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Eine interkulturelle Toleranzprobe

Die deutsch-türkische Europaschule in Berlin wurde nach dem liberalen Schriftsteller Aziz Nesin benannt. Zum Missfallen konservativer Eltern. Der Streit um den Namen steht für gesellschaftliche Veränderungen in der türkischen Community

von JULIA NAUMANN

Papageno-Grundschule, Schiller-Gymnasium, John-Lennon-Schule. Der Name ist meist Programm. Schulen geben sich bestimmte Namen, weil sie damit eine Geisteshaltung ausdrücken wollen. Auch die Gründer der deutsch-türkischen Europaschule in Berlin-Kreuzberg wollten ein Zeichen setzen. Nach zweijähriger Debatte setzten sie durch, dass die Schule nach Aziz Nesin benannt wurde. Der liberale Schriftsteller ist unter konservativen Türken hochgradig umstritten (siehe Kasten).

Die Namensgebung steht exemplarisch für die Konflikte, die derzeit zwischen Deutschen und Türken, aber vor allem innerhalb der türkischen Gemeinschaft ausgetragen werden. Die überwiegende Mehrzahl der verschiedenen türkischen Generationen haben sich mit der Mehrheitsgesellschaft arrangiert. Doch gerade junge Türken suchen immer häufiger ihre „Wurzeln“, verbunden mit starker Religiosität und nationalistischen Tendenzen. Konservative Muslime zeigen sich deutlicher und selbstbewusster als früher.

Die Deutschen stehen dem entweder teilnahmslos oder höchst alamiert, aber letztendlich unwissend gegenüber. Für sie bleibt die kopftuchtragende Frau immer noch die Fremde und sie machen die Integration allein an der Sprachfähigkeit der Migranten fest.

Die Initiatoren der Europaschule wollten der deutsch-türkischen Nichtverständigung etwas entgegensetzen. Es waren liberale Eltern aus der Mittelschicht, viele von ihnen Akademiker, manche aus binationalen Ehen, die sich vor fünf Jahren für eine gleichberechtigte Erziehung der deutschen und türkischen Kinder einsetzten.

Einer der geistigen Väter der Europa-Schule ist Özcan Mutlu, Abgeordneter und schulpolitischer Sprecher der Berliner Grünen. Der 32-jährige Vater einer Tochter und eines Sohnes, der in Kreuzberg aufgewachsen ist, hat die Gründung der Schule maßgeblich vorangetrieben. Und er hat für den Namen Aziz-Nesin-Schule gekämpft.

Es war ein langwieriger Kampf, den Mutlu zusammen mit einigen Eltern und später auch mit der Schulleiterin führte. Ein Kampf, der ideologische Gräben aufgerissen und die scheinbar friedliche interkulturelle Welt gehörig durcheinander gebracht hat. Unumstritten war nur, dass die Schule einen Namen mit türkischem Hintergrund bekommen sollte.

Mutlu, ein ausgewiesener Linker in seiner Partei und wie Nesin ein Alevit, hatte schon lange den türkischen Schriftsteller als Namenspatron favorisiert. Nesin hat sich zeitlebens für das Wohl von Kindern eingesetzt. „Ich stelle mir vor, dass die Kinder unserer Schule zukünftig nach Istanbul auf Klassenreise fahren und die Kinder der Nesin-Stiftung kennen lernen“, malt sich Mutlu eine länder- und klassenübergreifende Vision aus.

Doch der Namensvorschlagpolarisierte die Elternschaft. Viele hätten einen völlig unpolitischen Patron vorgezogen oder Begriffe wie „Orient“- oder „Morgenland“-Schule. „Doch wir wollten einen Namen, der etwas aussagt, mit dem die Schule sich identifizieren kann“, sagt Gesamtelternvertreterin Anna Weber.

In der türkischen Community, rund 150.000 leben in Berlin, hat sich herumgesprochen, dass die Schule einen exzellenten Ruf hat und dass dort im Gegensatz zu den normalen Grundschulen neben Deutsch auch vernünftig Türkisch gelernt wird. Für konservative Eltern ist das der entscheidene Faktor. Hier unterrichten abwechselnd oder gemeinsam je zur Hälfte türkische und deutsche Lehrer. Es sei zu beobachten, so Özcan Mutlu und auch die Schulleiterin, dass für Eltern mit einem konservativen Hintergrund nicht unbedingt der interkulturelle Unterricht, das Miteinander, im Vordergrund stehe, sondern das Erlernen der türkischen Sprache.

Der Rushdie-Übersetzer

Integration in die Mehrheitsgesellschaft sei für sie nicht so erstrebenswert, sondern eher die Rückbesinnung auf die Türkei, den Nationalismus und den Islam. Es seien bildungbewusste Eltern der zweiten Generation, die ihre Kinder aus weiter entfernten Bezirken brächten. Um wie viele Eltern es sich dabei handele, kann und will niemand so genau sagen. „Man kann sie nicht über einen Kamm scheren, das wäre falsch“, sagt Gesamtelternvertreterin Anna Weber. Auch möchte sie es nicht daran festmachen, wie viele kopftuchtragende Mädchen in der Schule auftauchen. „Das wäre zu platt.“ Fest steht, dass es in den vergangenen ein bis zwei Jahren mehr Eltern geworden sind, die in diese Richtung tendieren.

Bisher wird das weltliche Fach „Lebenskunde“ als Alternative zum Religionsunterricht gut besucht, auch von den Kindern der konservativeren Eltern. Islamischen Religionsunterricht, der seit diesem Jahr de facto möglich ist, hat noch niemand gefordert.

Nachdem der Name Aziz Nesin im Raum stand, brachen diese unterschiedlichen ideologischen Linien auf. Manche türkische Eltern befürchteten, dass die Kinder mit einem „Aziz-Nesin“-Zeugniskopf keinen Job in der Türkei bekämen. „Der Name wird dort geächtet“, heißt es immer wieder.

Das Sprachproblem

Die deutschen Eltern stehen den Anfeindungen eher ratlos gegenüber. „Für mich waren diese Streitereien teilweise nicht nachvollziehbar“, sagt Gesamtelternverteterin Anna Weber. Sie habe es schmerzlich vermisst, die türkische Sprache nicht zu können – im Gegensatz zu ihrem Sohn Paul, der mittlerweile recht fließend plappert.

Schulleiterin Christel Kottmann-Mentz spricht von „Bitterkeiten auf beiden Seiten“. Sie habe ab und zu eine „Fremdheit“ gespürt, die sie vorher so gar nicht kannte. Dabei ist Kottmann-Mentz ist eine gestandene Frau mit wenig Berührungsängsten, die Türkisch spricht und seit 1978 mit Kindern nichtdeutscher Herkunftssprache arbeitet. Vor dem Konflikt, so erzählt ein deutscher Vater, habe man zwar nicht miteinander gelebt, aber zusammen Feste gefeiert und „geratscht“. Die Stimmung sei jetzt angespannter.

Höhepunkt der Auseinandersetzungen war eine schulinterne Veranstaltung im Mai. Schulleiterin Kottmann-Mentz, die erst im Dezember vergangenen Jahres angetreten ist, präsentierte dort eine eigene Namensfavoritin: die 1964 gestrobene Schriftstellerin Halide Edip Adivar. Die bürgerliche Adivar setzte sich für die Schulbildung von Mädchen ein, verkörperte einerseits die islamische Welt, setze sich aber auch für eine Öffnung nach Europa ein. „Ich wollte einen Frauennamen“, sagt Kottmann-Mentz. Doch Adivars Schriften wurden nicht ins Deutsche übersetzt, sind deshalb für die deutschen Eltern wenig fassbar. Und dann wird noch ein weiterer Vorschlag ins Spiel gebracht: Mehmet Akif Ersoy, der die türkische Nationhymne dichtete. Ersoy war gläubiger Muslim, er hat die Säkularisierung unter dem türkischen Staatsgründer Atatürk nicht mitgetragen und ist deshalb nach Ägypten ausgewandert. „Ersoy ist ein geeigneter Spiegel für die Wertvorstellungen der türkischen Bürger“, begründete Yusuf Agiralioglu, Elternvertreter in einer 4. Klasse auf der Veranstaltung seinen Favoriten. Und: Ersoy habe viel mit Goethe gemein.

Unterstützt wird der Vater von ungefähr zehn schulfremden Männern, die an diesem Abend in die Schulaula gekommen sind. Sie machen abfällige Bemerkungen über Aziz Nesin, grölen, buhen. Welche Eltern hier die treibende Kraft waren, weiß die Schulleitung bis heute nicht. Agiralioglu will mit ihnen nichts zu tun haben. Nach Recherchen der taz sollen sie Angehörige der Ahmet-Yesevi-Moschee in Spandau sein. Sie wird von der Türkischen Föderation geleitet, die zu den Grauen Wölfen, den türkischen Nationalisten gehören.

Eine Handvoll dagegen

Nach der Veranstaltung beschließt die Schulleiterin, auch den Namen Aziz Nesin zu unterstützen. Ihr sei klar geworden, dass immer mehr konservativere und religiöse Eltern an die Schule kämen. Mit Nesin wollte sie ein deutliches Zeichen setzen, in welchem Geist die Schule stehe. Unter den Eltern lässt sie denneoch ein Meinungsbild erstellen. Von 192 abgebenen Stimmen fallen 92 auf Nezin, der Rest teilt sich zwischen den beiden anderen Kandidaten auf. Anschließend stimmten auch die Schulkonferenz, die Schulverwaltung und das Bezirksamt zu.

Doch einige Tage nach der Entscheidung der Schulkonferenz kursieren Unterschriftenlisten gegen Nesin unter den Eltern und auch in einigen türkischen Läden in der Kreuzberger Oranienstraße. 70 Menschen unterzeichnen. „Es waren nur eine Handvoll dezidiert gegen Nezin“, glaubt Anna Weber. Aber die hätten es geschickt geschafft, die anderen Eltern zu organisieren.

Seitdem ist es ruhig geblieben. Nur Yusuf Agiralioglu hat bisher die Androhung wahr gemacht sein Kind von der Schule zu nehmen: „Die Ideologie Nesins wird hier weiter gelebt. Das kann ich nicht ertragen.“ Auch die ein oder zwei türkischen Lehrer, die sich an andere Schulen versetzen lassen wollten, haben das noch nicht getan. Es gibt jedoch immer noch Eltern, die die Entscheidung nicht akzeptieren wollen und fordern, das Geschehen neu aufzurollen und einen Namen zu finden, der „Menschen aller Kulturen, Religionen, Nationalitäten“ berücksichtigt.

Rektorin Kottmann-Mentz möchte am liebsten gar nicht mehr über den Konflikt reden, möchte nichts „hochkochen“. Für den Tag der offenen Tür an diesem Sonnabend hat sie einen Flyer und eine Broschüre erstellt. Auf der Titelseite steht weiterhin „Staatliche Deutsch-Türkische Europa-Schule“. Der Name Aziz Nesin taucht nur klein im Impressum auf. „Ich möchte die Gegner nicht verprellen“, sagt die 57-Jährige. Denn: Es geht ihr um die Kinder. „Wir wollen nicht, dass die Eltern ihre Kinder abmelden“, sagt auch Anna Weber. „Hier lernt man tolerant zu werden.“ Sie sehe das an den Kleinen. Die könnten mit Fremdheit wesentlich besser umgehen als die Erwachsenen.

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