: Nationale Defekte
Klaus Wagenbach antwortet der Schriftstellerin Silvia Szymanski auf den Vorwurf nationalistischer Positionen
Sehr geehrte Frau Szymanski,
doch, doch: Wir haben „nationale Defekte“, oder wollen Sie das bestreiten? Der Test ist sehr einfach: Fahren Sie nach Italien, und lassen Sie es sich erzählen. Frankreich oder Polen geht auch – Nachbarn kennen uns ja besser. Da wird man Ihnen etwas von unserer Rechthaberei, Buchstabengläubigkeit oder Unzugänglichkeit für Ironie erzählen, also davon, was Ihr Text vorführt.
Was ich sagen wollte, ohne Ironie, ist doch sehr einfach: Wer etwas über sich erfahren will als Deutscher, ist bei der deutschen Literatur gut aufgehoben. Und es ist nicht nur aus historischen Gründen schade, dass wir sie in Schule und Öffentlichkeit beiseite schieben (obwohl das auch zu unseren „nationalen Defekten“ gehört: Mangel an Geschichtsbewusstsein), sondern aus Gründen der Selbsterkenntnis.
Ich habe einmal, 1979, ein Buch zusammengestellt, dessen Titel Ihnen gewiss auch nicht gefällt, „Vaterland, Muttersprache“, mit allen wichtigen Polemiken, Manifesten und Erklärungen deutscher Schriftsteller (in beiden deutschen Staaten) zum eigenen Staat, zur eigenen Gesellschaft. Susanne Schüßler hat es bis 1989 fortgeführt – da finden Sie reiches Material zu unserem vaterländischen Acker und seinen Blüten.
Und meine Haltung zur Rede Walsers können Sie nachlesen in meiner Rede zum Hugo-Ball-Preis (Hugo Ball Almanach 2000). Die war (offenbar) so scharf, dass sie niemand hat drucken wollen, auch die taz nicht.
Mit freundlichen GrüßenIhr KLAUS WAGENBACH
Silvia Szymanskis Text erschien am7. Dezember in der taz
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