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Motivsuche bei rechten Tätern

Vier rechtsextreme Jugendliche stehen seit gestern wegen Mordes an einem 60-Jährigen vor Gericht. Nach eigenen Angaben wollten sie „Assis klatschen“. Staatsanwalt zweifelt, ob ihre Gesinnung Triebfeder für die menschenverachtende Tat war

von PLUTONIA PLARRE

Dreimal sind die vier rechten Jugendlichen in der Tatnacht in wenigen Stunden Abstand in der Wohnung des 60-jährigen Sozialhilfeempfängers Dieter E. gewesen. Das erste Mal, um den im Bett liegenden Mann zusammenzutreten. „Assis klatschen“, nannten sie das. Das zweite Mal um Dieter E. ein Messer in die Brust zu stoßen, damit er sie nicht als Täter wiedererkennt. Das dritte Mal, um Spuren zu beseitigen.

Die Tat geschah in der Nacht vom 23. zum 24. Mai in Pankow. Seit gestern müssen sich die vier angeklagten Männer im Alter zwischen 17 und 21 Jahren vor einer Jugendstrafkammer des Landgerichts wegen Mordes verantworten. Im Vergleich zu anderen Delikten ist der Fall ungewöhnlich schnell zur Anklage und zum Prozess gebracht worden. Nur mit der Bewertung des Tatmotivs halten sich die Ermittlungsbehörden ausgesprochen zurück. Die Polizei hat in einer Pressemitteilung am Folgetag von einem Raubmord gesprochen. Diese Version wurde von der Staatsanwaltschaft auch dann nicht korrigiert, als die Jugendlichen zwei Tage später festgenommen wurden. Bei ihrer Vernehmung hatten sie eingeräumt, dass sie sich dem rechten Spektrum zugehörig fühlen und Kameradschaftstreffen veranstaltet hätten, an denen auch der Neonazi-Führer Arnulf Priem teilgenommen habe. Drei Tage vor der Tat waren sie durch Sieg-heil-Rufe in dem Hochhaus aufgefallen, wo einer der Angeklagten wohnte und Dieter E. starb. Wenige Stunden, bevor sie in die Wohnung des Sozialhilfeempfängers gestürmt waren, haben sie einen Afrikaner auf der Straße „angepöbelt“, wie gestern einer der Angeklagten zugab.

So eindeutig wie sich der Fall vor diesem Hintergrund darstellt, ist er für die Staatsanwaltschaft indes bis heute nicht. „Nicht jede Tat eines Rechtsextremisten ist eine rechtsextremistische Straftat“, sagt Justizsprecherin Anja Teschner. Die Tatsache, dass die Jugendlichen in ihrer polizeilichen Vernehmung selbst von „Assi klatschen“ gesprochen haben, brachte den zuständigen Staatsanwalt Ralph Knispel gestern immerhin zu dem Zugeständnis: „Die rechtsextremistische Gesinnung mag bei der Motivation mit eine Rolle gespielt haben.“ Inwieweit diese Gesinnung aber „Triebfeder“ für die zweifellos „menschenverachtende Tat“ gewesen sei, müsse im Prozess geklärt werden.

Das kann dauern. Aufgrund eines Befangenheitsantrags der Anwälte konnte das Gericht erst gestern Mittag mit der Befragung der Angeklagten beginnen. Die vier Männer, die sich ihre Haare inzwischen wachsen gelassen haben, kommen dem Vernehmen nach aus geordneten Verhältnissen. Einer ist der Sohn eines BGS-Beamten.

Drei sitzen in Untersuchungshaft. Der jüngste, der gestern als Erster vernommen wurde, sitzt in der U-Haftvermeidungsanstalt Haus Kieferngrund. Seiner Aussage zufolge hatten die vier an dem Abend „rechte Musik“ gehört und reichlich Alkohol getrunken, bevor zwei der Mitangeklagten auf die Idee gekommen seien, den im neunten Obergeschoss wohnenden Dieter E. „aufzuklatschen“. Einige von ihnen kannten den Mann und hatten sogar schon mit ihm gezecht. Aus einer Art „Gruppenzwang“ sei er mit in die Wohnung gegangen, sagte der jüngste Angeklagte, habe das Schlafzimmer aber nicht betreten, als der Rentner dort zusammengeschlagen und getötet wurde. Erst beim dritten Mal, als er mit einer Socke die Spuren in der Wohnung abgewischt habe, habe er den blutüberströmten Mann in seinem Bett liegen sehen: „Es war kein schöner Anblick“, räumte er auf Nachfrage des Richters ein. Der Prozess wird am 21. November fortgesetzt.

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