piwik no script img

Die Frage nach dem Warum

Der Historiker Bogdan Musial ist einer der Kritiker der Wehrmachtsausstellung. In der taz warf Viola Roggenkamp ihm Antisemitismus vor. Eine Erwiderung des Betroffenen

Im deutsch-sowjetischen Krieg waren Juden nicht nur Opfer, sondern bisweilen eben auch Täter

In der taz vom 22. November heißt es in dem Beitrag „So schlimm war es gar nicht“: „Reemtsma hatte nicht zuletzt wegen der Kritik eines polnischen Historikers, dessen Antikommunismus von Antisemitismus kaum zu trennen ist, die ,Wehrmachtsausstellung‘ im November 1999 offiziell zurückgezogen.“ Der „polnische Historiker“ wird namentlich nicht genannt, informierte Leser wissen jedoch, dass es sich um den Autor dieser Erwiderung handelt. Für den Betroffenen stellt sich die Frage nach dem Grund für diese verleumderische Polemik, denn der Vorwurf des Antisemitismus ist nicht anders als eine Verleumdung zu werten. Allerdings bestreite ich nicht, eine antikommunistische Haltung zu haben. Übrigens wurden ähnliche Attacken gegen meine Personen bereits andernorts geführt.

Das Etikett Antisemit habe ich mir, so meinen manche, durch mein im Sommer 2000 erschienenes Buch „Konterrevolutionäre Elemente sind zu erschießen. Die Brutalisierung des deutsch-sowjetischen Krieges im Sommer 1941“ erworben. Das Buch ist eine Fallstudie über den sowjetischen Terror in Ostpolen in den Jahren 1939 – 1941 und dessen Auswirkungen, über die sowjetischen Verbrechen im Sommer 1941 und deren Folgen für den Krieg sowie die Judenverfolgungen. Das Buch löste ein lebhaftes Echo aus und wurde innerhalb weniger Wochen in den wichtigsten Zeitungen besprochen. Die Ursachen dafür waren vielfältig.

In dem Buch berührte ich mehrere in Deutschland geltende Tabus, so die Darstellung von Juden als Täter. Dieses Tabu rührt daher, dass Juden im Kontext der NS-Zeit und somit im Prozess der deutschen Vergangenheitsbewältigung die Rolle der Hauptopfer zukommt. Dies ist angesichts der an Juden begangenen NS-Verbrechen mehr als verständlich. Die Diskriminierung und Verfolgung der Juden begann 1933 und endete schließlich im Holocaust. Etwa sechs Millionen jüdische Frauen, Kinder und Männer wurden ermordet. Allerdings ist diese ethnische Rollenverteilung zwischen Opfer und Täter im Kontext der sowjetischen Verbrechen nicht mehr so eindeutig. Auch hier gehörten Juden zu den Opfern, doch gab es auch Täter jüdischer Herkunft. Viele fürchten wohl, die Erwähnung dieser Tatsache würde die Hauptopferrolle der Juden im Kontext der NS-Verbrechen in Frage stellen, und neigen dazu, jeden pauschal des Antisemitismus zu verdächtigen, der das anspricht.

Ein weiterer Faktor, der die Aufmerksamkeit der Medien auf das Buch lenkte, war der für einen Historiker eher ungewöhnliche Bekanntheitsgrad, den ich mit der Intervention in der Auseinandersetzung um die Wehrmachtsausstellung erworben hatte. Im Oktober 1999 veröffentlichte ich einen Aufsatz über die falsch zugeordneten Fotos in der Ausstellung. Der Aufsatz löste eine heftige Diskussion über die Authentizität der in der Ausstellung präsentierten Fotos aus und stellte die Glaubwürdigkeit der gesamten Präsentation nachhaltig in Frage. Das Hamburger Institut für Sozialforschung ist jetzt dabei, eine neue Ausstellung vorzubereiten. Meine Intervention führte dazu, dass ich sehr kontrovers beurteilt werde. Viele Befürworter der alten Ausstellung sehen in mir einen Handlanger der Ewiggestrigen, gar einen „Nazi-Reinwäscher“. Ich wurde für das Scheitern der „richtigen“ Ausstellung verantwortlich gemacht, wobei man außer Acht ließ, dass ich die Thesen der Ausstellung nie in Frage gestellt habe. Die ideologischen Gegner der Ausstellung dagegen sehen mich als „Ehrenretter der Wehrmacht“ an.

Diese Gemengelage führte dazu, dass ich zum attraktiven Zielobjekt für Journalisten wurde, die sich profilieren mochten. Dementsprechend waren die ersten Reaktionen auf mein Buch überwiegend kritisch bis verleumderisch. Rezensenten rissen Zitate aus dem Zusammenhang, entstellten meine Thesen und unterstellten mir Feststellungen, die so in dem Buch nicht zu finden sind. So wurde u. a. behauptet, ich würde jüdische Opfer für die an ihnen verübten Verbrechen mitverantwortlich machen, man unterstellte mir indirekt Antisemitismus. Diesen Rezensenten ging es nicht darum, das Buch zu rezensieren, sondern zu skandalisieren. Nach etwa zwei Monaten pendelte sich alles jedoch ein. Vor kurzem wurde das Buch sogar auf die gemeinsame Empfehlungsliste der Süddeutschen Zeitung, des Buch-Journals“ und des NDR gesetzt.

Dass der Vorwurf des Antisemitismus absurd ist, zeigt nicht nur die aufmerksame Lektüre meines Buches, sondern auch meine bisherigen Forschungen zum Thema. So habe ich über Judenverfolgung und Judenmord im besetzten Polen promoviert. Meine Doktorarbeit, die Anfang des Jahres unter dem Titel „Deutsche Zivilverwaltung und Judenverfolgung im Generalgouvernement“ erschienen ist, hat von ausgewiesenen Experten gute bis sehr gute Rezensionen bekommen. Vor kurzem veröffentlichte ich einen Aufsatz über die Genese der „Aktion Reinhard“ (Tarnname für den Mord an polnischen Juden) in der Zeitschrift Yad Vashem Studies der Gedenkstätte in Jerusalem. Die Redaktion hofft, dass der Aufsatz die Debatte über die Entscheidungsfindung zum Judenmord beleben wird.

Wenn den Vorwurf des Antisemitismus mir gegenüber absurd ist, so stehe ich dazu, antikommunistisch eingestellt zu sein. Der Antikommunismus steht im westdeutschen Kontext noch immer im Geruch von undemokratisch und gar reaktionär. Er wird assoziiert mit der Auflösung der KPD in den Fünfzigerjahren und dem Berufsverbot für KPD-Mitglieder in den Siebzigerjahren. Die KPD-Mitglieder galten als Opfer, die wegen ihres Engagements für hehre Ideale vom kapitalistischen Staat verfolgt wurden, für Ideale, die für Westeuropäer abstrakt blieben.

Ich bin Antikommunist. Im polnischen Kontext meint das die Verteidigung demokratischer Werte

Ich bin dagegen in einem Land aufgewachsen, in dem 45 Jahre lang versucht wurde, diese Ideen mit Terror und Gewalt in der Praxis umzusetzen, und zwar mit katastrophalen Folgen für das Land und die Menschen. Es werden noch Jahre vergehen, bis die wirtschaftlichen, sozialen und moralischen Verwerfungen aus der Zeit des real existierenden Sozialismus überwunden sind. Kommunisten, die nur mit Terror an die Macht in Polen gelangen konnten, mochten noch anfangs, wenigstens ein Teil von ihnen, an die kommunistischen Ideale geglaubt haben, sie wurden durch die absolute Macht jedoch schnell korrumpiert. Die nachfolgenden Generationen von Kommunisten waren nur Machtzyniker, die im Rahmen der negativen Auslese rekrutiert waren. Ein kommunistischer Apparatschik musste folgende Eigenschaften aufweisen: Servilität, Skrupellosigkeit, Machtgier, Zynismus. Ideale und Moral störten nur. Kurzum: Im polnischen Kontext bedeutet der Antikommunismus die Verteidigung demokratischer Werte gegen eine totalitäre Partei. Ich sehe zurzeit keinen Grund, meine Ansichten im Hinblick auf den Kommunismus zu revidieren. Vielmehr glaube ich, dass die westdeutsche Linke einen Fehler beging, in dem sie sich voreilig vom Antikommunismus distanzierte.

BOGDAN MUSIAL

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen