz aufbauen.

Der Necar 5 hat sich gegenüber seinen Vorgängern stark verändert. Äußerlich hat er zwar das bekannte A-Klasse-Gesicht behalten. Innen aber hat er jetzt etwas, was andere Prototypen nicht haben: Platz für vier Personen ohne Einschränkungen gegenüber der normalen A-Klasse. Die gesamte Technik ist im serienmäßigen Doppelboden untergebracht. Im Necar 1, 1994 vorgestellt, belegten Brennstoffzelle und Flüssigwasserstofftanks noch den kompletten Laderaum eines Lieferwagens.

Jetzt soll die Methanoltechnik helfen. Methanol ist ein Wasserstoffträger. Über einen Umwandler – Fachleute sprechen von einem Reformator – wird aus Methanol Wasserstoff, aus dem dann in der Brennstoffzelle zusammen mit Sauerstoff Strom erzeugt wird. Aus dem Auspuff kommen nur noch Wasser und geringe Mengen des Treibhausgases Kohlendioxid.

Methanol hat gegenüber reinem Wasserstoff einen entscheidenden Vorteil: Es ist flüssig und ließe sich über das bestehende Tankstellennetz vertreiben, glaubt DaimlerChrysler. Wasserstoff müsste entweder über hohen Druck oder durch extreme Kühlung auf minus 253 Grad Celsius flüssig gemacht werden. Den Ingenieuren ist dafür der Energieaufwand zu hoch. Für Bus- und Taxiflotten will DaimlerChrysler übrigens weiter auf Wasserstofftanks setzen. Schon 2002 sollen die ersten 30 Busse an Verkehrsbetriebe in zehn Städten weltweit geliefert werden.

Wenn das erste Serienfahrzeug auf Deutschlands Straßen rollt, wird Daimler Chrysler 2 Milliarden Euro in die Entwicklung gesteckt haben. Sie sind nicht die einzigen Autobauer, die sich an der Entwicklung eines Brennstoffzellenautos versuchen. Wichtigste Konkurrenten sind General Motors, Honda und Toyota. Sie forschen aus nahe liegenden Gründen an der Brennstoffzelle: Die Ölressourcen werden langsam knapp und damit teuer. Die Automobilindustrie kann sich die bestehende Abhängigkeit von den Öl fördernden Staaten, allen voran die Opec, nicht leisten. Und den Ottomotoren sind bei der Steigerung ihrer Effizienz physikalische Grenzen gesetzt.

Außerdem: Die Motoren der heutigen Automobile werden immer mehr zu kleinen Stromkraftwerken. Von der Klimaanlage über die elektrischen Fensterheber bis zum Bordcomputer – der Motor muss alles mit Energie versorgen. Und das kostet teures Benzin. Mit der Brennstoffzelle ist die Stromversorgung im Auto gesichert. Denn hier ist Strom kein Nebenprodukt, sondern Hauptantriebsart. Der Aktienmarkt setzt ohne Wenn und Aber auf Brennstoffzellenautos: alle börsennotierten Hersteller der Hightech-Kraftwerke vervielfachten ihren Wert in den letzten Monaten und Jahren.

Die meisten Autohersteller sind hingegen – zumindest in absehbarer Zukunft – wesentlich skeptischer, was den Verkauf von Autos in großen Stückzahlen oder gar die Profite angeht: Toyota beispielsweise ist zwar einer der härtesten Konkurenten von DaimlerChrysler beim Brennstoffzellenauto. Doch für die Serienfertigung setzt der japanische Autoriese bis auf weiteres auf Hybridautos. Diese haben einen kleinen, effizienten Motor und elektrische Batterien. „Weltweit fahren schon 50.000 unserer Hybridautos auf den Straßen“, sagte gestern ein Toyota-Sprecher in Berlin bei der Deutschlandpräsentation des Modells „Prius“. Zu einem bezahlbaren Preis schon in Serie hergestellt, sind die Emissionen dieser Limousine 50 Prozent unter der anspruchsvollen Euro-IV-Norm. Der Verbrauch in der Stadt liegt laut Toyota umgerechnet bei 3 bis 4 Liter Benzin auf 100 Kilometern.

Für die Markteinführung eines Brennstoffzellenautos gibt es bei Toyota noch keinen Termin. „Ob der Hybridantrieb oder die Brennstoffzelle die Massenmotorisierung der Zukunft wird, ist noch nicht entschieden“, so der Sprecher.

Der Hersteller BMW setzt ganz bewusst nicht auf die Brennstoffzelle. Stattdessen rüsteten die Münchener die Motoren von einigen ihrer großen 7er-Modelle geringfügig um und betreiben sie nun je nach Tankstellenlage mit flüssigem Wasserstoff oder Benzin. Diese fuhren als VIP-Express auf der Expo und in München schon über 100.000 Kilometer ohne Probleme und zu einem Herstellungspreis, der nur wenig über dem eines konventionellen Fahrzeugs liegt. Laut BMW-Pressestelle sind nicht nur das hohe Gewicht und der Platzbedarf der Brennstoffzellen ein Hindernis: Die zwei Tonnen schweren 7er-Limousinen haben üblicherweise gut 200 PS. Die dafür nötigen Brennstoffzellen würden laut BMW nicht nur viel Geld kosten, sondern bräuchten auch zu viel Platz.

„Der Punkt beim Wasserstoffantrieb ist jedoch der Kohlendioxidausstoß“, so BMW. Nur wenn der Betriebsstoff Wasserstoff aus der Solarproduktion käme, ginge dieser Ausstoß gegen null. „Bei der Umwandlung von Methanol wird nach wie vor CO2 freigesetzt“, kritisiert BMW Daimlers Necar-Weg als falsche Strategie. Der Aufbau einer reinen Wasserstoff-Infrastruktur würde beim Umweg über Methanol auch nicht genug gefördert.

Ein 7er-BMW kommt mit seinem 140-Liter-Wasserstoff-Tank im Kofferraum und einem 150-Kilowatt-Motor maximal 350 Kilometer weit. Die Münchner versuchen also ähnlich wie die anderen großen Hersteller, ihr Modell Sportlimousine in die Wasserstoffzeit hinüberzuretten. Damit werden natürlich der Materialverbrauch und auch das Gewicht der heutigen Karossen mitgeschleppt in die Zukunft. Dabei ließe sich schon heute der Ölverbrauch der Autos und damit der CO2-Ausstoß der Autoflotte „ohne großen Aufwand“ um die Hälfte senken, sagt Greenpeace-Technikexperte Günter Hubmann – ohne Abstriche bei Sicherheit oder Leistung.

Dem stehen die Kundenwünsche entgegen, meint Opel-Sprecher Norbert Giesen: Energie fressende Einrichtungen wie Servolenkung und Klimaanlage gehörten nun einmal zum Standard, ohne die ein Auto gar nicht mehr zu verkaufen sei.

Für Karl-Otto Schallaböck vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie (WI) ist genau das die Krux: „Etwa zwei Drittel des Spritverbrauchs entfallen nicht auf die Beförderung selbst, sondern auf die Ausstattung der Fahrzeuge“, rechnet der Experte vor. Ein Verzicht auf selten ausgefahrene Spitzengeschwindigkeiten, die eine massive Bauweise der Fahrzeuge voraussetzen, und Extras wie elektronische Sitzverstellung, automatische Fensterheber oder Navigationssysteme könnte den Verbrauch deutlich senken.

Hermann Scheer von Eurosolar wehrt sich dagegen, Energieeffizienz gegen Treibstoffe aus erneuerbaren Energien auszuspielen. „Die Energiequelle ist die Gretchenfrage“, meint er. Für ihn könnten emmissionsfreie Motoren die Autoindustrie sogar zur treibenden Kraft für die ökologische Industrialisierung werden lassen. Und der Autoindustrie bliebe auch gar nichts anders übrig, als sich umzustellen; schließlich reiche das Erdöl bei gegenwärtiger Verbrauchsentwicklung nicht einmal bis zum Jahr 2050.

Scheer will aber nicht allein auf die Brennstoffzelle setzen. „Es dauert sicherlich Jahrzehnte, bis die etwa 500 Millionen Automobile auf den Straßen der Welt ersetzt sind durch völlig neue Motorentechniken“, meint er. Da ist ihm jede Technik recht: Ob Verbrennungsmotor, der Umweg Methanol oder aus Biomasse hergestellter Brennstoff – Hauptsache, es wird zunehmend mit regenerativen Treibstoffen gefahren.

Damit diese Technik nicht eine nette Vision bis zum Sankt-Nimmmerleins-Tag bleibt, hat der SPD-Bundestagsabgeordnete Scheer auch eine konkrete Forderung an den Parteikollegen und Bundeskanzler Gerhard Schröder: Die Politik müsse Treibstoff aus erneuerbaren Energien steuerfrei stellen und fossile Brennstoffe höher besteuern – ähnlich wie mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz beim elektrischen Strom. Denn bis die riesige Autoflotte in Deutschland und weltweit auf Null-Emissions-Treibstoffe umgestiegen ist, bedarf es noch einiger der Schröder’schen „Quantensprünge“.

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