: Saddams Macht ist ungebrochen
Demokratie und Menschenrechte haben bis heute weder in Kuwait noch in Saudi-Arabien und schon gar nicht in Saddam Husseins Irak Einzug gehalten
von JÜRGEN GOTTSCHLICH
Ende November, den steigenden Ölpreis und den neuen US-Präsidenten George W. Bush fest im Blick, startete Saddam Hussein den lang geplanten Angriff. Sein Stellvertreter Tarik Asis teilte in einem Schreiben an UN-Generalsekretär Kofi Annan lapidar mit, der Irak habe unter den gegebenen Bedingungen kein Interesse mehr daran, weiterhin an dem „Oil for food“-Programm teilzunehmen. Entweder die UNO sei bereit, dem Irak mehr Geld zur eigenen Verfügung einzuräumen, oder man werde den Ölexport einstellen. Gleichzeitig teilte der Irak den großen Öl-Tradern mit, sie müssten künftig außer der Ölrechnung an die UN pro Barrel einen halben Dollar auf ein Sonderkonto in Jordanien überweisen, wenn sie weiterhin irakisches Öl beziehen wollten.
Als Tarik Asis seinen Brief an Kofi Annan losschickte, lag der Weltmarktpreis pro Barrel zwischen 32 und 35 US-Dollar. Die Ankündigung eines Lieferstopps, immerhin 2,5 Millionen Barrel pro Tag, müsste, so zumindestens die Hoffnung in Bagdad, den Ölpreis explodieren lassen. Endlich, so glaubte Saddam Hussein, sei die Gelegenheit gekommen, sich aus dem Würgegriff der UN-Sanktionen zu befreien.
Übersetzt hieß die irakische Botschaft nach New York ganz einfach: Entweder eine De-facto-Aufhebung der Sanktionen, oder die westliche Welt muss auf irakisches Öl verzichten. Doch wie schon so häufig hatte Saddam sich auch dieses Mal verkalkuliert. Die Saudis kündigten umgehend an, ihre Tagesproduktion hochzufahren, und der noch amtierende US-Präsident Bill Clinton sagte zu, im Notfall erneut die strategische Ölreserve der USA anzuzapfen, um den Ölpreis zu stabilisieren. Saddams Angriff misslang, der Ölmarkt reagierte kaum, und wenig später war der Irak bereit, sein Öl unter nur unwesentlich verbesserten Bedingungen sprudeln zu lassen.
Die Episode zeigt, dass trotz aller angeblichen Frustrationen über den nach wie vor herrschenden Diktator Saddam Hussein die Golfkriegsstrategen in Washington und Riad ihr primäres Ziel durchaus erreicht haben. Seit die Streitkräfte der Golfkriegskoalition die irakischen Invasionstruppen aus Kuwait vertrieben haben, bestimmen Saudis und US-Amerikaner weitgehend allein den Weltmarktpreis für das schwarze Gold.
Der Irak – der nach Saudi-Arabien über die zweitgrößten bekannten Ölreserven verfügt und zusammen mit den kuwaitischen Lagern fast mit den Saudis gleichgezogen hätte – ist und bleibt seit dem Januar 1991 aus dem Spiel. Überdies aber zeigt ein Rückblick auf die weltweite Debatte um Ursachen und Ziele des Krieges zehn Jahre danach, dass außer der Sicherung der Ölreserven alle neuen Weltordnungsversprechen reine Ideologie und Wortgeklingel waren.
Demokratie und Menschenrechte haben bis heute weder in Kuwait noch in Saudi-Arabien und schon gar nicht im Irak Einzug gehalten. Zuerst Bush senior und dann Bill Clinton haben mit der irakischen Opposition gespielt, die aufständischen Kurden und Schiiten schmählich verraten und letztlich Saddam nie den entscheidenden Schlag verpasst, weil die US-Politik in der Region nach wie vor darin besteht, die beiden missliebigen Regime in Bagdad und Teheran gegeneinander auszuspielen und so zu schwächen.
Diese Politik ignoriert nicht nur die grausamen Menschenrechtsverletzungen seines Regimes, sie beinhaltet auch immer das Risiko, dass es Saddam trotz Embargo- und Sanktionspolitik gelingen könnte, sein Potential an Massenvernichtungswaffen wieder aufzubauen. Unmittelbar nach dem Golfkrieg ließen US-Militärs an die Medien durchsickern, der Angriff auf den Irak sei auch deshalb notwendig gewesen, weil Saddam Hussein kurz vor Vollendung einer einsätzfähigen Atombombe gestanden habe. Nach dem Einzug ins Weiße Haus kann Bush junior wieder da anfangen, wo senior aufgehört hat. Nach Angaben eines irakischen Atomphysikers, Dr. Khidir Hamza, der im November 2000 in die USA übergelaufen ist und der maßgeblich an Saddams Atomprogramm beteiligt war, ist der Irak – wenn es ihm gelingt, illegal angereichertes Uran zu kaufen – in wenigen Monaten in der Lage, eine A-Bombe einzusetzen.
Die rigiden UN-Sanktionen haben, statt die Opposition zu stärken, dazu geführt, dass Saddam die Mehrheit der darbenden Bevölkerung gegen den so grausamen äußeren Feind hinter sich versammeln konnte. Saddam ist weder ein Hitler, noch ist er mit Milošević zu vergleichen, so wenig wie die irakische Bevölkerung mit der jugoslawischen. Der Irak hat keine demokratische Erfahrung, und mit dem Sturz Saddam Husseins würde lediglich ein neuer Diktator an die Macht geputscht werden.
Vor diesem Hintergrund sind fast alle arabischen Nachbarn, aber auch Russen, Franzosen und die meisten anderen EU-Staaten längst von der US-amerikanischen Sanktionspolitik abgerückt. Seit Wochen landen wieder regelmäßig russische Flugzeuge auf dem Saddam Hussein Airport, und aus aller Welt kommen randvolle Flieger, die nur noch notdürftig als humanitäre Hilfslieferungen getarnt sind. Darunter am letzten Wochenende auch die erste von US-NGOs gecharterte Maschine, die mit medizinischen Gerät und dem früheren US-Justizminister Ramsey Clark an der Spitze einer 50-köpfigen Delegation an Bord dem offiziellen Washington die Stirn bot.
Die Regierungen der arabischen und EU-Staaten würden Saddam lieber wieder einbinden, statt ihn als Outcast auf einer brennenden Atombombe sitzen zu sehen. Dazu kommt, dass sich alle arabischen Staaten seit dem Beginn der Al-Aksa-Intifada einem starken Druck aus der eigenen Bevölkerung ausgesetzt sehen, die Iraker wieder in die arabische Front gegen Israel aufzunehmen.
Saddam nutzt diese Stimmung, indem er mit viel Lärm so genannte Freiwilligenverbände aufstellen lässt, die Jerusalem für den Islam zurückerobern sollen. Selbst die Türkei, ansonsten einer der verlässlichsten Partner der USA in der Region, will endlich wieder im Irak Geld verdienen und setzt deshalb auf die Parole „Wandel durch Handel“. Pünktlich zum zehnten Jahrestag hat Ankara nach zehn Jahren wieder einen Botschafter nach Bagdad geschickt.
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