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Nicht der Mann ist das Problem

BSE ist nicht allein ein Problem des Landwirtschaftsministers, dessen Haus aber wohl der falsche Ort für den Schutz des Verbrauchers

aus Berlin JENS KÖNIGund MAIKE RADEMAKER

Alle haben es gewusst. Einer soll es büßen. Zumindest, wenn es nach Focus geht. Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) soll Recherchen des Magazins zufolge schon im April mit einem BSE-Fall gerechnet haben. Experten aus Bundesinstituten hätten damals bei einem Gespräch im Landwirtschaftsministerium geraten, Vorbereitungen für den ersten Fall von BSE zu treffen. Trotzdem habe der Minister in der Öffentlichkeit immer wieder gesagt, dass Deutschland BSE-frei sei. Sprich, es gebe keine deutschen BSE-Rinder. Wohlgemerkt „deutsche“, denn mindestens ein ausländisches BSE-Rind hat ja längst in Deutschland gelebt. „Cindy“ war britisch und verendete 1997 in Höxter. Also konnte Funke im Juni dieses Jahres noch fröhlich behaupten „deutsches Rindfleisch ist sicher“, ebenso im August im Chor mit dem Bauernverband, und zuletzt am 20. November.

Erst im April soll Funke vom deutschen Wahn gewusst haben? Funke hat es wissen und damit rechnen müssen, als er sein Amt übernahm, als Cindy hier zu Lande verendete, als in der Schweiz, Irland, Portugal, Frankreich, England wahnsinnige Rinder entdeckt wurden. Und andere Länder längst reagiert hatten: Schweden führte, als nur der Hauch eines Verdachts aufkam – da war von Creutzfeldt-Jacob noch gar nicht die Rede –, 1987 ein Fütterungsverbot von Tiermehl ein. Die USA verboten ein Jahr später den Import britischer Rinder. Spätestens da hätte deutschen Politikern klar sein müssen, dass es keine Insel im BSE-Europa geben kann.

Dabei haben nicht nur ausländische Experten vor BSE auf deutschen Wiesen gewarnt, auch in Deutschland selbst wurden genug Stimmen laut: 1993 warnte die Tierärztin Margit Herbst vor torkelnden Rindern: Die Tiere wurden geschlachtet und verarbeitet, die Veterinärin entlassen. Zu dem Zeitpunkt hatte die Schweiz längst umfassend reagiert. Dort hatte die Veterinärbehörde 1990 den ersten BSE-Fall entdeckt – und zwar nicht aus Zufall, sondern weil sie intensiv danach gesucht hat. Sieben Jahre später schüttelten Experten wieder den Kopf über die deutsche Ignoranz. In der Bundesrepublik seien, sagte der Schweizer Experte Marc Vandevelde schon 1997 der taz, viel zu wenig Verdachtsfälle untersucht worden.

Für Funke ist der Vorwurf von Focus „absoluter Unsinn“ und eine „völlig falsche Interpretation eines Protokolls“. Warum also Konsequenzen ziehen? Dass der Bundeslandwirtschaftsminister die BSE-Krise verschlafen hat, weiß in Deutschland inzwischen doch jeder, selbst diejenigen, die nicht wissen, dass der Minister Karl-Heinz Funke heißt. So reichte die Enthüllung gestern nicht einmal mehr aus, dass in Berlin irgendein ernst zu nehmender Politiker den Rücktritt des Landwirtschaftsministers forderte. Lediglich ein CDU-Bundestagsabgeordneter, ein grüner Landtagsabgeordneter aus Nordrhein-Westfalen und eine angebliche Verbraucherschutzexpertin der FDP, die wahrscheinlich selbst in ihrer eigenen Partei unbekannt ist, griffen Funke für seine Vertuschungen und sein Herumgeeiere beim Thema BSE an. Wahrlich nichts, wovor sich der Landwirtschaftsminister und erst recht nicht der Bundeskanzler fürchten müssten. Dass Gerhard Schröder weiter an Funke festhält, kann wirklich niemanden überraschen. Warum, so wird sich der Kanzler fragen, sollte er gerade jetzt einen Minister entlassen, den er schon seit Wochen gegen schwere Vorwürfe aus allen Richtungen verteidigt? Und was ändert ein Protokoll an der grundsätzlichen Kritik, dass Funke ein Lobbyist der Agrarindustrie ist?

Schröder kann und will sich nicht von seinem Landwirtschaftsminister trennen, der ihm schon zu seiner Zeit als Ministerpräsident in Hannover treue Dienst leistete. Der Kanzler hat in den vergangenen Wochen mit Reinhard Klimmt (Verkehr) und Michael Naumann (Kultur) schon zwei Minister verloren. Eine weitere Kabinettsumbildung würde aus dem Problem Minister ein Problem Schröder werden lassen. Zudem würde eine Entlassung Funkes wohl auch Gesundheitsministerin Andrea Fischer mitreißen. Den Sozialdemokraten Funke zu opfern, die angeschlagene Grüne Fischer aber im Amt zu belassen – das wäre gegen den Widerstand der SPD-Bundestagsfraktion nicht durchzusetzen.

Der Kanzler hält aber auch aus einem prinzipiellen Grund an Funke fest. Schröder hat in den vergangenen Tagen eingeräumt, dass die jahrelangen Warnungen vor BSE alle ignoriert hätten, und mit „alle“ meint der Kanzler Politiker, Produzenten, Verbraucher. Für dieses Versagen der Gesellschaft insgesamt möchte Schröder, ohne dass er das ausdrücklich sagt, nicht einen einzelnen Minister verantwortlich machen. Also redet Schröder lieber über den Schutz der Verbraucherinteressen. Wer aber für diesen Schutz eintreten soll, darüber redet der Kanzler nicht. Das Landwirtschaftsministerium kann es ja wohl nicht sein.

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