piwik no script img

Kälte oder Glaube

Bundesverfassungsgericht: Iranische Asylbewerberinnen wehren sich gegen einen Kopftuchzwang auf Passfotos

BERLIN taz■ Der jahrelange Streit um den Kopftuchzwang gegen abgelehnte Asylbewerberinnen aus dem Iran steht vor seiner abschließenden und auch grundsätzlichen Klärung. Vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe begann gestern die mündliche Anhörung in der so genannten Kopftuchaffäre.

Zwei ausreisepflichtige iranische Asylbewerberinnen aus Nürnberg wenden sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die Auflage, Passfotos machen zu lassen, auf denen sie mit Kopftuch abgebildet sind. Dies hatte das Nürnberger Ausländeramt angeordnet, um die Abschiebung der beiden Frauen vollziehen zu können. Nur mit derartigen Passfotos akzeptiert der Iran die Einreise von Frauen.

Das Bundesverfassungsgericht hat zu klären, ob das Kopftuch ein religiöses Symbol ist. Die beiden Iranerinnen, beide keine bekennenden Musliminnen, bejahen dies. Sollte das höchste deutsche Gericht ihnen in ihrer Argumentation folgen, würde die Abschiebung abgelehnter Asylbewerberinnen aus Deutschland in den Iran künftig erheblich erschwert.

Die beiden Frauen berufen sich in ihrer Beschwerde auf ihr Grundrecht, sich von jeglichem Religionsbekenntnis fern halten zu dürfen. Das Kopftuch sei ein „starkes religiöses Symbol“, das den Frauen nicht gegen ihren Willen aufgezwungen werden dürfe, sagte bei der gestrigen öffentlichen Anhörung Gisela Seidler, die Anwältin der beiden Iranerinnen. Der Kopftuchzwang beruhe auf der Scharia, dem religiösen Gesetz des Islam. Frauen im Iran würden bestraft, wenn sie diese Vorschrift nicht befolgten. „Dieses religiöse Gesetz ist zum staatlichen Gesetz geworden“, so die Anwältin.

Der bayerische Generallandesanwalt Enno Boettcher hält dagegen die Regelung Irans für eine Ordnungsvorschrift ohne religiösen Inhalt – und damit für zumutbar. Das Kopftuch habe, anders als das christliche Kruzifix, nicht von sich aus einen Glaubensbezug. Im Übrigen könne man Kopftücher auch zum Schutz vor Regen und Kälte tragen. In bestimmten Zusammenhängen, räumte Boettcher allerdings ein, könne das Kopftuch als religiöses Symbol angesehen werden – etwa wenn eine Lehrerin sich damit zum muslimischen Glauben bekennen wolle. Das sei aber hier nicht der Fall.

Gerichtspräsidentin Jutta Limbach gab zu bedenken, dass der allgemeine Kopftuchzwang für Frauen „ausgrenzenden Charakter“ haben könnte.

Wann die Karlsruher Richter über die Verfassungsbeschwerde entscheiden, ist noch offen. Klar ist: Die beiden Iranerinnen aus Nürnberg wollen schnellstmöglich in die USA ausreisen. HR

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen