: „Wichser“ sagen erlaubt
Kein öffentliches Interesse daran, rassistische Beleidigungen von Amts wegen zu ahnden
von BARBARA BOLLWAHNDE PAEZ CASANOVA
Polizist müsste man sein. Dann wird jede Beleidigung von Amts wegen mit zum Teil empfindlichen Geldstrafen geahndet. „Haubentaucher“ schlägt mit 800 Mark zu Buche, das Duzen eines Beamten mit 1.200. „Du Wichser“ kann – je nach Verdienst des Angeklagten – 2.000 Mark kosten. Doch wird Otto Normalverbraucher Ziel von Beleidigungen, heißt es meist: Ein öffentliches Interesse an der Verfolgung von Amts wegen liegt nicht vor.
Diese Erfahrung mussten Berliner Fußballer türkischer und bosnischer Herkunft machen, die von einem Mann aus Essen übelst beschimpft wurden. Die Fußballer des 1. FC Wilmersdorf versammelten sich im Sommer vor einem Waldlauf auf dem Parkplatz am Poststadion. Wie aus heiterem Himmel, so erzählt der gebürtige Bosnier Sedin S., habe der Fußballfan Marco G. aus Essen – an diesem Tag fand im Stadion ein Spiel zwischen Tennis Borrussia gegen Essen statt – diejenigen der Gruppe, die „nicht deutsch“ aussahen, heftig beschimpft. „Scheißausländer!“, rief er. Und: „Wichser, wollt ihr nicht mal in den Arsch gefickt werden?“ Etwa eine Viertelstunde lang habe der Mann „das ganze Programm“ an ausländerfeindlichen Beschimpfungen „abgespult“, so der 24-jährige Sedin S.
Doch Sedin S.’ Hoffnung, dass der Essener für sein Verhalten zur Rechenschaft gezogen wird, hat sich nicht erfüllt. Vor wenigen Tagen erhielt der Fußballer von der Amtsanwaltschaft die Nachricht, dass das Verfahren eingestellt wurde. Begründung: „Ein öffentliches Interesse an der Verfolgung von Amts wegen liegt bei dem angezeigten Sachverhalt nicht vor.“ In dem Antwortschreiben wird angeführt, dass „Streitigkeiten, die auf privaten Auseinandersetzungen der Beteiligten beruhen und ausschließlich deren Rechtsinteressen beeinflussen“, nicht die Voraussetzungen einer Strafverfolgung erfüllten. Ein öffentliches Interesse liege nur dann vor, „wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist“.
Auf den konkreten Fall ging der Amtsanwalt nicht ein – obwohl er das hätte tun müssen. „Es muss auf den konkreten Fall eingegangen werden“, so Justizsprecher Sascha Daue. Bei Anzeigen wegen Beleidigung liegt es im Ermessensspielraum des Dezernenten, wie er entscheidet. Nach den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (RiStBV) ist bei „Familienzwistigkeiten, Hausklatsch und Wirtshausstreitigkeiten“ von der Erhebung einer öffentlichen Klage abzusehen. Ein öffentliches Interesse ist aber in der Regel dann zu bejahen, wenn eine „wesentliche Ehrenkränkung“ vorliegt. „Das sollen auch Amtsanwälte beachten“, so Justizsprecher Daue weiter.
Weil Privatklagen meist wenig Aussicht auf Erfolg haben und weil die Antidiskriminierungsrichtlinien der EU erst Ende 2002 umgesetzt sein sollen, hat Sedin S. gegen die Einstellung des Verfahrens Einspruch eingelegt. Das führt zu einer Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Amtsanwalt und zu einer Überprüfung seiner Entscheidung durch die Staatsanwaltschaft. „Ich bin ein fairer Spieler“, so Sedin S., „und ich will ein faires Spiel.“ Er kann nicht verstehen, dass Politiker zu Solidarität und Zivilcourage aufrufen, die „alltägliche, subtile Form der Fremdenfeindlichkeit“ jedoch nicht geahndet wird.
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