: Denkerin und elektrischer Reiter
Vor 82 Jahren wurden Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg ermordet. Wenn am Sonntag erneut der beiden Sozialisten gedacht wird, wird Liebknecht aber einmal mehr im Schatten der Popikone Rosa Luxemburg stehen. Vier Erklärungsversuche
Dietrich Mühlberg: Karl Liebknecht tritt hinter Rosa Luxemburg zurück, obwohl sie gemeinsam zu Ikonen der sozialistischen Linken geworden sind. Wohl schon, weil uns die Ermordung einer mutigen Frau durch die Soldateska weit stärker anrührt und empört. Vielleicht aber auch, weil Rosa Luxemburg einen nachhaltigeren Einfluss auf die linke Bewegung hatte und wir sie als Lenins Gegenspielerin in Erinnerung haben, an die wir unerfüllte Hoffnungen knüpfen. Tatsächlich hatte sie ja als Theoretikerin einen viel weiteren Horizont und – vielleicht auch dies als Frau mit einem besonderen Lebensweg – eine größere Nähe zu den Sehnsüchten und Leidenserfahrungen einfacher Menschen. Liebknecht hatte dagegen sehr idealisierte Vorstellungen von künftiger Kultur, vielleicht gab ihm das den Mut, als Mann gegen den Krieg zu votieren.
Dietrich Mühlberg ist Professor für Kulturwissenschaft und arbeitet am Zentrum für Zeithistorische Forschung
Evelin Wittich: Rosa Luxemburg ist deshalb eine Popikone, weil sie als Frau in ihrer Zeit außergewöhnlich war. Sie war eine aufmüpfige Politikerin, die die Männer in der SPD in Rage brachte. Als Parlamentarierin hätte sie niemals eine Karriere machen können, weil es damals kein Wahlrecht für Frauen gab. Dazu kam ihre Radikalität sowie der Umstand, dass sie menschlich sehr aufgeschlossen war. Das macht ihre Attraktivität auch heute noch aus. Karl Liebknecht dagegen war als Mann in seiner Zeit bei weitem nicht so außergewöhnlich.
Evelin Wittich ist Ökonomin und im geschäftsführenden Ausschuss der Rosa Luxemburg Stiftung
Nina Beyer: Karl Liebknecht steht deshalb eher im Hintergrund, weil er im Gegensatz zu Rosa Luxemburg kein Theoretiker der kommunistischen Bewegung war. Er ist vielmehr dafür bekannt geworden, dass er die Kriegskredite verweigert hat, während Rosa Luxemburg bereits in den Anfängen der kommunistischen Bewegung sehr wichtig war. Hinzu kommt, dass sie als Frau, Jüdin und Polin und auch aufgrund ihrer theoretischen Erkenntnisse sich von Anfang an gegen den Nationalismus und die autoritären Strukturen der Bolschewiki eingesetzt hat. Wichtig für ihre Aktualität ist wohl auch, dass sie sehr früh umgebracht wurde und deshalb nicht dafür verantwortlich gemacht werden konnte, was aus der Russischen Revolution entstanden ist. Gleichwohl war sie es, die schon damals überall nach Revolution und Bewegung ausschaute. Sie ist dorthin gereist, hat mitgemacht und das Ganze auch noch theoretisch erfasst. Das sind unsere Bezugspunkte. Und das macht auch ihre Aktualität, anders als bei Karl Liebknecht, aus. Rosa Luxemburg hat, wenn auch vor einem anderen historischen und auch theoretischen Hintergrund, Diskussionen geführt, die wir auch heute noch führen. Das geht, neben ihrem Engagement für das Selbstbestimmungsrecht der Nationen und gegen den Nationalismus der Bolschewiki, bis hin zu feministischen Diskussionen. Sehr früh nämlich hat sich Rosa Luxemburg auch mit den Bereichen beschäftigt, die sich der Kapitalismus unterwirft, auch wenn sie außerhalb der kapitalistischen Einflusssphäre liegen, etwa die Hausarbeit. Sie ist also eine sehr glaubhafte Revolutonärin gewesen.
Nina Beyer ist Schriftsetzerin und aktiv in der Antifaschistischen Aktion Berlin, die zur Demo am Frankfurter Tor aufruft
Sonja Kemnitz: „Dass Karl ein Buch speziell über den Vogelsang will, wundert mich ein wenig. Für mich ist die Stimme der Vögel untrennbar von ihrem ganzen Habitus und ihrem Leben, nur das Ganze interessiert mich, nicht irgendein losgerissenes Detail.“ So bestimmt Rosa Luxemburg selbst einen Wesenszug zwischen ihr und Karl Liebknecht gegenüber seiner zweiten Frau Sonja. Liebknecht, der Agitator, immer auf Achse mit Bündeln von Zeitungsartikeln und Notizen, ständig zu spät kommend, immer vorwärts treibend, geliebtes Idol von Arbeitermassen, deren Tatkraft er heraufbeschwor. Rosa Luxemburg, die Seherin und Analytikerin, die wusste, dass man den Maulwurf Geschichte sein Werk tun lassen muss, für die der Sozialismus keine Messer-und-Gabel-Frage, sondern eine Kulturbewegung war, in der sich Massen frei bewegen werden, wenn sie vor der Alternative der Barbarei stehen. Es begegnen sich in beiden das Schillersche und das Goethesche Prinzip. Die Frage, ob kämpferischer Wille die Zustände über sich selbst hinaustreiben kann. Oder, wie Rosa Luxemburg betonte, eine Gesellschaft sich erst dann verändert, wenn alle Grenzen erreicht und Neues schon in ihrem Inneren gewachsen ist. In beiden begegneten sich auch der philosophische und der praktische Zugriff auf die Welt, und Kultur ist nur in dieser Doppelung zu erwerben. Rosa Luxemburg war die letzte universelle Denkerin der Arbeiterbewegung, Karl Liebknecht ihr letzter elektrischer Reiter.
Sonja Kemnitz ist Philosophin und Kulturarbeiterin
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