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Ein Minister will sich bilden

von DOMINIC JOHNSON

Vor einigen Wochen machten Mitarbeiter von Hilfsorganisationen in den Wäldern um die Stadt Shabunda im Osten der Demokratischen Republik Kongo eine grausige Entdeckung. Zwischen den Bäumen kamen 128 Menschen in einem „tierähnlichen Zustand“ hervor, „nicht mehr des Sprechens fähig, nackt und übersät mit offenen, stinkenden Wunden“, so ein UN-Bericht. Milizen hatten im Januar ihre Dörfer abgebrannt. Seitdem lebten sie völlig mittellos im Regenwald.

Außenminister Joschka Fischer wird keinen einzigen der Millionen Kriegsvertriebenen im Afrika der Großen Seen zu Gesicht bekommen, wenn er in den kommenden Tagen Ruanda und Burundi besucht und damit seinen ersten Besuch in der Krisenregion absolviert. Er wird wohl auch keinen neuen diplomatischen Lösungsvorschlag im Gepäck haben. Ein Beobachter urteilt, es gebe für diese Reise „kein richtiges Konzept“, ein anderer spricht von „Zeitverschwendung“. Offizielle Stellen nennen die Reise „ein Signal“.

Deutscher Einfluss

Dabei wäre es höchste Zeit für einen neuen Ansatz zur Befriedung der Region, in der die Sterberate mittlerweile an die der düstersten Episoden des Zweiten Weltkriegs heranreicht. Die bisherigen Friedensbemühungen haben kaum etwas bewirkt. Das Kongo-Waffenstillstandsabkommen, das im Sommer 1999 in Sambias Hauptstadt Lusaka geschlossen wurde, ist nie wirksam geworden. Ruanda ist heute nur deswegen friedlich, weil die Tutsi-dominierte Regierungsarmee und die Reste jener Hutu-Milizen, die 1994 den Völkermord an 800.000 Tutsi verübten, ihren Krieg nicht mehr in Ruanda selbst führen, sondern tief im Kongo, und niemand ein Konzept dafür hat, wie eine Befriedung des Kongo ohne eine Rückübertragung des Hutu-Tutsi-Konfliktes nach Ruanda vonstatten gehen kann. Burundi, wo der Machtkampf zwischen der Tutsi-dominierten Armee und Hutu-dominierten Rebellen seit 1993 über 250.000 Tote gefordert hat, findet nicht zum Frieden, obwohl alle politischen Gruppen des Landes ein unter Schirmherrschaft von Nelson Mandela ausgearbeitetes Friedensabkommen unterschrieben haben. Die Hutu-Rebellen verweigern die Unterschrift und rüsten sich im Kongo auf.

Deutschland hat in Ruanda, Burundi und im Kongo einen guten Ruf und beträchtliches Einflusspotenzial. Deutsche Geldgeber sind führend bei der Finanzierung kirchlicher und sozialer Dienste. Die Bundesregierung war einer der wichtigsten Finanzierer der Burundi-Friedensverhandlungen. Das deutsche Bayer-Tochterunternehmen Starck ist weltweit Marktführer in der Verarbeitung des seltenen Edelmetalls Tantalit, das in den ruandisch beherrschten Rebellengebieten des östlichen Kongo abgebaut wird – eine Förderung, für deren Ausbau Ruanda gerne deutsche Investitionen hätte. Die deutsch geführte Medikamentenfabrik „Pharmakina“ mit Sitz in der Stadt Bukavu ist eines der größten Privatunternehmen des kongolesischen Rebellengebietes. Die Deutsche Welthungerhilfe baut um die Rebellenhauptstadt Goma herum das Straßennetz wieder auf.

Deutscher Verzicht

Es passt kaum zu diesem ökonomischen Gewicht, dass Deutschland so gut wie nie eine eigene politische Initiative ergreift und letztes Jahr seine Botschaft in Burundi und sein Konsulat im Osten des Kongo schloss. Geld streuen, aber politisch unsichtbar bleiben – diese Devise erweist sich angesichts des humanitären Dramas im Afrika der Großen Seen als unhaltbar.

In einem Memorandum forderten führende deutsche Afrikanisten im Oktober eine „Politisierung der deutschen Afrikapolitik“ und ein aktiveres Verhalten mit klaren Zielen vor allem in der zentralafrikanischen Krisenregion. Das „Forum Menschenrechte“, ein Zusammenschluss einschlägiger deutscher NGOs, forderte Joschka Fischer bei einem Treffen vor seiner Reise dazu auf, „die bilaterale Zusammenarbeit als Hebel anzusetzen“, um politische Forderungen zu stellen und „Entwicklungshilfe im Sinne der präventiven Menschenrechtspolitik zu konditionieren“ – also Zahlungen von Verbesserungen bei der Menschenrechtslage abhängig zu machen. Ferner solle das vom Europaparlament geforderte EU-Waffenembargo für die Krisenregion endlich umgesetzt werden und die Einfuhr von im Kongo geförderten Rohstoffen unterbleiben.

Diese Forderungen bleiben mit Sicherheit unerfüllt. Ruandas Wiederaufbaubedarf ist wegen des Völkermordes immens, es ist ein Schwerpunktland der deutschen Entwicklungszusammenarbeit. Erst letzte Woche sagte eine internationale Geberkonferenz Ruanda für die kommenden Jahre umgerechnet 700 Millionen Mark zu, davon 15 Millionen bilateral aus Deutschland. Dies folgte auf eine EU-Budgethilfe für den laufenden Staatshaushalt von etwa 50 Millionen Mark, das sind rund zehn Prozent des Gesamtbudgets.

Die Bindungen zwischen Ruanda und seiner ersten Kolonialmacht Deutschland sind traditionell eng. Die für Ruanda typische detailbesessene Ordnungsliebe kommt bei Deutschen gut an, obwohl sie sich 1994 auch in der Systematik des Genozids äußerte. Seitdem lässt sich Deutschlands Verhältnis zu Ruanda vom schlechten Gewissen leiten, die Vorbereitung des Völkermords an den Tutsi weder bemerkt noch verhindert zu haben. Im Bestreben, mit der jetzt herrschenden Regierung der Tutsi so gut, wenn nicht besser zusammenzuarbeiten wie mit den früheren für den Genozid verantwortlichen Machthabern, werden vor der ruandischen Machtausdehnung in den Kongo oder der Langsamkeit beim Aufbau rechtsstaatlicher Institutionen zuweilen die Augen verschlossen.

Deutsche Kritik

In den letzten Monaten hat sich in Deutschland daran Kritik geregt. Helga Gräfin Strachwitz, die Afrikabeauftragte des Auswärtigen Amtes, nannte Ruandas und Ugandas Militärintervention im Kongo bei einer Fachtagung im Oktober „nicht völkerrechtskonform“. Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit, dessen Staatssekretärin Uschi Eid Außenminister Fischer nach Ruanda begleitet, äußert sich in seinem Ruanda-Länderbericht kritisch über die ruandische Regierung.

Pünktlich zu Fischers Reise sind wieder mildere Töne angesagt. Aus Regierungskreisen werden Ruandas legitime Sicherheitsinteressen betont: Es sei klar, dass Ruanda sich militärisch gegen die im Kongo stationierten Hutu-Milizen schützen müsse. Da die entscheidenden finanziellen Zusagen Deutschlands an Ruanda bereits letzte Woche erfolgt sind, wäre Kritik jetzt ohnehin folgenlos.

Für die Herausbildung einer kohärenten deutschen Haltung gegenüber dem Afrika der Großen Seen ist die Entwicklung auf EU-Ebene entscheidend, da Joschka Fischer unablässig die Europäisierung der deutschen Außenpolitik predigt. Hier blockiert Frankreich, traditioneller Gegner der Tutsi, bisher einen umfassenden Schuldenerlass für Ruanda, während Großbritannien und die Niederlande im Einklang mit den USA zu den stärksten Unterstützern der ruandischen Regierung zählen. Nach Angaben aus Regierungskreisen ist es vor allem Großbritannien, das eine stärkere Kritik der EU an Ruanda bisher verhindert.

Richtig mitreden kann Fischer da erst, wenn er auch mal da war. Das darf als Hauptmotiv für seine Reise gelten. Eine Politik für das Afrika der Großen Seen ist das aber noch nicht.

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