: „Wir bleiben unabhängig“
Interview: BERNHARD PÖTTERund RALF GEISSLER
Können Sie sich Renate Künast im Dirndlkleid vorstellen?
Warum nicht? Es stünde ihr sicher.
Hätten Sie Bärbel Höhn lieber als Landwirtschaftsministerin gehabt? Sie ist die Fachfrau.
Dazu möchte ich mich nicht äußern. Auch Bärbel Höhn war keine Fachfrau, als sie in Nordrhein-Westfalen Landwirtschaftsministerin wurde, und hat sich sehr gut eingearbeitet. Die gleiche Chance hat Frau Künast. Ich habe mit beiden keine Probleme. Ich war sogar beim Parteitag der Grünen.
So viel Einigkeit mit der Politik? Künast hat Ihnen vorgeworfen, Sie hätten die vergangenen Jahre nicht viel dazu beigetragen, dass BSE verhindert wird.
Das stimmt nicht. Wir haben zum Beispiel die Rinderdatenbanken mit Einzeltieridentifizierung aufgebaut. Wir haben kein Tiermehl bei Wiederkäuern und Pflanzenfressern eingesetzt. Das heißt, wir haben alles getan, was Wissenschaft und verantwortungsbewusste Öffentlichkeit von uns verlangt haben. Alle haben geglaubt, wenn wir dies so einhalten, wird es bei uns kein BSE geben.
Warum gibt es denn dann BSE in Deutschland?
Tiermehl ist an Allesfresser wie Schweine und Geflügel verfüttert worden. Bei der Herstellung von Rinderfutter gab es Verunreinigungen mit teilweise bis zu zwei Prozent. Das war nach Ansicht der Experten die Ursache. Heute wissen wir, dass die Sicherungssysteme lückenhaft waren. Daran hätten wir mehr arbeiten müssen.
Selbst wenn das alles stimmt, was Sie sagen: Was ist der Ausweg aus der BSE-Krise? Der ökologische Landbau?
Die BSE-Krise ist doch kein Problem der industrialisierten Massentierhaltung. Bis jetzt hat es doch die kleinen und mittleren bäuerlichen Betriebe getroffen. Erst muss die BSE-Krise bewältigt werden. Dann können wir darüber reden, wie viele Ökobauern wir brauchen.
Bisher sind nur kleine Betriebe betroffen. Aber auch die haben nach industriellen Methoden gefüttert.
Wenn Sie bei diesen Bauern schon von industrialisierter Landwirtschaft sprechen, dann müssen Sie die gesamte Landwirtschaft in Deutschland, Europa und Übersee verbieten. Die Regierung kann uns nicht vorwerfen, dass wir industrielle Landwirtschaft betreiben. Vor zwei Jahren haben Minister Funke und mancher Agrarökonom noch gefordert: Macht euch wettbewerbsfähiger für den Weltmarkt. Daraufhin haben wir die bäuerlichen Strukturen verteidigt und sind als altmodisch bezeichnet worden.
Aber Funke ist inzwischen zurückgetreten. Und in der Regierung wird diskutiert, den ökologischen Landbau auszubauen und die konventionelle Landwirtschaft ökologisch umzugestalten. Das ist eine Kehrtwende.
Nein, das ist die Fortführung unserer Politik. Ich wehre mich gegen den Begriff Neuausrichtung. Das unterstellt immer, wir hätten bis jetzt keinen Umweltschutz gewollt. Das stimmt nicht.
Aber das ist doch ein massiver Wechsel, wenn EU-Subventionen nicht mehr für die Produktion gezahlt, sondern an ökologische Kriterien gebunden werden.
In den Papieren geht es um eine Teilumschichtung. Wir erhalten jetzt Subventionen als Ausgleichszahlungen für massive Preissenkungen. Und die EU lässt die Möglichkeit zu, von den großen Betrieben etwas zu nehmen, um Umweltschutz und benachteiligte Gebiete zu fördern. Gegen eine solche Bestrafung haben wir etwas. Aber wenn der Staat den Ökolandbau mehr als bisher mit neuen Fördergeldern unterstützen möchte, ist das in Ordnung.
Heute verteilt die öffentliche Hand in Deutschland jährlich 30 Milliarden Mark an Subventionen für die Landwirtschaft. Dafür bekommen die Verbraucher aber keine sicheren Lebensmittel. Jetzt will die Regierung mehr an die Konsumenten denken. Das muss Sie doch beunruhigen.
Der beunruhigt mich nicht, weil wir Bauern uns am Markt und am Verbraucher orientieren müssen. Wir haben doch immer strengere Überprüfungen gefordert und uns nicht dagegen gewehrt. So haben wir die Rindfleisch-Etikettierung vorangetrieben, auch bei der Düngeverordnung war der Bauernverband Vorreiter. Wir müssen jetzt die BSE-Krise meistern, dann reden wir über die Zukunft der Landwirtschaft. Nur so gewinnen wir Vertrauen zurück.
Wie wollen Sie das machen?
Wir brauchen flächendeckende Schnelltests, Herausnahme von noch mehr Risikomaterial aus der Produktion und ein EU-weites Verbot von Tiermehl. Wir brauchen durchgehende Prüfsysteme einschließlich Schlachthöfe und Einzelhandel.
Da sind Sie gar nicht weit weg von dem, was Frau Künast will. Aber lassen wir alles so, wie es ist, oder stellt man die Überprüfung unter ökologischen Vorbehalt?
Das wollen wir ja. Wir wollen Bodenbindung, Verbot von Antibiotika in der Fütterung, weg von den Leistungsförderern. Wir stellen uns doch der ökologischen Herausforderung und dem Tierschutz. Vielleicht gibt es im Detail Unterschiede, auch unter den Öko-Höfen gibt es verschiedene Standards.
Sie sagen, erst die BSE-Krise lösen und dann über Strukturen reden. Die Regierung sagt, die BSE-Krise nutzen, um die Strukturen zu verändern.
Ich würde das nicht so hoch hängen. Frau Künast ist auch eine Pragmatikerin. Sie ist zuständig für den Verbraucherschutz, und wenn sie die BSE-Krise nicht löst, kommt sie auch bei der Umstrukturierung nicht voran.
Aber die BSE-Krise ist nicht zu „lösen“. In den nächsten Monaten werden immer wieder BSE-Rinder auftauchen, und bald die ersten Fälle von Creutzfeld-Jakob-Krankheit beim Menschen. Das kann man nicht aussitzen.
Das habe ich auch nicht gesagt, aber Sie müssen doch jetzt den Verbrauchern sagen: Da ist etwas passiert, wir wissen noch nicht genau, was, aber ab jetzt haben wir alles getan, was wir können.
Und das soll reichen, die Leute wieder zum Reindfleischessen zu animieren?
Wenn man den Wissenschaftlern aufmerksam zuhört, hat man keine Bedenken, Muskelfleisch zu essen. Das Risiko wird häufig nicht bewertet. Gefahren gibt es überall. Die Gefahr, dass uns etwas Schlimmes passiert, wenn wir vor die Tür treten, ist weitaus größer als beim Rindfleisch.
Sie müssen den Verbauchern sagen, dass Lebensmittel teurer werden.
Qualität und Sicherheit haben ihren Preis. Rewe und Wal-Mart haben angekündigt, dass das Jahr 2001 weiterhin durch den Preiskampf bestimmt wird. Der Preiskampf wird nicht bei Klopapier entschieden, sondern bei Lebensmitteln.
Es gibt durchaus Länder, die faire Preise schaffen, indem sie heimische Produkte bevorzugen.
Das sind kleine Länder wie Österreich und die Schweiz. Aber was geschieht in Italien? Bisher haben sich die kleinen Einzelhändler, die Metzgereien, Bäckereien gehalten, obwohl die Preise sehr hoch waren. Aber jetzt kommen die Supermärkte und machen diese Struktur kaputt.
Wenn Verbraucher, Erzeuger und Regierung in eine andere Richtung marschieren wollen, dann sollte es doch klappen.
Alle reden von der Öko-Landwirtschaft: zehn Prozent der Produktion soll sie ausmachen. Und es kaufen zwei Prozent der Leute im Bioladen ein. Das ist ein Widerspruch.
Sie haben von Verantwortung gsprochen. Der zuständige Minister Funke ist zurückgetreten. Warum treten Sie nicht auch zurück?
Unsere Führungsgremien haben mir mit einer großen Geschlossenheit den Rücken gestärkt. Dehalb habe ich keinen Anlass, über Rücktritt nachzudenken. Anders als ein Minister habe ich keine politische Verantwortung.
Sie haben doch Angst, Einfluss zu verlieren. Noch vor ein paar Wochen haben sie mit Frau Merkel erklärt, die BSE-Krise sei eigentlich Hysterie, jetzt sagen Sie, man kann auch gut mit Frau Künast reden.
Wir sind in der Arbeit immer unabhängig gewesen und haben Sacharbeit gemacht, egal, welche Partei die Minister stellte, ob Rote, Grüne oder Schwarze.
Weil die Bundesminster immer Bauern waren.
Funke war Germanist und Berufsschullehrer.
Aber die Minister kamen immer vom Land. Vielleicht wäre es auch besser für die Bauern, Künast hätte einen anderen Gegenüber beim Bauernverband.
Das müssen unsere Mitglieder entscheiden.
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